Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Dezember/2012

Spalte:

1313–1314

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Buckley, Jorunn J. [Ed.]

Titel/Untertitel:

Lady E. S. Drower’s Scholarly Corre­-spondence. An Intrepid English Autodidact in Iraq.

Verlag:

Leiden/Boston: Brill 2012. IX, 264 S. m. Abb. 24,0 x 15,8 cm = Numen Book Series, 137. Geb. EUR 105,00. ISBN 978-90-04-20519-2.

Rezensent:

Predrag Bukovec

Das bewegte Leben der Lady Drower (1879–1972) zählt sicherlich zu den außergewöhnlichsten in der Orientalistik des 20. Jh.s. Sie begleitete in den 1920er Jahren ihren Gatten, der im britischen diplomatischen Dienst stand, in den Irak und pflegte dort enge Kontakte mit kleineren Religionsgemeinschaften, insbesondere mit den Mandäern. Weil sie das Vertrauen des mandäischen Klerus gewann, konnte sie eine große Anzahl an Handschriften sammeln, die heute die Drower Collection der Bodleian Library in Oxford bilden und zum Grundbestand der mandäischen Primärquellen gehören. In einem Brief aus dem Jahr 1944 stellt Lady Drower deshalb rückblickend fest: »Priests of all sects and religions, even the stickiest and most secret, have, for some occult reason, unbuttoned their hearts to me, and told me and shown me things hitherto inaccessible to the layman, to the outsider and unbeliever.« (77) Nicht minder bedeutend ist ihr wissenschaftliches Werk, das – obwohl sie Autodidaktin war – zu den Standardwerken der Mandäistik avancierte. Neben zahlreichen Studien verfasste sie mit Rudolf Macuch das Wörterbuch der mandäischen Sprache und edierte etliche religiöse Schriften. Das bis heute verwendete Transliterationssystem geht ebenfalls auf Lady Drower zurück. Für ihr Lebenswerk wurde sie 1964 mit der Lidzbarski-Medaille der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft ausgezeichnet und ebenfalls von den Universitäten von Oxford und Uppsala mit dem Ehrendoktorat geehrt.
Mit der Herausgabe eines Großteils von Drowers Briefkorrespondenz hat sich Buckley nun verdient gemacht. Die aus Norwegen stammende Herausgeberin lehrt Religionswissenschaft am Bowdoin College in Brunswick, Maine, USA, und ist in der Vergangenheit mit umfangreichen Studien zur Mandäistik hervorgetreten. Durch ihre Kontakte zu den Nachfahren Lady Drowers und einiger ihrer Kollegen ist sie für diese Aufgabe prädestiniert gewesen. B. kündigt etwas versteckt auch eine Biographie Lady Drowers an (124, Anm. 75). Mit dieser Edition ist hierfür zumindest eine wichtige Grundlage gelegt.
Für die Edition des Briefverkehrs Lady Drowers wählte B. einen geschickten Ansatz: Anstatt die Korrespondenz einfach chronologisch zu ordnen, unterteilte sie den Band in fünf Kapitel, die jeweils eine Monographie Lady Drowers zum Gegenstand haben (mit einer Ausnahme, s. u.). Durch diese Vorentscheidung sorgt B. für Leserfreundlichkeit und vermeidet eine verwirrende Auflistung divergierender Inhalte, die nur mit Hilfe eines Index zu bewältigen gewesen wären. Für die akademische Gemeinschaft ist dieser Aufbau auch deswegen hilfreich, da die Briefe gleichsam als Kommen tar zum jeweiligen Werk Lady Drowers herangezogen werden können. Nicht nur der Entstehungsprozess (und damit ein rein wissenschaftsgeschichtliches Interesse) kann nachvollzogen werden, sondern es werden ebenfalls fachliche Fragen in den Briefen berührt, die Lady Drowers Standpunkt erhellen können. Kurze Einleitungen B.s und ein diskreter Fußnotenapparat helfen bei der Einordnung des Inhalts.
Das erste Kapitel (9–72) hat das Buch Sfar Malwašia zum Gegenstand, das 1949 erschienen ist. Hierin edierte Lady Drower eine astrologische mandäische Schrift. Die Korrespondenz umfasst den Zeitraum von 1938 bis 1952. Es folgt ihre Monographie Water Into Wine (73–134), die 1956 publiziert wurde; in diesem Buch betreibt Lady Drower eine religionsvergleichende Ritualstudie zum sakramentalen Mahl im Orient. Das Mandaic Dictionary, welches sie zusammen mit Rudolf Macuch verfasste, bildet den Rahmen des dritten Kapitels (135–188); nicht verwunderlich ist deswegen, dass die Majorität der Briefe aus dem Austausch zwischen Lady Drower und ihrem Co-Autor stammt. Das vierte Kapitel (189–209) ist nun keinem Buch gewidmet, sondern bietet die Korrespondenz in den für Lady Drower wichtigen frühen 1960er Jahren, in denen sie u. a. die begehrte Lidzbarski-Medaille (s. o.) erhielt. Der abschließende Teil (209–256 und 257 f.) gibt über die nicht fertiggestellte Studie Mass and Masiqta und die bislang wenig erfolgreiche Suche B.s nach dem Manuskript Auskunft. Lady Drower gab nämlich 1966 das Projekt auf und erntete dafür bei ihren Kollegen eher Erleichterung als Bedauern. Sie hatte in dem Band nicht nur vor, Konvergenzen zwischen der christlichen Eucharistiefeier und der mandäischen Seelenaufstiegszeremonie aufzuzeigen, sondern versuchte unter anderem mit Hilfe pythagoreischer Zahlenspekulationen aus der mandäischen Liturgie vermeintliche Botschaften zu decodieren und auf den historischen Jesus von Nazareth und das frühe Judentum anzuwenden. Die Publikation dieses Vorhabens hätte Lady Drowers Renommée als ernstzunehmender Wissenschaftlerin sicherlich geschadet. B. schließt mit einer Bibliographie der Werke Lady Drowers (259 f.) und einem Personenindex (261–264).
Für B.s Edition des Schriftverkehrs Lady Drowers können nicht nur Forschende dankbar sein, die sich explizit mit mandäischen Studien auseinandersetzen. Wie der Personenindex auf den ersten Blick erkennen lässt, kann dieser Band auch für die Wissenschaftsgeschichte anderer Disziplinen fruchtbar gemacht werden, denn es sind dort unter anderem Zeitgenossen wie Böhlig, Boyce, Van Ess, Jonas, Polotsky, Rosenthal, Scholem, Ullendorff und besonders Rudolf Macuch und Paul Kahle aufgeführt. Lady Drower betrieb ihre Forschung nicht isolationistisch, sondern stand mit Kollegen und Kolleginnen aus der gesamten Bandbreite ihrer Nachbarfächer in Kontakt – ein Umstand, den man auch heute als eine Mahnung für interdisziplinären Weitblick verstehen kann.