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Ausgabe:

November/2012

Spalte:

1242–1244

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Bedford-Strohm, Heinrich [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Glück-Seligkeit. Theologische Rede vom Glück in einer bedrohten Welt.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie 2011. 144 S. 22,0 x 14,5 cm. Kart. EUR 19,90. ISBN 978-3-7887-2493-1.

Rezensent:

Walter Dietz

»Glück« ist ein die Grenzen des wissenschaftlichen Interesses überschreitendes Thema der Menschheit. Das deutsche Wort Glück vereint fortuna, abhängig von Kontingenz und Schicksal, und beati­-tudo als Erfüllung des menschlichen Daseins (90 f.99). Mit der Doppelbezeichnung »Glück-Seligkeit« sind die Seligpreisungen der Bergpredigt (Mt 5,3 ff.) im Blick und damit zugleich das die Doppelbödigkeit des Glücks hinterfragende Thema der Glückseligkeitswürdigkeit.
Das Sammelbändchen nimmt seinen Ausgangspunkt bei der modernen Glücksforschung (7–11), sucht also einen weltoffen-säkularen Zugang, worin die Stärke und zugleich auch die Schwäche des schmalen, leicht lesbaren Bändchens liegt. Es basiert auf einer Tagung der Gesellschaft für Evangelische Theologie in Erfurt (Februar 2011) und enthält Beiträge von Christiane Bindseil, Ulrike Bundschuh, Heino Falcke, Christian Illies, Isolde Karle, Ulrike Link-Wieczorek, Ralf Miggelbrink, Jürgen Moltmann, Piet Naudé, Thomas Naumann, Gerdi Nützel und Reiner Strunk. Die Beiträge beanspruchen wohl nicht, einen wissenschaftlich profunden Zugang zur Glücksthematik zu erschließen, sondern kreisen mehr assoziativ um das Thema. So entsteht ein lockeres, gut lesbares Bändchen, dem mitunter etwas der Tiefgang fehlt.
Bei Link-Wieczorek werden die neueren »Re-Visionen« der Glücksthematik durch J. Lauster (2004) und R. Leonhardt (2010) rekapituliert (29–33). Bei Chr. Illies wird der prekäre Aspekt des sich entziehenden Glücks analysiert: Glück ist weder verfügbar noch machbar. Auch ist es nie dauerhaft. Doch scheint der Philosoph eine theologisch anschlussfähige Maxime zu haben, indem er sagt, dass das »Streben nach Glück […] nur Erfüllung finden« kann, wenn wir den anderen um seiner selbst willen annehmen, d. h. »nicht bloß als Mittel zum eigenen Glück« (50, mit Anklängen an I. Kant).
Isolde Karle knüpft mit Michael Roth an M. Luther an: Glücklich kann nur werden, wem es gelingt, die »Fixierungen des eigenen Lebens« – insbesondere die Selbstfixierung – zu durchbrechen. Ein solcher Durchbruch ist nur episodisch möglich, weshalb das Glück ein episodisches Augenblicksphänomen bleibt (60). Der unfreie Wille (Luther) bringt es allerdings mit sich, dass wir uns »aus unserer Selbstbezogenheit nicht selbst befreien« können (61 f.). Damit ist die Glücksthematik in die soteriologische Dimension gesetzt. Mit Michael Roth weist Karle darauf hin, dass »Freiheit und Gelassenheit […] kein Besitz des Glaubenden« sein können (62; entgegen dem aristotelisch-thomasischen Ha­bitusschema). »Wahrhaft glücklich ist nur der, der frei wird von den Fixierungen des eigenen Lebens und sich dadurch für den Nächsten, seine Freude und seine Not öffnet.« (63) Karles seelsorgerlicher Ratschlag geht dahin, den Menschen das »gesellige und beglückende Zusammensein mit anderen Menschen« zu erschließen, statt sie dazu zu verleiten, sich verzweifelt an sich selbst »abzuarbeiten« (67). Die Devise heißt also: loslassen, um für die Gegenwart von Neuem frei zu werden.
Thomas Naumann (Uni Siegen), von Haus aus Alttestamentler, geht von der biblischen Skepsis und Zurückhaltung gegenüber dem Eudämonie-Begriff aus (69 f.). In den biblischen Schriften ist »das gute Leben stets an Gott gebunden. Das gute Leben ist keine Folge autonomer Selbstbestimmung, vielmehr wird der Lebensgewinn als göttliche Gabe verstanden.« (71) Alttestamentlich wird das Glück rein »diesseitig erfahren«: Schalom, Nachkommenschaft, langes und erfülltes Leben (72). Bei Hiob wird die Einsicht in die »Unverfügbarkeit des guten Lebens« virulent, der Tun-Ergehens-Zusammenhang zerbricht (72). Die Verortung und Erreichbarkeit des Glücks bleibt im Alten Testament um­stritten, doch liegt es nicht »in der Fülle des Augenblicks«, sondern in der Ge­wissheit der dauerhaften Gottesgegenwart (75). Bei Kohelet gerät die Glücks­thematik an ihre Spitze (Koh 1,2 »alles ist häwäl«, abgeschwächt als vergänglich statt als nichtig interpretiert, 78) und an ihre Grenze, denn von »Gottes Hand« kommt und »nicht im Menschen liegt das Glück« (77; Koh 2,24 cf. 26 – nicht 2,4!). Naumann sieht die Pointe bei Koh darin, dass »die Einsicht in das unvermeidliche Sterben« nicht zur Verzweiflung am Leben führt, sondern »zu einer heiteren Gegenwärtigkeit« – einer »Achtsamkeit für das Alltägliche« –, in der das Streben stillgelegt wird (81). Aber wie sich diese Stilllegungsmaxime zur Bejahung des Glücksstrebens bei Koh verhält, bleibt dann doch merkwürdig offen. Bei Jesus, der »die prophetisch-eschatologische Tradition fortführt und zuspitzt«, findet sich schließlich die »Glückszusage gerade an diejenigen, die nichts zu lachen haben« (86 f.). Von Jesu Weisung her, das Sorgen sein zu lassen (Mt 6,25 ff.), wird »allem Strebensglück eine Abfuhr erteilt« – der Mensch soll sich »Leben schenken« lassen (88). Jesus befreit so »von der Illusion, fromme Strategien des guten Lebens entwickeln zu können« (ebd.). Ralf Miggelbrink geht in seiner Unterscheidung von Glück als fortuna und als beatitudo davon aus, dass zwar der Beatitudo-Begriff biblisch angemessener ist, jedoch das Moment der Unverfügbarkeit (fortuna) unausblendbar bleibt (99).
Christiane Bindseil analysiert D. Bonhoeffers Glücksverständnis und versucht, es von Adorno her aufzuhellen. Ein derartiges Unterfangen ist schwierig, salopp gesagt: Glückssache. Beide, Bonhoeffer wie Adorno, wenden sich mit Nietzsche gegen ein außerweltlich-asketisches Glücksstreben, das aus der Gebrochenheit der Welt ins Jenseits flüchtet und irdisches Glück zu denunzieren, d. h. madig (»wurmstichig«, 112) zu machen, sucht. Für Bonhoeffer bedeutet Unglück nicht Gottesferne; aber »unglücklich sein wollen – das ist Lästerung und eine schwere Krankheit der Seele« (112 / DBW 12,184 f., Herv. W. D.). Dabei verinnerlicht Bonhoeffer den Glücksbegriff und löst beatitudo von fortuna ab: »Was heißt denn glücklich und unglücklich? Es hängt ja so wenig von den Umständen ab, sondern eigentlich nur von dem, was im Menschen vorgeht.« (116, Brautbriefe)
Jürgen Moltmann beginnt seinen Beitrag »Glück-Seligkeit« mit dem – vielleicht nicht unbezweifelbaren – Satz: »Glück ist irgendwo zwischen Erfolg und Gnade angesiedelt.« (128) Wohl müsse das »gute Leben« vom »ewigen Leben« unterschieden werden, doch sei es falsch, irdisches Glück unter eschatologischen Vorbehalt zu stellen. Das »Jetzt-schon« komme vor dem »Noch-nicht« (130, mit Verweis auf 2Kor 6,2): »im erfüllten Leben kommt schon die ewige Fülle des Lebens auf« (ebd.).
In ihrer Predigt beschreiben Gerdi Nützel Glück als Kontingenz, Heino Falcke als Kommunikation und Ulrike Bundschuh als Antizipation (131–137). In der abschließenden Andacht von Reiner Strunk wird im Anschluss an Matthias Claudius (im Kontext »präromantischer Naturlyrik«, 140) der Zusam­menhang von Glück und Dank herausgestellt (138 ff.).
Alles in allem liegt ein sehr hübsches, jedoch ziemlich polymorphes und weithin assoziativ verfahrendes Bändchen vor, das – unglück-licherweise – recht spartanisch ganz ohne Register und leider auch ohne Bibliographie daherkommt. Es liefert viel Anregungen, wenngleich keine systematisch-profunde Aufarbeitung des »recht unübersichtlichen Gewebes« (Strunk, 138) der Glücks-Problematik. Die Gesprächslage nach Nietzsche und Adorno ist voll erfasst, weit weniger jedoch die neuplatonische Reflexion auf Glück und Erfüllung.