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Ausgabe:

November/2012

Spalte:

1249–1251

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Harasta, Eva

Titel/Untertitel:

Die Bewahrheitung der Kirchen durch Jesus Christus. Eine christologische Ekklesiologie.

Verlag:

Leipzig: Evange­lische Verlagsanstalt 2011. 432 S. 23,5 x 15,5 cm = Arbeiten zur Systematischen Theologie, 3. Geb. EUR 58,00. ISBN 978-3-374-02890-0.

Rezensent:

Martin Hailer

Bei diesem Band handelt es sich um die an der Universität Erlangen eingereichte Habilitationsschrift von Eva Harasta, die in ihrer Zeit als Assistentin von Heinrich Bedford-Strohm in Bamberg entstand. Die Leitfrage ihres Buches lautet: »Wie bewahrheitet Jesus Christus seine glaubenden Gemeinschaften und wie entsprechen diese Ge­meinschaften seinem bewahrheitenden Handeln an ihnen?« Antwort: »Die Wahrheit der Kirche ist eine lebendige Wahrheit: Jesus Christus.« (17 f.) Es geht H. um evangelische Ekklesiologie am Leitfaden der Behauptung, dass nicht die Kirchen selbst sich in die Wahrheit führen, sondern dass das durch ihren Herrn geschieht, der sie dadurch zu Handlungen der Entsprechung aufruft.
In der Einleitung wird die Fragestellung exponiert und die im Buchtitel (»Kirchen«) anklingende ökumenische Perspektive präzisiert: Es ist möglich, von der wahren Kirche im Plural zu sprechen, da es sich bei ihr um vielgestaltige Wahrheit handelt. H. legt ausdrücklich eine Studie zum Konzept der Ökumene der Profile vor (15). Ihre christologische Konzentration rechtfertigt sie u. a. mit einem Hinweis auf Miroslav Volfs trinitarisch grundgelegte Ekklesiologie, deren Bezug auf die immanente Trinität als Leitgröße der Kirche sie vom Christusereignis her als zu abstrakt kritisiert (24 f.).
Der Hauptteil des Buches (27–379) besteht in der Analyse der Ek­klesiologien Martin Luthers, Aurelius Augustinus’, Dietrich Bonhoeffers und Paul Tillichs. Ihr Werk wird jeweils im Rahmen der einleitend beschriebenen christologischen Perspektivierung dargestellt. Für die nähere Konkretion dient H. das folgende doppelte Raster: a) Die wesentlichen Elemente der Christologie sind Inkarnation, Kreuzigung, Auferweckung und Erhöhung, b) die »anthropologisch-soteriologischen Kritierien« (106 u. ö.) sind Glaube, Liebe und Hoffnung. Beim jeweils zu bearbeitenden Autor macht H. aus, a) auf welches Momentum der Geschichte Christi er im Besonderen fokussiert – das bezeichnet den Aspekt des bewahrheitenden Handelns Christi – und b) wie die Gestalt von Glaube, Liebe und Hoffnung – die Entsprechung auf Kirchenseite – entsprechend an­gestoßen wird.
Das Miteinander dieser Rasterelemente nimmt sich beim Kapitel über Luther so aus: Der Reformator konzipiert die Kirche vor allem um das Kreuzesereignis als der Heilstat Gottes, in der Gericht und Gnade offenbar und wirksam werden. Die Gemeinde ist dann als Gemeinschaft des auferweckten Gekreuzigten zu denken. (78 u.ö.) Dem korrespondiert schwerpunktmäßig die Liebe als anthropologisch-soteriologisches Kriterium, weil der Fokus auf der gegenwärtigen Bewahrheitung der Kirche durch die Präsenz Christi liegt. So wird verständlich, warum der Aspekt der auf Zukunft gerichteten Hoffnung in der Ekklesiologie Luthers eine vergleichsweise geringe Rolle spielt.
Im Kapitel über Augustinus (107–192) findet sich die Leitidee des Buches, Christus sei die Wahrheit selbst und damit auch die Wahrheit der Kirche (148 zit. De Civ XI,2). H. legt eine Lektüre von De civitate Dei auf die ekklesiologischen Implikationen des Werks hin vor. Sie liest das Werk als explizit heilsgeschichtlich orientierte und damit nicht platonisch überformte Theologie. Auch gegen den Vorwurf eines nachwirkenden Manichäismus nimmt sie – wenngleich vorsichtig – Augustin in Schutz (129). Schlüsselthese ist die in der Augustinforschung gut bekannte Annahme, dass civitas terrena und civitas Dei nicht zwei abgrenzbare Organisationen sind, sondern es sich bei ihnen um bis zum Gericht ineinander liegende Größen handelt, eher Grundausrichtungen als Organisationen vergleichbar (135.145 ff.187). Christus ist die Mitte beider civitates (149). Von diesem Verstehensansatz her fällt auf eigene Ideen Augustins kritisches Licht, etwa auf die vom compelle intrare (125) oder auf den doppelten Ausgang des Gerichts (161 ff.). Auch kommt H. auf Joseph Ratzingers Augustin-Dissertation zu sprechen, in der Kirche und civitas Dei näher zusammenrücken, als sie es einleuchtend findet. Das wird zurückgewiesen, aber nicht eigens diskutiert (180). Insgesamt zeigt sich eine Ekklesiologie, die von der Menschwerdung Gottes als entscheidendem Ereignis in der Geschichte her denkt und auf Liebe als wichtigstem Aspekt des kirchlichen Antwortverhaltens zentriert ist (192).
Auch die Analysen zu Bonhoeffer und Tillich folgen dem Schema, jeweils ein Momentum aus der Geschichte Christi als zentral auszumachen und die Akzentuierung von Glaube, Liebe und Hoffnung ihm entsprechend zu verstehen. Neben längeren Strecken im Gestus des Berichts zeigen sich hier folgende Pointen in der Interpretation: H. hält Bonhoeffer vor, mit seiner Konzentration auf das Thema der wirksamen Gegenwart Christi eine eigenständige Rolle des Heiligen Geistes unmöglich zu machen (246 f.273). Tillich ist demgegenüber mit dem Vorwurf konfrontiert, eine gleichsam zu eigenständige Pneumatologie zu konzipieren, da er seine Ekklesiologie ganz vom erhöhten Christus her denkt und nicht mehr explizit christologisch regelt (366 f.).
Im Schlusskapitel werden die wichtigsten Ergebnisse zusam­mengeführt und einige Konsequenzen angedeutet. So plädiert H. dafür, die – explizite – Wortgemeinschaft der Kirche und die – weniger explizite – Geistgemeinschaft zu unterscheiden und doch aufeinander zu beziehen (399). Die angestrebte ökumenische Hermeneutik kommt darauf hinaus, dass dann von Christi Bewahrheitungshandeln in einer Kirche gesprochen werden kann, wenn in ihr alle Elemente des christologischen und anthropologisch-so­teriologischen Doppelrasters vorhanden sind (404). Das Buch plädiert also für christologische Vollständigkeit in der Ekklesiologie.
Die doppelte Rasterung ist eine originelle Idee, um komplexe Entwürfe aus verschiedenen Zeiten und Diskursen zueinander ins Verhältnis zu setzen. Rückfragen ergeben sich an zwei Stellen: Einmal ist mindestens der erste Rasteraspekt fragwürdig, weil er in der Tradition der Heilstatsachen Aspekte des Christusereignisses isoliert und damit zum Beispiel die Verkündigung Jesu ignoriert. Das altprotestantische Schema der status und munera Christi – in sich nicht ohne Probleme der Starrheit wegen – zeigt sich hier als ergiebiger. Wichtiger ist der zweite Aspekt, dass die Analysen H.s nur in wenigen Fällen über die Anwendung des Rasters selbst hinausgehen und dass das in Andeutungen verbleibt. Systematische An­schlussprobleme in der Gegenwart werden gelegentlich benannt, durchgängig aber nicht bearbeitet; auch werden die Kritikpunkte an Bonhoeffer und Tillich nicht mit der jeweiligen Forschungsliteratur diskutiert. So entsteht der Eindruck eines selbstreferenziellen begrifflichen Systems, das die Aufgabe der gegenwärtigen An­schlussfähigkeit und Verantwortung des Beschriebenen punktuell aufscheinen lässt, nicht jedoch in Angriff nimmt.