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Ausgabe:

November/2012

Spalte:

1226–1228

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Höhn, Hans-Joachim

Titel/Untertitel:

Der fremde Gott. Glaube in postsäkularer Kultur.

Verlag:

Würzburg: Echter 2008. 269 S. 22,5 x 14,0 cm. Kart. EUR 18,00. ISBN 978-3-429-03043-8.

Rezensent:

Malte Dominik Krüger

Der Ausgangspunkt der Studie des Kölner Religionsphilosophen und Theologen Hans-Joachim Höhn ist eine diagnostizierte Spannung im gegenwärtigen Diskurs: So ist einerseits von einer Renaissance der Religion die Rede, die auf die Mängel säkularer Gesellschaften reagieren soll, und andererseits meldet sich ein neuer Atheismus öffentlichkeitswirksam zu Wort, der eine endgültige Entlarvung der Religion anstrebt (5–10). Das erste Kapitel (13–98) setzt daran anschließend mit der Aufgabe der Theologie ein, in eine (Selbst-)Auseinandersetzung mit dem Phänomen des säkularen Zeitgenossen zu treten, der die Rede von Gott schon im Ansatz für eine ungerechtfertigte Zumutung hält. Letzteres hat auch durch­aus Anhalt, so H. Sowohl der Versuch der theoretischen Vernunft, Gott beweisend zu plausibilisieren, als auch der Versuch der praktischen Vernunft, Gott als mitlaufende Sinnoption zu unterstellen, verstärken den neuzeitlichen Verdacht: Gott ist lediglich eine abzuschaffende Projektion des Menschen, wie dies auch in den jüngsten Wellen von Spiritualität eine Bestätigung zu finden scheint. Denn auch hier bedarf es keineswegs eines Gottes. Ohnehin gilt dies für die neuzeitliche Naturwissenschaft. Auch der Versuch, diese Entfernung des Gottesgedankens durch den Hinweis auf eine gewisse Dialektik von Säkularisierungsprozessen zu relativieren, führt für H. nicht daran vorbei. In der Moderne ist Gott nicht notwendig. Soll er gedacht werden, dann ist er entsprechend zu denken, nämlich als ein Gott, den die Welt nicht braucht. Doch warum sollte man dann diesen Gott noch denken wollen? Die Antwort H.s lautet: Weil der Gottesgedanke dafür stehen kann, dass Menschen sich mit der Wirklichkeit in ihrer Faktizität von Tod, Leiden und Ungerechtigkeit nicht abfinden wollen. Diese Weigerung erfolgt im Wissen um die eigene Begrenztheit. Der Gottesgedanke findet demnach postsäkular Anhalt an Erfahrungen der Negativität und Hoffnungen der Kontrafaktizität. Anschlussfähige Gedankenfiguren sind für H. in der theologischen Tradition der negativen Theologie zu finden, wenn sie in Korrektur einer einseitigen Offenbarungstheologie die Negativität Gottes als Ausdruck seiner verborgenen Gegenwart deutet.
Das zweite Kapitel (99–152) bestreitet, dass die biblische Überlieferung keine negative Theologie kennt. Für H. ist die Offenbarung als präzise Verbergung der Verborgenheit Gottes zu verstehen, so dass Gottes Gegenwart indirekt und negativ gegenwärtig wird. Alttestamentlich beruft sich H. auf klassische Stellen der Gotteslehre: Die Namensoffenbarung Gottes (Ex 3) stellt eine Nähe her, die gerade darin unnahbar bleibt; der Wunsch, Gott zu erkennen, lässt sich lediglich a posteriori erfüllen, wenn Gottes Rücken im Vorübergehen erkennbar wird (Ex 32 f.); Gott offenbart sich in der Stimme des Schweigens (1Kön 19) und wahrt in der persönlichen Begegnung deutlich Distanz (Gen 32). Neutestamentlich beruft sich H. darauf, dass die Offenbarung in Jesus Christus die Verborgenheit Gottes nicht beseitigt, sondern das Bilderverbot erfüllt: Die Botschaft und das Geschick Jesu verbieten es, Gott einfach mit einem Teil der Wirklichkeit oder mit deren Gesamtheit gleichzusetzen. Die Gott­ebenbildlichkeit Jesu Christi besteht nach H. vielmehr in der Weise unbedingter Zuwendung; damit wird eine relationale Sichtweise maßgeblich.
Das dritte Kapitel (153–197) verortet diese Lesart negativer Theo-logie im philosophischen Diskurs, der die miteinander verschränkten Fragen nach Sinn und Faktizität thematisiert: Das menschliche Dasein ist fraglos da und genau darin fragwürdig, in­sofern es auch nicht sein könnte, mithin zwischen dem Nicht-mehr-Sein und dem Noch-nicht-Sein steht. Damit besetzt das Nichts die traditionelle Stelle des Gottesgedankens: Es wird als un­bedingt, unausweichlich und übermächtig erfahren. Neben der Deutung des modernen Nihilismus, wonach das menschliche Da­sein sinnlos ist, so H., gibt es auch die Deutung der negativen Theologie, wonach das menschliche Dasein in der Begegnung mit seiner abgründigen Existenz die sinnstiftende Gegenwart des verborgenen Gottes erfährt. Auf der Linie der negativen Theologie ist die Zwecklosigkeit des menschlichen Daseins dann der Ausdruck seiner Selbstzweckmäßigkeit – und damit seiner wohltuenden Freiheit.
Das vierte Kapitel (199–251) plädiert im Anschluss an die Selbstrelativierung des »linguistic turn« für den gegenwärtig in den Kulturwissenschaften im Kommen stehenden »iconic turn«: Unsere Zeit wird zunehmend von dem Zeichensystem der Bilder be­herrscht. Dies hat nicht nur eine ethische Dimension, so H., sondern auch eine theologische, wenn gefragt wird, was an menschlichen Gottesbildern nicht nur haltlose Einbildung ist. Eine mögliche Antwort findet H. in der cusanischen Abhandlung »De visione Dei«: In einer bildtheoretischen Gottesrede können Vollzug und Bestimmtheit in einer »Performance« zusammenfallen. Dabei wird die Frage nach der Wahrheit entsubstantialisiert, insofern sie an die Kontextualität einer performativen Praxis verwiesen ist.
Das fünfte Kapitel (237–251) ist vor dem Hintergrund autobiographischen Erlebens ein eindringliches Plädoyer für das zuvor Dargelegte. So weigert sich H., die Fremdheit des Gottes der negativen Theologie abzumildern und auf eine die Theodizeeproblematik und Willensproblematik versöhnende Weise zu verrechnen.
Bilanzierend sind m. E. insbesondere zwei miteinander verknüpf­te Pointen hervorzuheben, nämlich erstens die Verschränkung von bildlicher Fokussierung und entzogener Gottespräsenz sowie zweitens die Verschränkung von negationsbestimmter Er­fahrung und kontrafaktischem Gottesgedanken. Anzufragen sind m. E. insbesondere zwei Punkte, nämlich erstens die Frage, ob die weltliche Nichtnotwendigkeit nicht noch stärker in die Konstruktion der internen Struktur des Gottesgedankens zu verfolgen ist, und zweitens die Frage, warum das teilweise dezidiert vorhandene Bewusstsein gegenwärtiger Bildtheorie, eine Erbin negativer Theo logie zu sein, nicht noch mehr systematisch einbezogen wird. Anzumerken sind m. E. insbesondere zwei Affinitäten, die nicht eigens un­terstrichen werden, nämlich erstens die Möglichkeit einer Verbindung mit Luthers Kreuzestheologie (über das Motiv vom »Rücken« Gottes, insofern Gott allein a posteriori erschlossen ist) und zweitens die Möglichkeit einer Verbindung mit spätidealistischen Theorien des Absoluten (die bei Fichte und Schelling die Bildthematik in ihrer grenzdialektischen Erscheinung aufnehmen können).
Insgesamt ist die Studie ein pointiert formulierter, intellektuell ansprechender und zeitdiagnostisch anschlussfähiger Entwurf einer negativen Theologie, der unbedingt Beachtung verdient.