Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

November/2012

Spalte:

1214–1216

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Hüneke, Martin, u. Heinrich Bedford-Strohm [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Eberhard Bethge. Weggenosse, Gesprächspartner und Interpret Dietrich Bonhoeffers.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2011. 220 S. 22,7 x 15,0 cm. Kart. EUR 24,99. ISBN 978-3-579-07143-5.

Rezensent:

Jörg Dinger

Eine Veröffentlichung über das Wirken und Leben Eberhard Bethges (1909–2000) ist kaum denkbar, ohne dass darin Lebensweg und Werk Dietrich Bonhoeffers (1906–1945) breiten Raum einnähmen, ist er doch »Bonhoeffers Freund und Biograph«, wie die wohl gängigste Charakterisierung lautet. Formal: sein »Nachlassver­wal­ter«. Im Titel des zu besprechenden Bandes: »Weggenosse, Ge­sprächspartner und Interpret Dietrich Bonhoeffers«. Die Trias be­tont stärker Bethges aktive und eigenständige Rolle, wie bereits 1989 Heinz Eduard Tödt Bethges eigenes Profil als »Theologe und Zeitgeschichtsforscher« gewürdigt hatte. Folglich geht es hier wie in der 2007 auf Deutsch erschienenen Bethge-Biographie des Südafrikaners John W. de Gruchy um Bethges Bedeutung im Blick auf Bonhoeffer und »über Bonhoeffer hinaus«.
Der Band vereinigt in sich zehn Vorträge, sieben erstmals veröffentlicht – das Ergebnis zweier Tagungen im Umfeld von Bethges 100. Geburtstag am 28.08.2009. Die meisten der Autorinnen und Autoren aus Deutschland, den USA und Australien sind aus der Bonhoeffer-Forschung bekannt. Viele lassen eine freundschaftliche Verbundenheit zu Bethge und seiner Frau Renate erkennen, rühmen Gastfreundschaft, Großzügigkeit und Bescheidenheit, die Art, wie Bethge Bonhoeffer-Forscher unterstützte und offen war für deren Ergebnisse (12 f.83.97.137 f.141 f.). Das Buch wird komplettiert durch den kommentierten Wiederabdruck eines Berichtes, den Bethge 1949 über seine erste USA-Reise verfasst hatte.
Bonhoeffers Weggenosse und Gesprächspartner: Zwei Aufsätze un­tersuchen Bethges Rolle in der Freundschaft mit Bonhoeffer anhand der Briefwechsel: Jürgen Henkys den Anfang 1936, von dem nur Bonhoeffers Briefe erhalten sind, Christiane Tietz die Haftzeit 1943/44 (»Eberhard Bethges Anteil an Dietrich Bonhoeffers Gefängnistheologie«). Sie weist in ihrer detaillierten Studie nach, wie Bonhoeffers Gedanken über Religion und Religionslosigkeit parallel liefen zu manchen Überlegungen Bethges, wie dieser durch Nachfragen und eigene Beobachtungen nicht nur als späterer Interpret, sondern schon in der Entstehung Wichtiges beitrug zur Klärung und Differenzierung von Bonhoeffers wirkmächtigem theolo­gischen Neuansatz.
Bonhoeffer-Interpret: Hans Pfeifer befasst sich mit Bethges ers­tem großen Editions-Werk, Bonhoeffers fragmentarisch gebliebener »Ethik«. Er zeichnet die Wandlungen in Bethges Verständnis von der ersten Auflage 1949 zur Neuausgabe 1962 nach, stößt dabei auch auf die eine oder andere Einseitigkeit, z. B. bei den »letzten und vorletzten Dingen« (112 f.). Abschließend würdigt er Bethges »Verzicht auf eine voreilige Systematisierung der Ethik-Fragmente« (119), durch die er deren Interpretation offenhielt für neue Aspekte. Diese Offenheit Bethges für neue Themen und kritische Anfragen hebt auch Victoria J. Barnett (»Eberhard Bethges Gestaltung von Dietrich Bonhoeffers Vermächtnis«) im Blick auf Bethges 1000-seitige Bonhoeffer-Biographie hervor.
Über Bonhoeffer hinaus: Die bedeutendste Anfrage an Bonhoeffer und die christliche Theologie, der Bethge sich stellte, kam von Seiten jüdischer Überlebender der Shoah und bezog sich auf die Überwindung von Antijudaismus und Antisemitismus. Drei Beiträge geben diesem Thema breiten Raum: Ernst Feils glänzender Überblick (»Eberhard Bethge. Freund und Biograph Bonhoeffers und Theologe des Ersten Gebots«), Clifford Greens Bericht über »Eberhard Bethge in der englischsprachigen Welt« und Andreas Pangritz’ eingehende Untersuchung »Eberhard Bethges Beitrag zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden«. Während Feil andeutet, Bethge habe mit seiner Betonung, »die gesamte Theologie müsste eine jüdisch geprägte Theologie sein« (43) der Reflexion des christlichen Glaubens zu enge Grenzen gesetzt, will Pangritz über Bethge und den von ihm maßgeblich bestimmten rheinischen Synodalbeschluss von 1980 mit seinem Verzicht auf die Judenmission hinausfragen, sieht er insbesondere in der von Bethge u. a. intendierten »Christologie ohne Antijudaismus« eine noch nicht radikal genug durchdachte theologische Aufgabe. Zu weit ge­gangen – oder noch nicht weit genug?
Gegenwartsfragen: Zu erwähnen sind hier Mareike Rakes Be­richt über die Nachlässe Bonhoeffers und Bethges in der Berliner Nationalbibliothek und Johannes von Lüpkes anregende Überlegungen zum Verhältnis von Kirche und Theologie im Blick auf das EKD-Impulspapier »Kirche der Freiheit« (2006). Heinrich Bedford-Strohm schließlich untersucht Bonhoeffers und Bethges Beitrag zum Thema »soziale Gerechtigkeit«. Bei beiden bildet es offenkundig nicht den Schwerpunkt ihres theologischen Nachdenkens. Für beide gehört aber die Wahrnehmung der und die Solidarität mit den Leidenden – der »Blick von unten« – unauflöslich zur grundlegenden und stets neu zu beantwortenden Frage, wer Christus für uns heute eigentlich sei.
Fazit: Für Bonhoeffer- und Bethge-Kenner bietet der Band keine sensationellen Neuigkeiten, aber vertiefte Einblicke in Bethges Wirken und einige Ausblicke auf Gegenwartsdebatten. Allen Leserinnen und Lesern stellt er ein langes und reiches Christenleben vor Augen.