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Ausgabe:

November/2012

Spalte:

1206–1208

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Beiergrößlein, Katharina

Titel/Untertitel:

Robert Barnes, England und der Schmalkaldische Bund (1530–1540).

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2011. 279 S. m. Abb. 23,5 x 16,0 cm = Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, 86. Lw. EUR 49,99. ISBN 978-3-579-05377-6.

Rezensent:

Christoph T. Nooke

Diese Studie von Katharina Beiergrößlein ist im Wintersemester 2009/10 von der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth als Dissertation angenommen worden. Entstanden ist sie im Rahmen der Graduate School »Mitteleuropa und Angelsächsische Welt 1300–2000«. Der etwas unhandliche Titel des Buches versucht die drei Größen der Darstellung zu vereinen: Barnes ist lediglich der rote Faden der recht unterschiedlichen Teile. Wer also eine Biographie des englischen Reformators erwartet oder eine theologische Würdigung seines Wirkens, wird enttäuscht. Ausdrücklich möchte die Vfn. nur eine »biographische Skizze« liefern, für eine wirkliche Biographie fehlen zudem die Quellen (9.13). Dass sie allerdings die Möglichkeit einer theologischen Würdigung Barnes’ sowie sonstige theologische »Fach- und Spezialprobleme« (9) durch Verweis auf die einschlägige Literatur erledigt, mag verwundern, doch die Vfn. möchte sich auf Barnes’ Tätigkeit als Diplomat im Dienste Heinrichs VIII. konzentrieren. Diese »Fallstudie« (11) soll zudem »Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen deutschem Protestantismus und englischer Politik« verdeutlichen und die Praxis diplomatischer Beziehungen in der Reformation be­leuchten.
Für ihre Darstellung verwendet die Vfn. einen breiten, von ihr akribisch und präzise erschlossenen Archiv- und Bibliotheksbestand, den sie ausführlich anführt. In der bibliographischen Er­schließung liegt zweifellos eine Stärke dieser Arbeit. Nur folgerichtig hat die Vfn. so auch einen eigenen Teil (Kapitel VI) der kommentierten, erstmals vollständigen (9) Bibliographie des freilich überschaubaren Werkes von Barnes gewidmet. Kommentiert werden weniger Inhalt und theologische Ausrichtung der Werke, als vielmehr ihre bibliographische Form. Eine Verknüpfung mit den übrigen Teilen der Studie besteht nicht. Auch die ausführliche Auswertung einer Reisekostenabrechnung, die die Vfn. im Anhang bietet (was aufgrund fehlender Referenzgrößen von begrenztem Nutzen ist), wird nicht mit der übrigen Darstellung verbunden.
Das erste Kapitel der Darstellung (Kapitel II) behandelt den frühen Werdegang des Augustinereremiten Robert Barnes, seine Studien in Cambridge und Löwen, sowie seine Verurteilung als Häretiker und seine Flucht ins kontinentale Exil, die ihn schließlich nach Wittenberg führt. Hier fehlen leider oft die nötigen Quellen, so dass der Abschnitt in seiner Kürze auch kaum neue Ergebnisse liefert. Lediglich die Gewichtung und Beurteilung von Informationen wird von der Vfn. anders vorgenommen, doch bleiben die an­gekündigten »Korrekturen« eher vage (»Somit ist es wahrscheinlicher« [28]). Der Kontakt zu den Wittenberger Reformatoren und deren eigenes Verhältnis zu England, das ja bestand, wird kaum erwähnt, was jedoch zur Einordnung der Tätigkeit Barnes’ sinnvoll gewesen wäre.
Den ausdrücklichen Schwerpunkt der Darstellung bildet die Tätigkeit Barnes’ als Diplomat für Heinrich VIII. 1531–1539 (Kapitel III). Allein dass Barnes für Heinrich tätig war, ist bemerkenswert, denn jener galt als verurteilter Häretiker. Zweifellos bot er sich als Vermittler bzw. »go-between« (11) an, da er Kontakte nach Wittenberg hatte. Dass Heinrich allerdings auch andere Varianten hätte wählen können, diskutiert die Vfn. nicht. Nachdem Barnes sich um reformatorische Gutachten zur Eheproblematik Heinrichs be­müht hatte, konnte er sich auch aufgrund personeller Umstellungen (sein Patron Cromwell hatte an Einfluss gewonnen) 1535 in England aufhalten. Offiziell rehabilitiert wurde er nie. Bald darauf wurde er wieder eingesetzt, um für den König die Möglichkeit eines Bündnisses mit dem Schmalkaldischen Bund zu eruieren, da Heinrich Verbündete brauchte, um sich zur Not gegen Papst und Kaiser verteidigen zu können.
Die Vfn. versucht sinnvollerweise herauszuarbeiten, welche Mo­tive hinter den Bündnisverhandlungen zwischen Heinrich und dem Schmalkaldischen Bund auf beiden Seiten standen, und wertet dazu eine Vielzahl von persönlichen und offiziellen Dokumenten aus. Häufig handelt es sich allerdings um randständige Fragen, die an den Quellen untersucht werden; die Ergebnisse begegnen wieder häufig in Form von Wahrscheinlichkeiten oder Mutmaßungen. Festhalten kann die Vfn. allerdings, dass Heinrichs Bündnissuche auf dem gemeinsamen Nenner der Ablehnung des Papstamtes gründete, nicht in seiner protestantischen Überzeugung (68). Barnes war in dieser Mission nun sogar offizieller Gesandter, wie die Vfn. zeigen kann (70). Minutiös zeichnet sie die englische Gesandtschaft und die Verhandlungen nach, die von beiden Seiten nicht mit offenen Karten geführt wurden. Die Vfn. kann zeigen, dass Heinrich nicht an theologischen Diskussionen interessiert war, seine Gesandten waren dazu deshalb auch gar nicht ermächtigt. Die Schmalkalder ihrerseits forderten von Heinrich die Anerkennung der Confessio Augustana, obwohl sie laut der Vfn. zu dem Zeitpunkt noch nicht einmal im Bund als offizielle Bedingung galt. Besonders die Schmalkalder spielten auf Zeit, um sich Heinrich einerseits gewogen zu halten, andererseits aber nicht zu irgendwelchen Zugeständnissen gezwungen zu werden. So kann diese diplomatische Farce wirklich einige Aspekte der politischen Seite der Reformation aufdecken. Die Vfn. ordnet die englisch-schmalk­aldischen Verhandlungen knapp in die großpolitische, für Heinrich gefährliche Situation ein. Auffälligerweise wendet sich Heinrich in erneuter Bedrohung 1539 dann nicht an den Bund, sondern versucht Kleve und Dänemark mit Barnes’ Hilfe zu gewinnen, da Heinrich hier mit weniger theologischen Diskussionen rechnete. Dass Barnes hier auch wieder Gesandter war, lässt sich nur noch mittelbar auf seine Kontakte nach Wittenberg zurückführen, of­fenbar hatte er sich bewährt.
Insgesamt kann dieses Kapitel die Grundlage zur Bewertung der englisch-schmalkaldischen Beziehungen doch um einige De­tails erweitern, eine grundsätzliche Korrektur des bisherigen Forschungsstandes machen sie nicht nötig.
Abschließend wendet sich die Vfn. dem Ende von Barnes zu (Ka­pitel IV), der 1540 hingerichtet wurde. Über die Gründe streiten sich die Forscher, die Vfn. bietet hier eine weitere Interpretation. Schon zeitgenössisch gingen die Deutungen auseinander, Luther beispielsweise führte die Hinrichtung auf Barnes’ Haltung in der Ehescheidungsfrage zurück. Die Vfn. hält es für wahrscheinlich, dass B. zur Unterstreichung der Verurteilung seines Patrons Cromwell als Häretiker durch einen Act of Attainder hingerichtet wurde (165).
Das Ergebnis der Untersuchung wird knapp auf drei Seiten formuliert (Kapitel V), es bietet einige neue Facetten und Neubewertungen, die allerdings selten zwingend oder grundstürzend sind und zum Teil eher auf Vermutungen, Interpretationen und Spekulationen beruhen. Eine »detaillierte Beschäftigung mit Robert Barnes’ Leben und Wirken« (167) bietet die Studie nur für einige biographische Stationen. Während die Quellengrundlage also ordentlich und präzise erarbeitet wird, lassen die Ergebnisse und der teilweise recht disparate Aufbau der Arbeit an einigen Stellen Wünsche offen, ein tieferes Verständnis der Bedeutung theologischer Überzeugungen für die Beziehungen der Hauptakteure hätte teilweise eine präzisere Beurteilung der Entwicklungen möglich machen können. Zweifellos kann die Studie aber interessante Einzelaspekte zum Verständnis des für die Reformationsgeschichte gewichtigen Bereichs diplomatischer Aktivitäten beitragen.