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Ausgabe:

Dezember/2012

Spalte:

1314–1316

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Graf, Peter, u. Bülent Ucar[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Religiöse Bildung im Dialog zwischen Christen und Muslimen.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2011. 259 S. m. Tab. 24,0 x 17,0 cm = Interreligiöser Dialog in gesellschaftlicher Verantwortung, 1. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-17-022033-1.

Rezensent:

Karlo Meyer

Der Aufbau islamischer Theologien an deutschen Universitäten kann als bedeutender bildungspolitischer Meilenstein angesehen werden. Der dort erworbene Grad islamischer Bildung durch junge Muslime wird Konsequenzen haben: Zu hoffen ist, dass der interreligiöse Dialog so langfristig vielerorts und auf vielfältigen Ebenen an intellektueller Tiefe gewinnt. Dies gilt in besonderer Weise für das Dialogthema »Bildung«. Doch noch stehen wir am Anfang dieser Entwicklung, die zumindest in der Schriftform selten über die Phase gegenseitigen Vorstellens von Positionen hinausreicht. Diesen Zustand spiegelt der vorliegende Band, der Vorträge einer Fachtagung publiziert, die die Eugen-Biser-Stiftung 2009 zur Imamausbildung an Deutschen Hochschulen veranstal­tete.
Den Charakter einer Anfangsphase kennzeichnet in diesem Band gleich zweierlei. Zunächst werden diverse muslimische Themen gar nicht von hiesigen Muslimen vorgetragen: A. Khoury referiert als Christ u. a. zu muslimischen Werten, H. Vöcking und H. Wiesmann, beide Funktionäre der europäischen bzw. deutschen Bischofskonferenz, beschreiben die Islamausbildung in Europa und Deutschland, B. Bilgin ist Muslima, kommt aber aus Ankara. Es bleibt festzustellen: Es gibt immer noch zu wenige muslimische Bildungswissenschaftler in Deutschland!
Auf andere Weise spiegelt den Charakter einer Anfangsphase eines noch wenig ausgeprägten Dialogs, dass in den Artikeln bestenfalls vereinzelt ein abwägendes und interpretierendes Aufnehmen von Standpunkten der jeweils anderen Religion erfolgt, wie man es von einem Religionsdialog erwartet (in Ansätzen bei P. Graf, als reine Gegenüberstellung bei B. Bilgin, rein organisatorisch u. a. bei H. Wiesmann). Stattdessen werden je für sich Situationen und zum Teil Interpretationen jeweils einer Religion vorgestellt.
Die Beiträge des Bandes sind in vier Einheiten gebündelt. Nach einem Überblick von M. Kiefer (besonders ab S. 17 zusammenfassend zu den einzelnen Aufsätzen) geht es 1. um »Grundlegende Di­mensionen des interreligiösen Dialogs«, dann 2. um »Religiöse Bildung als Teil der europäischen Kulturgeschichte«, 3. um die »Ausbildung von Religionslehrern und Imamen an staatlichen Hoch­schulen« und schließlich 4. um die »Religiöse Erziehung von muslimischen Schülern in öffentlichen Schulen«. Die erste Einheit und die letzte sind dabei dem Tagungsthema »Imamausbildung« eher lose verbunden. Auch das spiegelt offensichtlich das bereits festgestellte »Anfangsstadium«.
Im ersten Teil werden je für sich vier ganz unterschiedliche As­pekte behandelt – sozusagen Grundlagen aus dem Vorfeld des Dialogs. A. Khoury und B. Bilgin referieren dabei religiöse Inhalte; Khoury konzentriert sich auf Werte und Mystik des Islams und B. Bilgin auf die Figur Abrahams in Judentum, Chris­tentum und Islam. Entsprechend dem enzyklopädischen Charakter beider finden sich keine pointiert deutend-dialogischen Aussagen (die man zumindest beim Titel von Khoury erwartet hätte: »Brücken zwischen den Religionen«). Von P. Antes folgt eine knappe, aber lesenswerte Gegenüberstellung des Verständnisses des Individuums im aufgeklärten Europa versus der Bedeutung der Gemeinschaft in traditionellen Kulturen, wie sie auch im Bereich des Islam zu finden sind. Eine grundlegende Dimension des Dialogs wird hier geklärt, auch wenn der Zusammenhang mit Bildung vage bleibt. Hier schließt P. Graf an. Ihm geht es um die »Entfaltung des Menschen als Individuum und Person durch Bildung und Erziehung« (55); er bezieht sich insbesondere auf Meister Eckhart. Alle vier Autoren greifen je auf ihre Weise einen einzelnen Aspekt auf, der für einen Religionsdialog bedeutsam werden kann.
Während dieser erste Teil des Bandes eher für eine Leserschaft aus dem Bereich des Dialogs von Interesse ist, richten sich die weiteren Teile an Bildungsverantwortliche staatlicher und religiöser Organisationen. Im zweiten Teil des Bandes tritt also die (Aus-)Bildung deutlicher hinzu. Die jeweiligen Situationen der Bildung von Schülerinnen und Schülern (Christentum) und die Ausbildung von Geistlichen (Islam, Judentum) werden jeweils in ihrer historischen Entwicklung zur Kenntnis gegeben.< /span> M. Fricke zeichnet die Entwicklung des schulischen Religionsunterrichts in Deutschland von seinen Anfängen im Mittelalter bis in die Gegenwart nach. W. Homolka berichtet ausführlich über die wissenschaftliche Ausbildung zum Rabbiner, wie sie insbesondere Geiger im 19. Jh. initiiert hat. H. Wiesmann präsentiert zunächst einen Überblick über die (universitären) Ausbildungsmöglichkeiten zum Imam un­terschiedlicher deutscher Gruppierungen und Organisationen, um daran The­sen aus katholischer Sicht anzuschließen. Ausführlich stellt H. Vöcking die Situation der Imamausbildung in unterschiedlichen europäischen Ländern dar. Sein Ergebnis ist ernüchternd: Leider könne kein Land ausgemacht werden, in dem eine Kooperation zwischen islamischen Religionsgemeinschaften und Staat hinsichtlich dieser Ausbildung schon vorbildlich gelinge.
Inhaltlich zum ersten Teil hätte der Artikel am Ende des zweiten Teils von P. Graf gepasst, der Chance und Aufgaben des Dialogs in Fragen der Sozialisation (z. B. den Umgang mit Gottesfrage oder Verarbeitung von Differenz) be­handelt. – Die in den vorangehenden Aufsätzen schon angeschnittene Frage der Imamausbildung wird im dritten Abschnitt weiter vertieft. Zukunftsoptionen werden in Bezug auf juristische und theologische Fragen deutlich.
B. Ucar fordert in diesem Zusammenhang einen Masterplan für »kurz-, mittel- und langfristige Ziele« der Integration des »Islams« (203). Einen sehr informativen Einblick in den Stand der juristischen Voraussetzungen, insbesondere zu zukünftigen islamischen theologischen Fakultäten und möglichen Alternativen gibt H. de Wall. Bei R. Ceylans Darstellung von vier Imamtypen schimmert die Hoffnung durch, künftig neben »traditionell-konservativen« Imamen auch »intellektuell-offensive« Menschen in diesem Beruf zu finden.
Im vierten Teil wird schließlich in zwei Aufsätzen juristisch und empirisch auf den Religionsunterricht eingegangen. J. Oebbecke skizziert »Religiöse Bildung« vor allem aus der Perspektive der Verfassung des Bundes und der Länder. Nach Erörterungen zur Bedeutung des Islam für Migranten stellt Hacı Ha­lil Uslucan Ergebnisse einer Untersuchung zum Schulversuch »Is­-lamischer Religionsunterricht« in Niedersachsen vor.
Die Eugen-Biser-Stiftung eröffnet mit diesem Band die Reihe »Interreligiöser Dialog in gesellschaftlicher Verantwortung«, um gemeinsame, dialogische Aufgabenstellungen von Menschen un­terschiedlichen Glaubens in Deutschland sichtbar zu machen und zu konturieren (vgl. 7). Nach der Lektüre muss gesagt werden: Das Ziel wird kaum erreicht. Positionsbeschreibungen je einer Seite und eigene Entwicklungslinien, religiöse und juristische Ausgangspunkte und Statements stehen im Vordergrund. Von einem wechselseitigen Aufeinandereingehen sind die Aufsätze dieses Bandes zu »religiöser Bildung im Dialog« noch weit entfernt. Trotz dieser Ernüchterung ist zu betonen, dass »Anfänge« gebraucht werden: Um dialogisch »in die Gänge« zu kommen, brauchen wir Konferenzen und Sammelbände, die die Menschen verschiedener Tradition zusammenbringen. Dafür ist den beiden Herausgebern Graf und Ucar ausdrücklich zu danken.
Sieht man von dem Bedauern um den geringen Dialogfortschritt ab, sind in dem Band durchaus auf spezifische Fragen versierte und pointierte Antworten als Hintergrund für den (noch zu eröffnenden wissenschaftlichen) Bildungsdialog und die Imamausbildung zu finden. Besonders allen, die Hintergründe für die Imam- und islamische Religionslehrerbildung suchen, ist der Band zu empfehlen.