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Ausgabe:

November/2012

Spalte:

1233–1235

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Ramal, Randy [Ed.]

Titel/Untertitel:

Metaphysics, Analysis, and the Grammar of God. Process and Analytic Voices in Dialogue.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2010. X, 267 S. 23,2 x 15,5 cm = Religion in Philosophy and Theology, 53. Kart. EUR 64,00. ISBN 978-3-16-150586-7.

Rezensent:

Thomas Wabel

Auf welche Wirklichkeit beziehen sich Aussagen über die Welt und über Gott? Die Klärung dieser und ähnlich grundlegender Fragen der Religionsphilosophie verlangt nach einer Verhältnisbestimmung von Metaphysik und Religion. In dem vorliegenden Sammelband werden hierfür die für die englischsprachige systematische Theologie und Religionsphilosophie besonders maßgeblichen Denktraditionen der analytischen (Religions-)Philosophie und der Prozessphilosophie und -theologie aufeinander bezogen. Das ist ein anspruchsvolles Unterfangen, scheinen sich doch die beiden hier vor allem diskutierten Hauptvertreter der genannten Richtungen in ihrem Ansatz geradezu zu widersprechen: Alfred North Whitehead entwickelt in seinem Hauptwerk Process and Reality (1929) eine spekulative Metaphysik, die in einer Kosmologie und Ereignisontologie ein physikalisches Weltbild mit einer Logik der Relationen und dem Gottesbegriff vereint; Ludwig Wittgenstein dagegen entlarvt auf dem Weg vom Tractatus logico-philosophicus (1918) zu den Philosophischen Untersuchungen (1945) metaphysische Fragen als »Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache« (Philosophische Untersuchungen, 109), die sich durch grammatische Untersuchungen und die Rückführung der Wörter auf ihre alltagssprachliche Verwendung auflösen lasse. Religionsphilosophie vollzieht sich im einen Fall durch Einbettung der Religion in eine kosmologische Metaphysik, im anderen durch be­wussten Verzicht auf Aussagen über die Welt als ganze. Dennoch verdanken sich, wie R. Ramal in seiner Einleitung hervorhebt, beide Denkrichtungen der Suche nach dem Verhältnis von Wahrnehmung und Glaube einerseits und der durch sie vermittelten Wirklichkeit andererseits (5).
Der Band ist Ergebnis eines mehrstufigen Dialogs: Im Rahmen der Whitehead Conference 2006 in Salzburg wurden (religions-) philosophische Dialog-Beiträge je eines englischsprachigen Vertreters aus der analytischen Tradition und der Prozessphilosophie erbeten; die so entstandenen Texte wurden wiederum reflektierenden Kommentaren Dritter unterzogen (2). In einem weit gespannten und disparaten Feld wird so eine thematische Zentrierung möglich. In vier Themenbereichen beziehen sich jeweils drei Beiträge aufeinander.
Exemplarisch verdeutlicht das Zwiegespräch von J. A. Keller und D. Z. Phillips im ersten Teil, Philosophy of Religion, die unterschiedliche Zugangsweise von Prozessphilosophie und Analytischer Philosophie. Im Blick auf die Theodizeefrage betrachtet Keller in prozesstheologischer Tradition Gott als einen moral agent auf gleicher Ebene mit anderen. Dies impliziert, von Wünschen Gottes zu sprechen, die ein Einflussfaktor im fortlaufenden Prozess des Universums sind (38 f.). Phillips als analytischer Religionsphilosoph lehnt dies ab: Von Gottes Handeln ist auf spezifisch andere Weise zu sprechen als von menschlichem Handeln, für das eine geteilte Sprache und Lebensform Voraussetzung sind (49). In seinem Kommentar zu der Auseinandersetzung führt R. Faber den Dissens auf die von Philipps getroffene und von Keller übernommene, unhinterfragte Voraussetzung eines theistischen, von op­pressiven Elementen durchsetzten Gottesbildes zurück. Doch ruht nicht sein Gegenvorschlag, Gott – einem prozessphilosophischen Verständnis von Inkarnation folgend – durchaus als innerweltliches Objekt, als Objekt von Verfolgung und Tod nämlich, aufzufassen (96), seinerseits auf ungeklärten Voraussetzungen? Denn mit dem Anspruch einer metaphysischen Einbettung von Gott und Welt lässt die Prozessphilosophie ebendie Voraussetzungen menschlichen Redens von Gott unbearbeitet, um deren Klärung sich die analytische Sprachphilosophie bemüht.
Auch der zweite Teil, Philosophical Theology, fragt nach den Implikationen prozessphilosophischen Denkens für die Gotteslehre. Stehen nicht Gottes Aseität und Souveränität im Widerspruch dazu, sein Schöpfungs- und Erlösungshandeln als Ausdruck einer Veränderung in Gott zu verstehen? In Auseinandersetzung mit der Prozessphilosophie Ch. Hartshornes bejaht J. W. Richards diese Frage und setzt an die Stelle einer von ihm als classical theist bezeichneten, mit dem Denken einer Veränderung in Gott unvereinbaren Position die eines theological essentialism: Wesenhafte Eigenschaften Gottes wie seine Vollkommenheit und Unwandelbarkeit seien zu unterscheiden von kontingenten Eigenschaften, die aus seinem Entschluss resultieren, ebendiese Welt zu schaffen (108). In je unterschiedlicher Akzentuierung kritisieren D. W. Viney und D.A.Dombrowski die modallogischen Voraussetzungen Ri­chards’ in der Frage nach möglichen, von Gott geschaffenen Welten. Es gilt hier, einerseits eine einfache Gleichsetzung menschlicher Vorstellungen von Veränderung mit Veränderung in Gott zu vermeiden (God is immutably mutable, 169) und andererseits Analogien zwischen Menschlichem und Göttlichem nicht gänzlich auszuschließen (170 f.).
Der dritte Teil, Philosophy of Language, bringt mit P. Horns Beitrag zunächst eine hilfreiche historische Rekonstruktion der gemeinsamen Ursprünge und unterschiedlichen Akzentuierungen, die der Weltbegriff bei Russell, Whitehead und Wittgenstein erfährt. Die Frage nach dem Sinn religiösen (Sprach-)Handelns ist, so Ch. Taliaferro, von einem realistischen Weltbegriff nicht abzulösen. Ein Begriff von »Welt« vermag, so auch V. Colapietro, auch unter den Voraussetzungen eines Verständnisses von Sprache als geteilter Praxis einen »Sinn für Totalität« zu vermitteln, der für die Orientierung menschlichen Handelns unabdingbar ist (207) und den keine sprachkritische Reflexion zum Verschwinden bringt (210).
Der vierte Teil, Metaphysics, ist der Frage nach dem Verhältnis von Metaphysik und Grammatik (in Wittgensteins Sinn) gewidmet. Kann man von einer »guten Metaphysik« im Sinne eines distinkten Sprachspiels sprechen (215 f.)? In seiner Diskussion ausgewählter amerikanischer Beiträge (D. W. Gotshalk, Ch. Hartshorne, L. Lundeen und K. Schilbrack) verneint R. Ramal dies: Eine »deskriptive Metaphysik« ist nicht gleichbedeutend mit einer grammatischen Untersuchung, denn sie verfolgt mehr als nur die Klärung des Sprachgebrauchs in unterschiedlichen Kontexten und trifft verallgemeinernde Aussagen über die Wirklichkeit (231). Dennoch gibt es, so P. Simons, eine »gute Metaphysik«, die mit einem semantischen Zusammenhang zwischen unseren Begriffen und der Welt rechnet und so zum Verständnis der Wirklichkeit beiträgt, ohne diese Wirklichkeit einfach für bare Münze zu nehmen (240 f.). Ob die von Simons eingenommene »naturalistische« Position freilich dem Reichtum ästhetischer und ethischer und religiöser Phänomene gerecht wird, wenn sie diese als »Aspekte menschlicher Ansichten des einen Kosmos« versteht (238), ist fraglich. Ein ab­schließender Vorschlag von G. R. Lucas, Jr. zu Kriterien für »gute Metaphysik« verknüpft Whiteheads Anliegen mit Wittgensteins Re­striktionen: Philosophische Spekulation muss in alltäglicher Er­fahrung beginnen und zu ihr zurückführen (251).
Der Band bietet dem deutschsprachigen Leser einen zugänglichen und instruktiven Einblick in die unterschiedlichen Voraussetzungen prozessphilosophischen und sprachanalytischen Denkens in gegenwärtiger englischsprachiger Religionsphilosophie. Formale Mängel wie gelegentliche falsche Seitenzahlangaben in den Bezugnahmen auf andere Texte des Buchs sind im Zustandekommen nachvollziehbar, gleichwohl bedauerlich. Begrüßenswert ist der Namensindex; angesichts der vielfältigen sachlichen Überschneidung der Beiträge wäre ein Sachindex hilfreich gewesen.