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Ausgabe:

März/1996

Spalte:

296–298

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Schmidinger, Heinrich

Titel/Untertitel:

Der Mensch ist Person. Ein christliches Prinzip in theologischer und philosophischer Sicht.

Verlag:

Innsbruck-Wien-Tyrolia 1994. 158 S. gr.8o. ISBN 3-7022-1952-8.

Rezensent:

Hermann Fischer

Die philosophische Anthropologie, ein klassisches Themenfeld der Philosophie bis hin zu den großen Konzeptionen M. Schelers, H. Plessners und A. Gehlens in der ersten Hälfte des 20. Jh.s, scheint aus der Philosophie ausgewandert zu sein, ist dort jedenfalls nur noch von marginaler Bedeutung. Seit einigen Jahrzehnten wird sie von einer durch christliche Grundannahmen geprägten Philosophie bzw. Religionsphilosophie wahrgenommen, und hier vor allem von der katholischen Theologie mit ihrer breiten philosophischen Tradition. Das gilt auch für die Monographie des Mediävisten und emeritierten Ordinarius für Philosophie an der Salzburger Universität; schon der Untertitel signalisiert die geistige Herkunft und das spezifische Interesse. Mit ihr hat der Vf. so etwas wie eine kurzgefaßte Summe seiner philosophischen Anthropologie in christlicher Perspektive vorgelegt.

Das Buch besticht durch die klare Gliederung und die durchsichtige Argumentation. In einem I. Teil (9-28) verankert der Vf. die Problemstellung in der gegenwärtigen Diskussionslage, in einem II. wird der geschichtliche Hintergrund des Problems ausgeleuchtet (29-124), in einem III. schließlich ein "Systematischer Entwurf einer Theorie der personalen Freiheit" vorgelegt (125-150) .

Ausgangspunkt der Argumentation ist die These, daß die "postmoderne" Kritik am Prinzip "Der Mensch ist Person" sich nicht nur gegen die moderne Philosophie seit Descartes richtet, sondern gleichermaßen den "modernen christlichen Personalitätsbegriff" trifft. Das aber hat zerstörerische Konsequenzen für die Anthropologie und die Ethik. Insofern ergibt sich eine Interessen- und Argumentationsgemeinschaft von neuzeitlicher Subjektivitätsphilosophie und christlicher Anthropologie! Wäh-rend die moderne philosophische Anthropologie im Namen christlicher Apologetik oft als antireligiös und antichristlich zurückgewiesen wurde, versucht Sch. einsichtig zu machen, daß diese moderne Anthropologie mit ihrem Beharren auf dem Prinzip der Personalität auf ihre Weise ein substantielles Anliegen der theologischen Anthropologie wahrnimmt. Insofern bleiben nach Sch.s Urteil Kant und die durch ihn inaugurierte Philosophie im Recht. Die in kirchenamtlichen Dokumenten (vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jh.s) wie in der katholischen Theologie verbreitete Polemik gegen die neuzeitliche Philosophie greift zu kurz, und eine mögliche Koalition solch einer Kritik mit der "postmodernen" Kritik am Prinzip der Personalität hält der Vf. für naiv und gefährlich. Demgegenüber läßt er sich von der Einsicht leiten, "daß es auch um das christliche Reden vom Menschen als Person geschehen wäre, wenn die neuzeitliche Subjektivitätsphilosophie so einfach als widerlegt zu betrachten wäre. Ja, ich behaupte, daß der postmoderne Angriff auf die Ideale der Neuzeit, wie er auf philosophischer Ebene vor allem seitens der Systemtheorien, des Neostrukturalismus und der Seinsphilosophie geführt wird, die christliche Anthropologie nicht weniger trifft als die neuzeitliche. Es mag als Ironie der Geschichte erscheinen, doch Christentum und Moderne befinden sich heute auf demselben Prüfstand" (12).

Das ist eine nicht nur für katholisches Denken außerordentlich interessante Problem-Exposition! In der Durchführung kommt der Vf. allerdings nicht zu einer umstandslosen Rechtfertigung der neuzeitlichen Subjektivitätsphilosophie, sondern markiert auch deren Grenzen. Aber das berührt nicht die produktiven Anschlußmöglichkeiten einer christlichen Anthropologie an die durch Descartes und Kant eingeleitete "anthropologische Wende". Das Fundament solcher Anknüpfung wird am Leitfaden einiger Basisbegriffe des christlichen Personalitätsverständnisses in den Blick gebracht (13-16): Personalität bezeichnet die Eigenschaft eines vernunftbegabten Wesens, dem Freiheit zukommt. Personalität ist nicht auf Rationalität einschränkbar, sondern meint den Menschen in der Mitte seines Seins, hat also, in der Terminologie des Vf.s, den Charakter von Integralität. Personalität meint ferner die unverwechselbare Individualität des Menschen. Sie stellt einen Wert dar. Und schließlich verweist der Terminus "Abbild Gottes" auf einen transzendenten Grund menschlichen Seins, für den in der christlichen Tradition der Begriff "Gott" steht. Leider werden diese konstitutiven Elemente eines christlichen Personbegriffs nicht in ihrer wechselseitigen Verwiesenheit aufeinander entwickelt und in ihrer Tiefendimension ausgelotet, sondern mehr additiv nebeneinandergestellt. Dadurch bleibt die Argumentation ­ übrigens nicht nur hier, sondern im ganzen Buch ­ mehr flächig, gut informierend, orientiert an bestimmten Grundbegriffen, die immer wieder variierend erläutert, aber nicht wirklich systematisch zusammenhängend entfaltet werden.

Schon die Darstellung der "postmodernen Kritik" am Personalitätsprinzip (16-23,129 f.) fällt relativ grobmaschig aus (129: "sehr vereinfacht und zusammengefaßt"), ist weithin nicht aus den Quellen gearbeitet, sondern aus der Sekundärliteratur geschöpft, und hier vornehmlich aus dem Schrifttum Manfred Franks und seiner Kritik an Strömungen der Postmoderne.

Auch die Erläuterung der "Propria des christlichen Personalitätsverständnisses (24-28) gelangt über einige allgemein ge-haltene Aussagen nicht hinaus, und im II. Teil des Buches gibt der Vf. mehr Durchblicke als wirkliche philosophie- und theologiehistorische Analysen, stützt sich vielfach auf Sekundärliteratur, manchmal vorwiegend auf Lexikonartikel (z.B. 24f., Anm. 30 und 32). Die doppelte Begrenzung einmal nur auf solche Konzeptionen, in denen das Wortfeld "Person", "personal" etc. explizit auftritt, und zum anderen auf solche lediglich der katholischen Philosophie und Theologie schränkt die Bedeutung der Untersuchung zudem ein. Dennoch weiß der Vf. den Leser durch seine klug disponierte und klare Darstellungsweise in Atem zu halten.

Er geht von der interessanten Beobachtung aus, daß der Begriff der Person einerseits zum traditionellen Bestand katholischer Theologie und Philosophie gehört, daß er aber andererseits erst in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jh.s zum Schlüsselbegriff der theologischen Anthropologie avanciert (33 ff.). Die Ursache für diesen als "geschichtliches Paradox" charakterisierten Sachverhalt sieht der Vf. in der näheren Ausgestaltung der neuzeitlichen Subjektivitätsphilosophie, vor allem des Autonomiegedankens bei Kant und im deutschen Idealismus. Nach Meinung des Vf.s wird hier Autonomie mit Personalität identifiziert (40) und faktisch zu "absoluter Autonomie" gesteigert. Er behauptet das zwar nicht in den einige Textstellen Kants und des deutschen Idealismus interpretierenden Passagen (38-57), setzt es aber doch an späterer Stelle voraus (vgl. u.a. 97, 100). Mit solch einer Zuspitzung ergeben sich aber Barrieren für eine Rezeption des Begriffs durch das im 19. und auch noch im 20. Jh. scholastisch geprägte katholische Denken, zumal der Personbegriff trinitätstheologisch und christologisch besetzt war. Seine idealistische Neuprägung macht die Reserve der katholischen Theologie in dieser Hinsicht verständlich. Einige Autoren im 19. Jh., die das Verständnis von Person in grundsätzlicher Bedeutung zur Geltung bringen wie Anton Günther, Johannes von Kuhn, Herman Schell oder Antonio Rosmini-Serbati (vgl. dazu 62-78), sind denn auch mit dem kirchlichen Lehramt in Konflikt geraten.

Eine Wende wird erst möglich und dann auch vollzogen unter dem Einfluß derWertphilosophie Max Schelers und der Dialogphilosophie in den 20er Jahren unseres Jh.s (F. Ebner, M. Buber). Scheler (vgl. 78-88) gibt dem Personbegriff eine Fassung, in der nicht mehr die Konzentration auf den Autonomiegedanken oder gar auf eine "absolute Autonomie" und auch nicht mehr die kognitive Praedominanz des Verständnisses von Selbstbewußtsein bestimmend sind. Scheler versteht "Person" weder im Sinne der Tradition als "Substanz" noch im Anschluß an Kant und den deutschen Idealismus als "selbstbewußte Autonomie", sondern als Vollzugszentrum von Akten (vgl. 83 f.). Person verdankt sich nicht der Selbstkonstitution des Menschen, sondern findet sich immer schon als solche vor (83). Damit sind nach Meinung des Vf.s die Ansprüche der neuzeitlichen Subjektivitätsphilosophie in einer Weise begrenzt, die den Personbegriff in einem grundsätzlichen Sinne auch für katholisches Denken verwendbar machen. Die breite Wirkung Schelers auf die katholische Theologie bis hin zum augenblicklichen Papst illustriert das nachdrücklich. Eine ähnliche, nach Meinung des Vf.s sogar noch wichtigere Bedeutung hat die Dialogphilosophie (89-102), die das Ich-Subjekt aus seiner (angeblich) idealistisch verzerrten Vereinzelung befreit und seine Bestimmtheit durch das "Du", letztlich verstanden als das "Du" Gottes, zum Angelpunkt ihrer anthropologischen Reflexionen macht. Auch dadurch wird das Verständnis von Freiheit und Autonomie auf ein der menschlichen Wirklichkeit entsprechendes Maß zurückgestutzt und der Personbegriff theologisch neu erschließbar. Das verdeutlicht der Vf. an einigen ausgewählten Repräsentanten katholischer Theologie und Philosophie, an Theodor Steinbüchel, Romano Guardini, Karl Rahner und Jacques Maritain (103-124). Die Pointe dieser Auswahl besteht darin, daß mit K. Rahner (112-119) ein für neuzeitliches Denken grundsätzlich geöffneter Theologe, mit J. Maritain (120-124) hingegen ein ausgesprochener Kritiker neuzeitlichen Denkens und Bewußtseins, der aber gleichwohl weltweit gewirkt hat, als Repräsentanten personaler Denkweise zu Worte kommen.

Der "Systematische Entwurf einer Theorie der personalen Freiheit" bietet eigentlich weniger als die Überschrift zum abschließenden III. Teil verspricht. Er bündelt die bisher gewonnenen Ergebnisse, wiederum am Leitfaden einiger Grundbegriffe (Identität, Individualität, Kommunikation und Vernunft, Gott), stützt sich auf die neuere Debatte über das Verständnis von Selbstbewußtsein, wie sie durch Dieter Henrich und seine Schüler angestoßen ist, und zieht Linien aus. Man wird das Ganze aber nur in einem sehr eingeschränkten Sinne als einen "Systematischen Entwurf" verstehen können. Es werden Um-risse und Grundgedanken eines solchen sichtbar, und es werden zustimmungsfähige Intentionen formuliert. Selbst wenn man die Interpretation Kants und des deutschen Idealismus durch den Autor als zu allgemein und zu einlinig beurteilen muß, vor allem die Deutekategorie "absolute Autonomie" erläuterungsbedürftig bleibt, signalisiert die relativ positive Würdigung der neuzeitlichen Subjektivitätsphilosophie eine Gesprächsbereitschaft der katholisch begründeten Religionsphilosophie, die nicht nur für den Dialog mit der modernen Philosophie, sondern auch für die interkonfessionelle Verständigung interessante Möglichkeiten eröffnet. Dafür gebührt dem Autor und seiner anregenden Studie Dank.