Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

November/2012

Spalte:

1251–1253

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Käfer, Anne

Titel/Untertitel:

Inkarnation und Schöpfung. Schöpfungstheolo­gische Voraussetzungen und Implikationen der Christologie bei Luther, Schleiermacher und Karl Barth.

Verlag:

Berlin/New York: de Gruyter 2010. XVI, 388 S. 23,0 x 15,5 cm = Theologische Bibliothek Töpelmann, 151. Geb. EUR 94,95. ISBN 978-3-11-022633-1.

Rezensent:

Ralf K. Wüstenberg

Die Tübinger Habilitationsschrift von Anne Käfer beabsichtigt, anhand der christologischen und schöpfungstheologischen Darstellungen von Luther, Schleiermacher und Barth Verbundenheit und Relation »der größten Gegensätze theologisch-adäquat zu den­ken« (1). Das Verhältnis von Gottes Menschwerdung zu seiner Schöpfung ist Gegenstand der wissenschaftlichen Abhandlung. Die anspruchsvolle dogmatische Studie geht »dabei sowohl auf den Inkarnierten und seine Inkarnation, auf den Schöpfer und seine Schöpfung wie auch auf die Möglichkeitsbedingungen der Er­kenntnis von Inkarnation und Schöpfung« (1) ein. Diese Aufgabe wird im Ganzen meisterhaft geleistet, wenn auch einigen Nebenspuren und manchen Verästelungen in der Darstellung der drei großen Theologen nachgegangen wird, die nicht immer notwendig zu dem zentralen wie überzeugenden Ergebnis beitragen, nämlich dass der Vergleich der theologischen Entwürfe (337–362) in der »Auswertung« (362–364) ausschließlich Luthers Position Recht gibt. Luther mache »in adäquater Weise zum einen Ernst mit Gottes Freiheit und Liebe sowie zum anderen mit der Sündhaftigkeit und Heilsbestimmtheit des Menschen als dem von Gott selbst gewollten, ansprechbaren, kooperativen und eigenständigen Ge­genüber Gottes« (364).
In drei großen Kapiteln werden die schöpfungstheologischen Voraussetzungen und Implikationen der Christologie bei Martin Luther, Friedrich Schleiermacher und Karl Barth erörtert. Dabei folgen die Kapitel weitgehend parallelen Aufbaukonzeptionen, die sowohl die Vergleichbarkeit vorbereiten als auch die systematische Durchdringung ermöglichen. Gleich zu Beginn hebt K. als eine schöpfungstheologische Voraussetzung unter Bezugnahme auf den Genesiskommentar Luthers hervor, dass »durch die Sünde die Schöpfung zwar verdorben, nicht aber zerstört worden sei« (31). Die ur­sprüngliche Erkenntnis Gottes ist den menschlichen Geschöpfen verwehrt; »nicht jedoch sei ihnen die geschaffene Befähigung ge­nommen, die ihnen der dreieinige Gott zu seiner Erkenntnis gegeben habe« (ebd.). Nach Luther ist es also für des Menschen Erlösung nicht nötig, dass er mit einer neuen Natur versehen werden müsste. Damit rückt der Versöhnungsgedanke vorbereitend in den Mittelpunkt des nachfolgenden Inkarnationskapitels. Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist hat durch den Inkarnierten seinen Heilswillen manifestiert.
K. arbeitet bei Luther die innere theologische Verschränkung von Trinität und Inkarnation heraus, indem sie darauf verweist, dass Gott als der absolut Allmächtige und ewig Freie sich dem Menschen auch in seiner Zuwendung zu ihm nicht verfügbar macht. Die reformatorische Unterscheidung zwischen deus revelatus und deus ab­sconditus reflektiere, dass neben der Bindung Gottes in der Inkarnation der zweiten Person der Trinität eben die Unverfügbarkeit des verborgenen und abstrakten Gottes bestehen bleibe. Anders gesagt: Wir wissen im Inkarnierten nicht alles Mögliche über Gott, aber alles Notwendige für unser Heil. Unter Inanspruchnahme von Predigt und Sakrament wirkt Gott zum Heil des Menschen.
K. arbeitet Schrift-, Predigt- und Sakramentsverständnis Lu­thers brillant heraus, wobei der Beichte in der sachlogisch inneren Verschränkung mit der Taufe ein größerer Raum hätte eingeräumt werden können. (Die Beichte bleibt zwar ohne äußeres Zeichen, hat aber als ein Vorgang des In-den-Zustand-des-soeben-getauft-wor-den-Seins bleibende Bedeutung für Luther). Im kurzen Ab­schnitt über das Wirken des Menschen (80 f.) bleibt die Interpretation einer conformitas mit Christus als cooperatio durch K. (vgl. 81) gewagt, wenn auch der Grundgedanke, der in vielem an Calvin erinnert, gut eingebunden ist und Grundgedanken Luthers aus dem Gala­-terkommentar mit denen des Genesiskommentars verbindet. Insgesamt hält K. fest, dass der Vollzug der Neuschöpfung nach Luther »in vollkommener Übereinstimmung mit seinem Verständnis der Schöpfung als des nach Gottes ewigem Heilswillen geordneten Werkes Gottes« geschehe (84).
Das große Schleiermacher-Kapitel (85–210), in das offenbar auch Ergebnisse aus früheren Beschäftigungen mit dem Kulturprotes­tanten einfließen konnten, führt sofort die anthropologisch von Luther verschiedenen Voraussetzungen vor Augen. Kurz: ein optimistisches Menschenbild und ein relativierendes Sündenverständnis. Der Mensch führe durch die in Raum und Zeit bedingte Schöpfungswirklichkeit »sein irdisches Dasein unter der Dominanz des sinnlichen Selbstbewusstseins und unter dem Einfluss der sündhaften menschlichen Gattung« (115). Die Sünde werde im zielstrebigen Schöpfungsprozess überwunden und »die ursprüngliche Vollkommenheit des Menschen realisiert« (ebd.) Gottes Liebe wird von Ewigkeit her als darauf ausgerichtet verstanden, die Menschen im Prozess ihrer Bewusstseinsentwicklung zur Gemeinschaft mit ihrem Schöpfer fortzubilden. Anstelle der communicatio idiomatum lehrt Schleiermacher, dass »das Wesen des Schöpfers, die ewige Liebe selbst, der Seele des Erlösers« einwohne (154). Zu Recht kritisiert K. an der christologischen Vorstellung der Einwohnung des göttlichen Wesens in der Seele eines Menschen die Reduktion der menschlichen Natur »auf einen bloß menschlichen Organismus« (155). Entsprechend organisch wird auch die Neuschöpfung des Menschen nach der Glaubenslehre gedacht, nämlich als die »Einpflanzung« des kräftigen Gottesbewusstseins »als neues Lebensprinzip« (GL 100,2,93). Während nach Luther die Auferstehung Christi Voraussetzung der Erkenntnis von Person und Werk des Erlösers ist, liegt es bei Schleiermacher anders. K. hebt die abweichende Bedeutung der Inkarnation, des »Eintretens« hervor. »Gerade die Inkarnation des Schöpferwortes gewähre dem menschlichen Geschöpf, in dem der Inkarnierte selbst Wohnung genommen hat, ein Leben frei von Sünde und ein Leben in Seligkeit.« (175) Mit Verwunderung wird am Schluss des Kapitels zu Recht darauf hingewiesen, dass im Hinblick auf die Sakramentslehre eine Spannung besteht. Einerseits schätzt Schleiermacher die Inkarnation als Be­gegnung des Schöpfers mit den Geschöpfen hoch; andererseits steht nicht die »menschliche Körperlichkeit, sondern das menschliche Bewusstsein im Vordergrund« (203). Die Wortverkündigung hat Vorrang vor Taufe und Abendmahl.
Im Gegensatz zu Luther und Schleiermacher verleiht Gott im theologischen Entwurf Karl Barths erst mit seiner Offenbarung das Vermögen zur Erkenntnis seines Wesens und seiner Schöpfung. Anders als nach Luther und Schleiermacher ist das Offenbarwerden des Heilswillens Gottes nicht die von Ewigkeit her bestimmte Absicht Gottes, sondern – wie K. herausarbeitet – »Gottes Replik« auf die nicht vorherbestimmte Sünde (272 f.). Im Hinblick auf die Inkarnation gelingt es nach dem treffenden Urteil von K. allein Luther, die Vereinigung von menschlicher und göttlicher Natur als »kommunikatives Geschehen« zu fassen. Abschließend wird über Karl Barth festgehalten: »Mit seiner Verhältnisbestimmung von Inkarnation und Schöpfung will Barth die absolute Freiheit Gottes und die Unterschiedenheit der Personen Gottes sowie das Ausgeliefertsein des Menschen an das Nichtige und dessen radikale An­gewiesenheit auf Gottes Gnade zur Geltung bringen.« (363)
Insgesamt handelt es sich um eine mit großer systematischer Kraft entfaltete Abhandlung, die durchgehend ein hohes theologisches Sprachniveau hält. Bleibend wichtig und zugleich provozierend sind dogmatische Bücher wie das vorliegende, weil es die fundamentale Bedeutung reformatorischer Theologie (und besonders Luthers) für zentrale Fragen (wie der Spannung zwischen Inkarnation und Schöpfung) unterstreicht. Das gilt besonders, weil die Gewissheitsfrage sich zunehmend im persönlichen Glaubensleben im Umfeld von Evangelischer Kirche und Theologie stellt und in der Gegenwart nach Antworten sucht.