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Ausgabe:

November/2012

Spalte:

1254–1256

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Ringleben, Joachim

Titel/Untertitel:

Gott im Wort. Luthers Theologie von der Sprache her.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2010. XIII, 638 S. 23,2 x 15,5 cm = Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie, 57. Lw. EUR 149,00. ISBN 978-3-16-150578-2.

Rezensent:

Tom Kleffmann

Joachim Ringleben stellt in bisher noch nicht gekannter Gründlichkeit und Ausführlichkeit sowie in schöner Klarheit Lu­thers Theologie als Theologie des Wortes Gottes dar. Die Theologie des Wortes Gottes erscheint dabei nicht als Teilthema der Theologie, sondern als Theologie im systematischen Ganzen. Es handelt sich also im Grunde um eine Gesamtdarstellung von Luthers Theologie. Diese Ge­samtdarstellung besteht aber nicht nur in einer äußerlichen Systematisierung der zahlreichen Fundstellen zum Thema Wort Gottes. Vielmehr erscheint sie im Rahmen eines sprachtheolo­gischen Entwurfs der Theologie, der auch sprachphilosophisch relevant ist, und für den (neben der Auseinandersetzung mit Wittgenstein, Benjamin, Heidegger und anderen) Gedanken J. G. Hamanns, W. von Humboldts und von B. Liebrucks maßgeblich sind. Wenn die Theologie ihre Sache durch das Wort hat, so erweist sich hier die Theologie im Ganzen als Sprachtheologie – und wie Gott und die »Theologie von der Sprache her zu begreifen« sind, so ist es die Sprache von Gott oder seinem Wort her (1–3). Gleichwohl bleibt dieser Entwurf Exegese Luthers. Das heißt, er ist nicht äußerlich an Luther herangetragen, sondern immer in erster Linie von den Texten her entwickelt, die in einer beeindruckenden Fülle entfaltet werden.
Das Buch beginnt mit einer Einleitung und einer Hinführung (1–28), die fast in einer Art Zusammenfassung – erst eher systematisch, dann eher im Blick auf Luther – den Ansatz der lutherischen Worttheologie darbieten und ihn von der Wort-Gottes-Theologie Karl Barths abgrenzen (hier ist das Wort Gottes nicht von der wirklichen Sprache her gedacht) und in Beziehung setzen zur hermeneutischen Theologie. Nach Luther ist Gott im Wort. Die Sprache ist die »Mitte, in der sich Gott und Mensch aufeinander beziehen« (10), d. h. ihre eigene Wahrheit ist der Logos Gottes. Das aber bedeutet, dass das Gespräch, in dem Gott zur Sprache kommt, zu Gottes eigenem Leben gehört (16) – ja dass Gottes in sich kommunikatives Leben ursprünglich begründet, was Sprache in Wahrheit ist. Das wahre Ganze ist Sprache, Gespräch.
Das Folgende bietet einen systematischen Durchgang durch das gesamte Korpus der Schriften Luthers, der das Wort als erstaunlich kontinuierliche Mitte der Theologie Luthers erweist und dabei zahlreiche bisher unbekannte, wertvolle Fundstellen aufschließt. Ab und zu finden sich systematische Resümees sowie exkursartige Auseinandersetzungen mit theologiegeschichtlich relevanten Po­sitionen der Lutherexegese.
Teil I, die »Grundlegung« (29–90), zeigt, wie Luther von dem Zusammenhang von Wort Gottes und Glaube aus zum einen die Sprache (das allgemeine Gespräch), zum anderen Gott versteht. Deutlich wird, wie präzise Luther die Sprache auch als Phänomen wahrnimmt und theologisch durchdenkt – etwa die Bedeutung des Verklingens der Rede, das Verhältnis von Wort und Satz, oder den Charakter der Allgemeinheit. Wie die Gegenwart oder Kondeszendenz Gottes wesentlich in dem menschlichen Wort geschieht, welches ihn verkündigt (»Gott redet nur durch Menschen als er selber«: 49), so ist dieses Wort als Handeln Gottes schöpferisch: Als Wort der Vergebung sowie als das die Sakramente in Kraft setzende Wort schafft es den Menschen neu, indem es ihn in die Gemeinschaft Gottes einholt. In Gott selber aber ist es das Wort, das er mit sich oder in sich selbst redet: der ewige Logos.
Teil II, die »Durchführung«, ist wie eine materiale Dogmatik ge­gliedert – freilich mit deutlichem soteriologischen Schwerpunkt. Auf die Kapitel »Schöpfung und Wort« sowie »Der Mensch als Wort-Geschöpf« folgt die Christologie: »Das menschgewordene Wort« (121–143). Hier steht zunächst Luthers Interpretation des Johan­-nesprologs im Mittelpunkt – Christus als das sichtbare Wort, als »Gestalt von Gottes eigenem sich an uns Kommunizieren« (122). Es zeigt sich, wie Luther die Zweinaturenlehre durch das Verhältnis von Schöpferwort und geschaffenem Wort (125) interpretiert. Die Hintergrunddiskussion mit W. von Humboldt und Liebrucks ist hier besonders intensiv; unaufdringlich und durchaus hilfreich finden sich bisweilen auch Hegelsche Interpretamente. Besonders interessant und innovativ erscheint der kurze Abschnitt über Jesus als Exegeten der Vatersprache (139 ff.). Sein Verstehen und Interpretieren des Alten Testaments »war das Empfangen des Wortes seines himmlischen Vaters und so sein Sich-selbst-Empfangen« (141).
Es folgt die eigentliche Soteriologie mit den kurzen, aber intensiven Kapiteln »Das sakramentale Wort« und »Kirche des Wortes« (170–192), in denen Luthers Konsequenzen für den Begriff der Kirche dargestellt werden: Christus ist das eine Wort, das, indem es alle hören, seine Gemeinschaft schafft. Das Kapitel »Gesetz und Evangelium« (193–251) ist zu Recht eines der ausführlichsten. Unter an­deren finden sich hier mehrseitige Interpretationen von Luthers Freiheitsschrift sowie von De servo arbitrio. Es geht um die entscheidende Konkretion des Wortes als Anrede: die Selbsterkenntnis durch das Gesetz, in der das unmittelbare Selbstsein negiert ist, ist die Voraussetzung dafür, dass Gott im Glauben des Evangeliums aus diesem Nichts den Menschen neu schafft. Dieser Zusammenhang ist der einheitliche Sinn des doppelten Wortes Gottes: Der »sündige Mensch« wird »radikal von sich unterschieden und entzweit«, »um außer sich mit dem rechtfertigenden Wort vereinigt zu werden« (205). Auch das Kapitel »Wort und Schrift« (252–443) ist überaus detailliert und gründlich gearbeitet; in »Wort und Glaube« (444–484) fallen Wiederholungen von bereits in an­deren Zusam­menhängen zitierten Passagen auf – allerdings ist das hier und an anderen Stellen kein Nachteil, weil durch solche Wiederholungen die Kapitel auch getrennt lesbar sind. In »Wort und Geist« (485–536) wird der Geist Gottes als die ge­wisse Präsenz Gottes im Vernehmen des äußeren Wortes be­stimmt. Hier wird auch ausführlich der Ge­sprächskontext erörtert – die Auseinandersetzung Luthers mit den »Schwarmgeistern«, für die sich der Geist nicht wesentlich im Wort vermittelt, sondern un­mittelbar behauptet wird.
Das Thema »Wort Gottes und Vernunft« (537–549) kommt m. E. etwas zu kurz. Das Grundverhältnis wird klar herausgestellt: dass die menschliche Vernunft Gott ohne die Kommunikation des Wortes nicht erkennt, sondern verfehlt. Insofern die Vernunft des Menschen für sich stets die Vernunft des alten Menschen ist, kommt es zum Widerspruch des Wortes. R. interpretiert, ganz im Sinne Ha­manns: die »Selbstermächtigung der Vernunft zu eigenem Urteil über Gott« (zu ergänzen wäre: und über den Menschen) »verdankt sich daher immer einem Ausstieg aus ihrer Sprachlichkeit« (542). Entscheidend ist, dass im Vernehmen des Wortes das Subjekt nicht für sich bleibt (vgl. 541). Wenn jedoch das Bestimmtwerden durch das Wort als eigene Möglichkeit der Vernunft erscheint, wird Luther vielleicht doch etwas harmonisiert. Der Gedanke einer Erleuchtung der Vernunft durch das Wort kommt zwar bei Luther vor, aber im Verhältnis zur Bestimmung des Widerspruchs doch eher selten.
Wie es sich gehört, macht die »Eschatologie des Wortes« (550–620) den Abschluss. Ein Schwerpunkt der Darstellung ist dabei die Interpretation des künftigen soma pneumatikon: Der Mensch wird selbst zum Wort werden; im reinen Vernehmen und reinen Antworten wird er zum Moment des Wortes, das Gott mit sich spricht.
Das Buch ist die gründlichste, tiefste Darstellung von Luthers Worttheologie, die vorliegt. Zudem ist sie elegant und schön ge­schrieben. Formal zu kritisieren wären allenfalls die bisweilen sehr dichten Zitatfolgen, die mitunter die Hälfte einer Seite füllen. Außerdem fehlt oft jede Einordnung der besprochenen Textpassagen in den Kontext der entsprechenden Schriften und wiederum deren geschichtliche Argumentationssituation. Schon eine regelmäßige Nennung der Schriften in den Anmerkungen wäre hilfreich gewesen. Die Ausweisung des Kontextes hätte das Buch freilich auch noch wesentlich umfangreicher werden lassen. So kann die Entscheidung, die Erarbeitung des Bezugs zum weiteren Kontext den interessierten Lesern zu überlassen, doch auch gerechtfertigt erscheinen. Methodisch bleibt die Frage offen, was die Möglichkeit, Luthers Sprachdenken im Horizont W. von Humboldts und von B. Liebrucks zu verstehen oder es jedenfalls mit ihren Mitteln zu interpretieren, eigentlich geistesgeschichtlich besagt. Stehen sie ihrerseits in der Wirkungsgeschichte Luthers? Hier wäre an Hamann als Vermittlungspunkt zu denken.
Summa: Für diejenigen, die theologisch dem Wort nachdenken, und für die, die wissen, dass von Luther zu lernen ist, handelt es sich um eines der schönsten und gehaltvollsten theologischen Bü­cher der letzten Jahre.