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Ausgabe:

November/2012

Spalte:

1268–1270

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Belz, Jürgen

Titel/Untertitel:

Teilhabe und Mündigkeit. Eine religionspädagogische Untersuchung zu Leben und Werk Kurt Frörs (1905–1980).

Verlag:

Jena: IKS Garamond (edition Paideia) 2011. 420 S. m. Abb. 21,0 x 13,5 cm = Studien zur Religionspädagogik und Praktischen Theo­logie, 3. Kart. EUR 34,90. ISBN 978-3-941854-36-9.

Rezensent:

David Käbisch

Die historische Religionspädagogik hat sich in den vergangenen Jahren als eine unerlässliche Forschungsperspektive etabliert. Vor allem in neueren Lehrbüchern und Repetitorien kommt die spannungsreiche Real- und Ideengeschichte religiöser Sozialisation, Erziehung und Bildung so in den Blick, dass empirische, systematische und didaktische Themen an Tiefenschärfe gewinnen. Auch die Erlanger Dissertation von Jürgen Belz, die sich dem fränkischen Theologen Kurt Frör widmet, verfolgt diesen Anspruch.
B. gliedert seine Arbeit dazu in drei Teile: Der biographisch orientierte Teil A beschreibt Frörs Kindheit, Schulzeit und Studium, ferner die Zeit im nationalsozialistischen Deutschland, im Nachkriegsdeutschland und in der Bundesrepublik, um der »Wech­selwirkung von Biographie und theologisch-pädagogischem Denken« differenziert nachgehen zu können (198). Der religionspädagogische Teil B rekonstruiert in drei Kapiteln Frörs Wissenschafts-, Theo­logie- und Lernortverständnis, um die von ihm kontinuierlich weiterentwickelte Didaktik und Methodik des schulischen Religionsunterrichts in historischer und systematischer Perspektive verstehen zu können. Teil C strebt schließlich eine Einordnung Frörs in die Geschichte religionspädagogischer Konzeptionen und eine kritische Würdigung an.
Die »bleibende Aktualität« (374) sieht B. vor allem in Frörs Einsicht, dass religionspädagogisches Handeln auch in der Schule als ein »Wirkraum des Heiligen Geistes« (375) zu verstehen sei. In diesem »Wirkraum« sollten Kinder und Jugendliche »mit allen Sinnen« lernen (378), kommunikativ handeln und Gemeinschaft erleben, um an einer lebendigen religiösen Praxis partizipieren und ihr gegenüber mündig werden zu können. Teilhabe und Mündigkeit sind damit die beiden titelgebenden Leitbegriffe, die nach Auskunft B.s das religionspädagogische Handeln heute noch bestimmen sollten. In diesem Zusammenhang fragt B. auch danach, ob Frör als ein »Vorläufer« der performativen Religionsdidaktik gelten könne bzw. »die« performative Religionsdidaktik (die es als einheitliche Konzeption freilich nicht gibt) eine »Neuauflage der Evangelischen Unterweisung« (368) darstelle. Knapp, im Ergebnis aber überzeugend weist B. auf die Unterschiede hin: Während Frör im Rahmen des in Bayern bestehenden konfessionellen Schulwesens noch fordern konnte, dass der Religionsunterricht allen Kindern und Jugendlichen Partizipationsmöglichkeiten an einer religiösen Praxis anbieten »muss« und selbst eine Form gemeindlichen Le­bens ist (369), stellt sich die performative Religionsdidaktik der unterrichtlichen Herausforderung, wie der Perspektivenwechsel zwischen Partizipation (Teilhabe) und Reflexion (Mündigkeit) gelingen kann, wenn man es als Lehrkraft mit Kindern und Jugendlichen zu tun hat, die aus ihrer Lebenswelt keine religiöse Praxis mehr kennen.
Den drei Hauptteilen stellt B. eine Einleitung voran, in der er u. a. über seine Forschungsmethodik Auskunft gibt. Er betont da­bei, dass »die Geschichte des Fachs am besten« an konkreten Personen und ihren Entwürfen rekonstruiert werden sollte (18). Für eine an »Leben und Werk« interessierte Dissertation ist diese Einschränkung schon aus arbeitsökonomischen Gründen nachvollziehbar; die methodische Differenzierung der historischen Religionspädagogik in diskurs-, begriffs-, institutionen-, praxis- und wirkungsgeschichtliche Perspektiven hat jedoch in den vergangenen Jahren auch deutlich gemacht, dass mit einer an »Leben und Werk« orientierten Klassikergeschichte die Geschichte des Fachs nur eingeschränkt geschrieben werden kann. B.s im Ganzen überzeugende Darstellung bleibt daher in den Abschnitten ergänzungsbedürftig, in denen er Frör in die Geschichte der Katechetik und Religionspädagogik einzuordnen sucht (z. B. 354 f.). Auch die von Wilhelm Sturm 1984 erstmals zusammengestellte Abfolge klar ab­grenzbarer religionspädagogischer »Phasen« ist, worauf B. selbst hinweist (291), kaum dazu geeignet, die Kontinuitäten und Brüche in der religionspädagogischen Konzeptentwicklung im Untersuchungszeitraum zu erfassen. Hinzuweisen ist in diesem Zusam­menhang auch auf die 1977/1985 erschienene Darstellung des sog. Kirchenkampfes bei Klaus Scholder, die B. (im Unterschied zu neueren Arbeiten zu diesem Thema) dazu verleitet, von »den« Deutschen Christen und »der« Bekennenden Kirche zu sprechen (vgl. 50 u. ö.).
Die Person Frörs ist ein anschauliches Beispiel dafür, dass Kontinuitäten und Brüche in der Fach-, Konzeptions- und Theologiegeschichte differenzierter beschrieben werden müssen, als es noch vor zwei Jahrzehnten in Gesamtdarstellungen und Lehrbüchern üblich war. Die Dissertation bietet unter diesem Gesichtspunkt in allen Teilen viele erhellende und weiterführende Einsichten. So weist B. überzeugend nach, dass Folkert Rickers Verdikt von Frörs politischer Position auf einer selektiven Wahrnehmung seiner Schriften aus dem Jahr 1933/34 basiert: Zwar habe Frör in dieser Zeit »die Freiheit der kirchlichen Arbeit im Kontext der Schule durch eine gefährliche Nähe zur NS-Weltanschauung zu sichern« ge­sucht (99), sich in den Folgejahren jedoch davon distanziert. Luzide zeigt B. am Verhältnis Frörs zu seinem Doktorvater Paul Althaus, seiner freiheitsorientierten Interpretation von Luthers Zwei-Reiche-Lehre, seiner Teilnahme an der Bekenntnissynode von Barmen und an der Auseinandersetzung mit dem Jenaer Praktischen Theologen Wolf Meyer-Erlach, dass das Verhältnis von Staat und Kirche auf der individuellen und institutionellen Ebene viele Schattierungen kennt. Leben und Werk Frörs sind dabei auch ein Lehrstück über den innerkirchlichen Umgang mit Mitarbeitern unter den Bedingungen einer Diktatur: Die Kirchenleitung sprach ihm ge­genüber 1936 ein Verbot öffentlicher Vorträge außerhalb der Gemeinde aus und setzte ihn als Rundfunkprediger ab. B. urteilt in diesem Zusammenhang zurückhaltend und weist darauf hin, dass die nähere Erforschung dieses Falls »in den Aufgabenbereich der kirchenhistorischen Forschung« (103) gehöre. Insofern der Um­gang mit innerkirchlichen Meinungsverschiedenheiten und die Freiheit der Person gegenüber der Institution aber auch praktisch-theologische Fragestellungen sind, wird an diesem Beispiel noch einmal die Bedeutung historisch-systematischer Fallstudien in der Praktischen Theologie deutlich.
Hervorzuheben ist, dass B. die religionspädagogische Entwick-lung Frörs bis zu seiner Auseinandersetzung mit der problemorientierten Religionsdidaktik in den 1970er Jahren nachzeichnet. Die Rekonstruktion seines Denkens gewinnt dabei in den Ab­schnitten an Überzeugungskraft, wo sie über eine Zusammenfassung seiner Texte hinausgeht und nach den Bezugsautoren oder (impliziten) Gesprächspartnern fragt. So weist B. an dem 1952 er­schienenen Text »Erziehung und Kerygma« nach, dass Frör an Fried­rich Schleiermachers Bildungstheorie anknüpft, ohne ihn explizit zu nennen oder gar unkritisch zu übernehmen: »Der performative Charakter der Verkündigung bleibt in Frörs Konzeption entscheidend, während Schleiermacher die christliche Gemeinde als den Ort beschreibt, an dem durch darstellendes Handeln und die Zirkulation des frommen Bewusstseins jeder einzelne auf dem Weg der Selbstbildung voranschreitet« (227). Leider verzichtet B. auf ein Personen- und Sachregister, das den Lesenden an diesem Punkt der Lektüre die Möglichkeit eröffnet hätte, eigenständig der Frage nachzugehen, ob Schleiermacher oder der Begriff der Performativität auch in anderen thematischen Zusammenhängen von wie-derkehrender Bedeutung sind.
Ansonsten ist der Band in der von Michael Wermke herausgegebenen Reihe nicht zuletzt wegen des Bildanhangs sehr ansprechend und lesefreundlich gearbeitet. Im Ganzen hat B. damit eine Arbeit vorgelegt, der eine breite Rezeption über den Kreis der historisch interessierten Fachwelt hinaus zu wünschen ist.