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Ausgabe:

März/1996

Spalte:

302 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Kramer, Rolf

Titel/Untertitel:

Ethik der Macht. Sozialwissenschaftliche und theologische Aspekte.

Verlag:

Berlin: Duncker & Humblot 1994. 112 S. gr. 8o = Sozialwissenschaftliche Schriften, 29. Kart. DM 68,­. ISBN 3-428-08145-5.

Rezensent:

Joachim Wiebering

Mit der Machtfrage beschäftigen sich viele, und daher kann eine ethische Untersuchung mit großem Interesse rechnen. Die knappe Studie von Rolf Kramer setzt mit Begriffsbestimmungen ein und listet die verschiedenen Vorstellungen von Macht, Gewalt und Herrschaft auf. Aus der soziologischen Diskussion werden Max Webers und Niklas Luhmanns Definitionen vorgestellt und kritisch beleuchtet. In den beiden nächsten Kapiteln geht es um theologische Aspekte. Wenn im Alten und im Neuen Testament Macht thematisiert wird, steht Gottes Macht im Vordergrund. Zur Macht des Menschen wird aus dem Alten Testament nur auf das "dominium terrae" (Gen. 1,26-28) verwiesen, ohne auf die in den letzten Jahren geführte umfangreiche Diskussion zu diesem Text und den damit verbundenen Mißverständnissen einzugehen. Auf neutestamentlicher Seite werden zwar mehr Texte herangezogen, doch ist die Beschränkung auf die Aussagen zu Staat und Kirche auffällig. Paränesen und Haustafeln enthalten ebenfalls verdeckt oder offen Sätze normativer Art über Macht der einen über die anderen, die heute problematisch sind.

Das Kapitel über die theologische Behandlung der Macht setzt mit der Position der römisch-katholischen Theologie bei Thomas und Karl Rahner ein und stellt ihr als Gegenposition die koreanische Minjung-Theologie gegenüber. Eine Kommentierung dieses Gegensatzes unterbleibt. Auch die folgenden Referate über die Positionen von Karl Barth, Paul Tillich und Helmut Thielicke stehen unkommentiert nebeneinander. Erst in dem dieses Kapitel abschließenden Abschnitt über Machtstrukturen in den großen Kirchen bezieht der Vf. Stellung und kritisiert u.a. die Kaschierung von Macht durch den Begriff des Dienstes bis in die Barmer Erklärung hinein. Selbst die ökumenische Diskussion kann nicht die Machtfrage ausklammern, denn "die Einheit selbst ist letztlich abhängig von der Macht, die von der einen oder anderen Seite ausgeht" (66). Gegenseitige Anerkennung der Kirchen impliziert einen Machtverlust.

Das Kapitel über die politische Macht fällt am kürzesten aus. Es wird auf Machtmißbrauch und Gewaltenteilung verwiesen, und ein Blick fällt ebenso auf die Organisationen und Verbände. Doch die klassischen Muster werden in der Praxis des politischen Lebens durch Vorgänge überholt, die Macht auf andere Ebenen verlagern. Wie steht es etwa mit der Tendenz, politische Entscheidungen durch Anrufung des Bundesverfassungsgerichtes präjudizieren zu lassen? In welchem Umfang können und dürfen Medien die politischen Organe beeinflussen und kontrollieren? Gibt es jenseits von Parteien und Verbänden eine Chance für Bürgerinitiativen, politische Macht auszuüben? Der Vf. fordert: "Eine inhaltliche Ausgestaltung der Macht durch Liebe, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit kann sie vermenschlichen und sie zu ihrer Bestimmung als Ordnungskraft zurückholen" (104). Wie lassen sich solche Zielvorstellungen in der Praxis der Machtstrukturen und festgefahrenen Positionen verwirklichen?

Ausführlicher wird dann die wirtschaftliche Macht analysiert. Über die Macht des Geldes und Konzentrationen von Macht bei Banken, Konzernen und Managern wird ebenso kritisch referiert wie über den Führungsstil gegenüber Mitarbeitern eines Unternehmens. Der Bereich der Gewerkschaften und der auf ihrer Seite gebotene Umgang mit Macht bleibt ausgeklammert. Sicher ist die Option für einen "kooperativen Führungsstil" auf viele Bereiche anwendbar. Die Macht des Geldes läßt allerdings oft gutgemeinte personale Appelle verpuffen, weil das für eine Partnerschaft nötige Gleichgewicht fehlt.

In der Zusammenfassung kommt die Intention der Studie klar zum Ausdruck: "Macht ist ambivalent, sie neigt zum Guten und zum Bösen. Darum gehören Macht und Verantwortung zusammen." In der theologischen Deutung wird die Macht durch die Liebe begrenzt. Viel schwieriger ist es, den politischen und wirtschaftlichen Machtgebrauch klar und realistisch zu begrenzen. An dieser Stelle scheinen mir die Ausführungen des Vf.s zu knapp und bleiben bei Postulaten stehen, die sich schwer in die Praxis umsetzen lassen. Wenn "Gerechtigkeit und Barmherzigkeit die Ausübung von Macht steuern sollen", müßte das ausführlicher dargestellt werden. Die theologische Beschäftigung mit dem Thema aus jüngerer Zeit (etwa bei M. Josuttis, in Richs Wirtschaftsethik) wird nicht erwähnt, und bis in das Literaturverzeichnis hinein erscheint der Reformator Justus Jonas als Autor des "Prinzip Verantwortung", das von Hans Jonas verfaßt ist. Daß diese Studie in einer sozialwissenschaftlichen Reihe erschienen ist, macht deutlich, daß sie sich weniger an theologische Leser als an Leser aus diesem Bereich wendet.