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Ausgabe:

Dezember/2012

Spalte:

1316

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Heinzmann, Richard, u. Mualla Selçuk [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Monotheismus in Christentum und Islam. Internationales Symposion mit der Islamisch-Theologischen Fakultät der Universität Ankara 24.–25.10.2008.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2011. 281 S. 24,0 x 17,0 cm = Interkulturelle und interreligiöse Symposien der Eugen-Biser-Stiftung, 4. Kart. EUR 22,80. ISBN 978-3-17-021314-2.

Rezensent:

Andreas Renz

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Heinzmann, Richard, u. Mualla Selçuk [Hrsg.]: Offenbarung in Christentum und Islam. Islam ve Hiristiyanlik’ta Vahiy. With Foreword, Résumés and Abstracts in English. Internationales Symposion mit der Islamisch-Theologischen Fakultät der Universität Ankara, 23.–24.10.2009. Stuttgart: Kohlhammer 2011. 225 S. 24,0 x 17,0 cm = Interkulturelle und interreligiöse Symposien der Eugen-Biser-Stiftung, 5. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-17-021720-1.


Diese beiden Bände versammeln Vorträge, die in der Reihe »Interkulturelle und interreligiöse Symposien der Eugen-Biser-Stiftung« in den Jahren 2008 und 2009 in München bzw. Ankara gehalten wurden. Islamische Theologen von der Theologischen Fakultät der Universität Ankara und christliche Theologen vor allem der Ludwig-Maximilians-Universität in München nähern sich aus der Perspektive ihrer jeweiligen religiösen Tradition den Themen Monotheismus und Offenbarung, nachdem in den ersten beiden Tagungen die Themen Religion und Staat sowie Menschenrechte bearbeitet wurden. – Die jährlichen Symposien werden aus Mitteln des Europäischen Integrationsfonds, des Deutschen Bundestages sowie des Bundesministeriums des Innern kofinanziert.
Der Band wird von dem Religionswissenschaftler Peter Antes mit einem Beitrag zum Thema Monotheismus eingeführt, der die Entwicklung des Gottesverständnisses vom Polytheismus zum Monotheismus im Alten Israel behandelt. Die Dozentin für Islamische Geschichte in Ankara, Nahide Bozkurt, schildert in ihrem Beitrag den analogen Übergang von der Idolatrie im vorislamischen Arabien zum Einheitsbekenntnis des Islam. Eine kritische Bewertung islamischer Quellen lässt sie dabei vermissen. Ein zweiter Themenblock widmet sich dem Gottesverständnis im Neuen Testament (Knut Backhaus) und im Koran (Halis Albayrak). Der Neutestamentler Backhaus betont, dass die Übertragung göttlicher Prädi­kate auf Jesus in den neutestamentlichen Schriften »keine Vergöttlichung mit der Konsequenz eines Ditheismus« be­deutet, vielmehr »als Bewusstmachung der in Jesu Nähe außergewöhnlich wirkmächtigen Erfahrbarkeit der Heilsherrschaft JHWHs« erfolgt (43). Neutestamentlich gehe es »nicht um die Göttlichkeit eines Menschen, sondern um die Menschlichkeit Gottes« (45).
Backhaus charakterisiert und spezifiziert den neutestamentlichen Monotheismus damit als »christologischen Monotheis­mus«, sieht jedoch in der Theozentrik den gemeinsamen Nenner von Christentum und Islam. Auf der Suche nach Möglichkeiten, den christologischen Monotheismus in Kategorien islamischer Theologie nachvollziehbar zu machen (vgl. 47 u. 49), wird der Koran als das Buch gewordene Wort Gottes leider nicht berücksichtigt. Der Koranexeget Albayrak begnügt sich bei seiner koranischen Auslegung des Wesens Gottes mit der Aufzählung einiger Gottesnamen (vgl. 59 u. 61), zu denen er auch »Allah« zählt; dies entspricht zwar durchaus der üblichen muslimischen Sichtweise, lässt sich jedoch sprachwissenschaftlich nicht halten, ist doch »Allah« ur­sprünglich einfach das arabische Wort für Gott und kein Eigen­-name. Bedeutsam für das christlich-islamische Gespräch ist, dass Albayrak sehr wohl die Personalität Gottes betont (vgl. 57), der in Beziehung zum Universum und zum Menschen steht (vgl. 63), und dass »es zwischen Gott und dem Menschen trotz der unvergleichlichen We­sensarten eine wesenhafte Verbindung gibt« (69): die informativ-sprachliche (Gott teilt dem Menschen etwas mit), die zeitlich begrenzt und kontextbezogen ist, und die ethisch-ontologische, die dauerhaft ist und sich etwa in der permanenten Nähe und Gnade Gottes ausdrückt.
Die beiden folgenden Beiträge von Richard Heinzmann und Engin Erdem fragen nach dem Verhältnis von Glauben und Philosophie. Heinzmann sieht eine gemeinsame Zielsetzung von Philosophie und christlichem Glauben (vgl. 85), zeigt an konkreten Beispielen aber auch die Vielfalt der Verhältnisbestimmungen bis hin zur Ablehnung der Philosophie durch die Dialektische Theologie und deren Folgen auf. Erdem skizziert entsprechend die Verhältnisbestimmungen von Vernunft und Offenbarung im Islam und legt dabei seinen Schwerpunkt auf Averroes, der beide Größen als »Milchbrüder« bezeichnet, die sich in völliger Harmonie gegenseitig stützen.
Die vier letzten Beiträge des Bandes versuchen eine systematische Darlegung des christlichen Monotheismus (Gunther Wenz) bzw. der Trinitätslehre (Martin Thurner) sowie des islamischen Einheitsbekenntnisses (Şaban Ali Düzgün und Mahmut Ay). Dabei werden christliche Fachtermini wie »Hypostasen« und »subsistieren« (vgl. 133) für muslimische Verständnisvoraussetzungen nicht oder erst sehr spät erklärt oder umschrieben.
Düzgün betont die Universalität und Vollkommenheit des Monotheismus, eine (selbst-)kritische Auseinandersetzung mit dem Monotheismus bzw. den an ihn von außen gestellten Anfragen findet bei ihm und den anderen Autoren jedoch nicht statt; die Theodizeefrage wird erst im christlichen Resümee kurz angerissen, aber nirgendwo diskutiert (vgl. 223). Thurner hinterfragt die Selbstverständlichkeit und Notwendigkeit der traditionellen christlichen Trinitätslehre und verweist darauf, dass der christliche Glaube älter ist als diese (vgl. 171). Er versucht dann vom Begriff der »Liebe als Fülle personalen Lebens« und vom Offenbarungsbegriff her den Trinitätsgedanken zu erschließen. Wichtig für die weitere christlich-islamische Diskussion in der Gottesfrage ist der Hinweis des Kalam-Spezialisten Ay, dass die muslimischen Theologen den Begriff der »Analogie« aus Furcht, Gott und Mensch könnten zu sehr in eine Nähe und Vergleichbarkeit gerückt werden, nicht übernommen haben, dafür aber den Begriff »Ableitung«/ »istidlal« (»das Gelangen von der sinnlich erfahrbaren in die nicht erfahrbare Welt durch den Gebrauch der Vernunft«) verwenden (209). Der rein rationale Gottesbegriff der Mu’taziliten jedoch überhöht nach Ay die Transzendenz Gottes derart, dass die Gottesvorstellung »allen Gehalts entkleidet« und »seiner Ausstrahlung be­raubt« wurde (213).
Thurner sieht in seinem Resümee zum gesamten Thema den wesentlichen Unterschied im Begriff der Offenbarung: Im christlichen Verständnis vom sich selbst in der Person Jesu mitteilenden Gott »gewinnen Geschichtlichkeit und Personalität im christlichen Gottesbild eine Bedeutung, zu der es im Islam keine Entsprechung gibt« (227). Und weiter: »Aus der Hochschätzung der Personalität und Relationalität im trinitarischen Gottesverständnis ergibt sich daher eine Aufwertung der Individualität des Menschen, seines selbstreflexiven Ich-Bewusstseins und der daraus resultierenden Freiheit selbstbestimmten Handelns« (227 u. 229). Düzgün würdigt in seinem Resümee aus islamischer Sicht das Bemühen der christlichen Theologen, mit der Trinitätslehre keinen Tritheismus zu befördern, sondern am Monotheismus festzuhalten (239). Damit ist im christlich-muslimischen Gespräch schon viel gewonnen. Mehr noch ist für das Zusammenleben gewonnen, wenn sich Düzgüns Forderung allgemein durchsetzt, »zu einem Religionsverständnis zu gelangen, das die in den Religionen selbst verankerten freiheitlichen Rechte unter Garantie stellt, alle Menschenrechtsverletzungen als Verletzungen des göttlichen Willens ansieht und die universalen Werte der Menschheit zur Grundlage der Religion erhebt« (ebd.).
Der Band zur Offenbarung schließt thematisch gut an den vorangegangenen an. Er wird wiederum von Peter Antes eröffnet, allerdings zum Offenbarungsbegriff in Hinduismus und Buddhismus. Ein solcher Blick über den Tellerrand kann für den christlich-islamischen Dialog durchaus hilfreich sein, doch bleibt dieses Angebot zumindest auf Textebene ohne Folgen, da keiner der anderen Autoren darauf Bezug nimmt.
Der Religionsphilosoph Recep Kılıcreferiert das traditionelle islamische Of­fenbarungsverständnis im Sinne eines übernatürlichen Eingreifens Gottes und einer Mitteilung von Wahrheiten. Die christliche Inkarnationsvorstellung wird zurückgewiesen, ohne die Analogien hinsichtlich des koranischen Offenbarungsereignisses zu bedenken (vgl. 43). Auch der Koranwissenschaftler Halis Albayrak sieht die Wissensvermittlung durch Gott als wesentlichen Aspekt der koranischen Offenbarung und analysiert dabei die wichtigsten koranischen Begriffe, die die Kommunikation zwischen Gott und Mensch bezeichnen. Da es aufgrund des ontologischen Unterschieds zwischen Gott und Mensch »eigentlich keine sprachliche Verständigung zwischen diesen beiden Wesen geben kann« (89), ließ sich nach Albayrak im Falle Muhammads der »Sprechende […] auf das Niveau des Adressaten herab« und nahm »dessen Eigenschaften an« (ebd.). Die Nähe solcher Formulierungen zum christlichen Inkarnationsgedanken wird überdeutlich, aber auch bei diesem Autor nicht weiter reflektiert.
Der Münchner Neutestamentler Knut Backhaus stellt heraus, dass das Neue Testament sich keineswegs als Offenbarungsschrift versteht (vgl. 49), vielmehr die personale Selbstmitteilung Gottes in Jesus Christus im Zentrum steht. Erst das Zweite Vatikanische Konzil gelangte durch die Rezeption eines erneuerten Bibelverständnisses und der modernen Subjektphilosophie zu einem personal-kommunikativen Offenbarungsverständnis, nachdem das instruktionstheoretische Verständnis jahrhundertelang vorherrschend war und auf dem Ersten Vatikanum seinen Höhepunkt erreichte ( Martin Thurner).
Der Ankaraner Spezialist für islamische Philosophie, Fehrullah Terkan, zeigt am Beispiel von al-Farabi, dass die islamischen Philosophen in der koranischen Offenbarung anders als die Theologen nicht das unveränderliche Wort Gottes sahen, sondern »eine kulturbedingt-symbolische und historische Übersetzung der universalen Wahrheit« (117), die Gegenstand der philosophischen Vernunft sei. Damit ist der Vorrang der Philosophie vor der Religion beansprucht. Dass die islamische Apologetik diesen Anspruch der Philosophie nicht akzeptieren konnte und die Vernunft (bestenfalls) wieder zur Magd der Offenbarung macht, wird am Beitrag von Ahmet Akbulut deutlich.
Gunther Wenz erschließt in seinem Beitrag den Begriff der Selbstmitteilung Gottes in Jesus Christus systematisch-theologisch. Ein Resümee aus christlicher (Peter Antes) und islamischer (Recep Kılıc) Sicht schließt auch diesen Band ab. Kılıc stellt ganz richtig fest: »Im Islam gibt es keine Diskussion über die Bedeutung und das Wesen der Offenbarung, die sich mit der Diskussion innerhalb des Christentums vergleichen ließe.« (195) Insgesamt macht der Band die Unterschiede im Offenbarungsverständnis beider Theologien deutlich, wobei offen bleiben muss, ob diese Unterschiede strukturell-wesenhaft oder doch zumindest teilweise abhängig vom hermeneutischen Instrumentarium sind. Welche Paradigmenwechsel prinzipiell möglich sind, macht die christliche Theologiegeschichte deutlich.
Das Besondere der Bände liegt darin, dass sämtliche Beiträge, selbst Vorwort und Register, sowohl in türkischer wie in deutscher Sprache abgedruckt sind. Diese enorme Übersetzungsleistung ist zu würdigen. Positiv hervorzuheben sind auch die Resümees zum jeweiligen Generalthema aus christlicher und islamischer Sicht sowie Abstracts der einzelnen Beiträge zu Beginn der Beiträge und nochmals in englischer Sprache am Ende der Bände. Kritisch ist anzumerken, dass die Beiträge oft zu wenig aufeinander Bezug nehmen und – zumindest auf Textebene – der Dialogprozess zwischen den Beteiligten zu wenig deutlich wird. Auch eine klarere thematische Gliederung der Bände wäre hilfreich. Störend ist schließlich die uneinheitliche Zitationsweise selbst innerhalb eines Bandes. Die Rolle der Mitherausgeberin von beiden Bänden, Mualla Selçuk, bleibt unklar, sie wird im Autorenverzeichnis auch nicht vorgestellt.