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Ausgabe:

November/2012

Spalte:

1195–1197

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hogeterp, Albert L. A.

Titel/Untertitel:

Paul and God’s Temple. A Historical Interpretation of Cultic Imagery in the Corinthian Correspondence.

Verlag:

Leuven/Paris/Dudley: Peeters 2006. XV, 483 S. 25,0 x 17,0 cm = Biblical Tools and Studies, 2. Geb. EUR 65,00. ISBN 978-90-429-1722-4.

Rezensent:

Eve-Marie Becker

Die Studie stellt eine überarbeitete Fassung der Ph.D.-Dissertation von Albert Hogeterp dar, die von den Professoren Luttikhuizen und García Martínez betreut und im Jahr 2003 an der Universität Groningen eingereicht wurde. Sie geht der Frage nach, wie die paulinische Rede vom Tempel in 1Kor 3,16–17; 6,19 und 2Kor 6,16 jenseits der in der Forschungsgeschichte (Introduction: 1–24) gerne vor­-geschlagenen Konzepten von »Spiritualisierung« (Wenschkewitz), »Substitution« oder »Sublimation« (Moule) zu verstehen sei. Die Studie nimmt damit die exegetisch wie historisch basierte Kritik auf, die in anderen Teilen der Forschung an den genannten Konzepten geübt wurde, und greift die tendenziell hier favorisierten Modelle von paulinischer »Umdeutung« (Klinzing) bzw. trans-ference (Schüssler Fiorenza) auf, um sie letztlich in übergeordnete Überlegungen zum »cultic imagery in Paul’s Corinthian correspondence« (z. B. 297) hineinzustellen.
Heuristisch gesehen stehen 1/2Kor im Zentrum der Untersuchung. Die von H. gewählte Zugangsweise und Gliederung bilden diese Fokussierung allerdings nicht immer sichtbar ab. Denn erst im dritten Teil der Studie (269–378: »Cultic Imagery in the Corinthian Correspondence«) liegt der Fokus auf der korinthischen Korrespondenz selbst, was im Ergebnis dazu führt, dass H. die jüdische Tempel-Semantik insgesamt eher im Sinne einer Ideen- oder Vorstellungswelt zu erschließen sucht. Und auch im Umgang damit sind methodische Inkonsistenzen zu beobachten: Obwohl H. sich kritisch gegenüber einem »comparative religious approach« zeigt (11–14), weil dieser mit evolutionären Modellen arbeite und d. h. tendenziell teleologisch ausgerichtet sei (11), und obwohl H. nicht allein auf der Basis von motivischen und thematischen Vergleichen von paulinischen Briefen und frühjüdischer Literatur Rückschlüsse zur Deutung des Tempelmotivs bei Paulus allein ableiten will, gelangt H. letztlich doch zu traditionsgeschichtlichen Herleitungen und Verknüpfungen. So konstatiert er zwar: »Paul’s perspective and the perspective(s) of Palestinian Judaism should each be taken on their own terms in order to avoid a biased comparison.« (12) Faktisch aber wird die paulinische Motivik dann in den Kontext des »Contemporary Judaism« eingezeichnet (z. B. 326 ff.380 ff.) und auch vor diesem Hintergrund ausgedeutet, wenn nicht sogar von ihm hergeleitet.
Die Untersuchung ist insgesamt in drei Teile und acht Kapitel untergliedert – darauf folgen »Summary and Conclusions« (379–385) sowie eine Bibliographie (393–427) und ausführliche Indizes (Autoren und Stellen: 429–483). Im ersten Teil (25–193) beginnt H. damit, das textliche Material zur jüdischen Vorstellungswelt vor 70 n. Chr. zu sichten. Hier werden zunächst die »Jewish Attitudes from the Maccabees to Paul’s Time« (27–73) skizziert, wo allerdings Ben Sira weitgehend ausgeblendet ist (s. aber z. B. 365), was, wenn nicht zeitlich, so doch sachlich zumindest zu begründen wäre. Ein eigenes Gewicht liegt auf der historisch-kritischen (s. 113) Sichtung der Qumran-Texte, besonders 4QMMT (75–114) und der Durchsicht der textlichen Quellen zur Vorstellung vom Tempel im »Early Jesus-Movement« (115–193), wo H. ein Drei-Schichten-Modell zur Differenzierung der »pre-70 CE tradition« vorschlägt (191). Im zweiten Teil der Studie (195–268) skizziert H. »Paul’s Relation to Contemporary Judaism« – die zeitlichen und geographischen Di­mensionen dessen, was überhaupt im Blick auf Paulus als contemporary Judaism zu bestimmen wäre, werden hier allerdings nicht weiter problematisiert (s. nur 197 und 238: »social geography of Pharisaic activity«; »first-century CE synagogue«). H. konzentriert sich hierbei weitgehend auf das palästinische Judentum – Philo spielt nur am Rande eine Rolle (z. B. 29.36), und zwar als historische Quelle zum palästinischen Judentum und kaum als eigenständiger Theologe oder Schriftsteller. Im Mittelpunkt stehen hingegen »Paul’s Previous Life in Judaism« (197–235) und der paulinische Bezug zur »Jewish Culture of Scriptural Interpretation« (237–268). Als Garanten für eine »accurate historical interpretation of issues in Paul’s letters« (202), die die »social world of Paul’s life« beleuchten sollen, werden rhetorical analysis und social-scientific approaches genannt (197–202). Im Ergebnis kommt die paulinische Rede vom Tempel allerdings wiederum genau da zu stehen, wo H. schon seinen Ausgangspunkt für die Skizze der biographischen Prägung des Paulus gewählt hatte, nämlich zum einen in »Paul’s Pharisaic education« und deren Bezug zu »Jerusalemite circles« (235): Hier wäre zu fragen, ob der Jerusalemer schriftgelehrte Einfluss und dessen pluriforme Wirkung auf Paulus nicht überschätzt werden – so ist ja auch die Annahme eines Essener-Viertels in Jerusalem (Riesner) durchaus umstritten (251). Zum anderen spiegelt laut H. »Paul’s metaphor of the Temple […] a theological idea«, wenn sie vor dem Hintergrund der »Jewish scriptural culture« gelesen wird (237). Diese Ergebnisse können indes kaum überraschen, da sie bereits impliziert waren. Zudem ist das Paulusbild einseitig auf das palästinische Judentum bezogen.
Wie erwähnt richtet H. erst im dritten Teil den Fokus auf 1/2Kor selbst. Er geht davon aus, dass »the cultic imagery« nicht nur als Randphänomenon paulinischer Theologie gesehen, sondern eher in dessen Mittelpunkt gerückt werden sollte (297). Entsprechend zieht er alle Paulus-Briefe heran (278 ff.), setzt bei seiner Deutung des hier begegnenden »cultic imagery« dann aber sozio-historische Rekonstruktionen der Gemeindesituationen, so auch der audience in Korinth (305–311.362 f.) voraus, die teilweise keineswegs unumstritten sind (s. etwa zu Philippi: 289). Die forschungsgeschichtlichen Probleme mit der Exegese von 2Kor 6,14–7,1 sucht H. so zu lösen, dass er den Passus nicht für eine nach-paulinische Interpolation hält, sondern die paulinische Bearbeitung eines prä-pauli­nischen Testimonium in 2Kor 6,16c–18 annimmt (372 f.). Über­-zeugend ist, dass H. die Deutung des paulinischen Tempelmotivs einem umfassenden semantischen Inventar von »cultic imagery« zuzuweisen sucht. Er gelangt dabei zu einer Interpretation, die allerdings nur begrenzte Aussagekraft hat, weil sie kaum pointiert formuliert ist: »Paul’s temple imagery should […] be interpreted as a normative model which serves a paideutic purpose of teaching the Corinthians a holy way of life.« (384) Weist H. damit in Richtung einer Ethisierung kultischer Semantik bei Paulus?
Im Blick auf die Breite des verarbeiteten textlichen Materials und den Versuch, die Vorstellungs- oder Ideenwelt, die hinter der paulinischen Rede vom Tempel Gottes stehen könnte, umfassend zu erschließen, erweist sich die Studie zwar insgesamt als vielschichtig: Es wird durchaus deutlich, dass generalisierende oder simplifizierende Konzeptionalisierungen des paulinischen Sprachgebrauchs (z. B. »Spiritualisierung«, s. o.) angesichts des vielfältigen Diskurses über den Tempel in der frühjüdischen Literatur zu kurz greifen und sich die ideengeschichtlichen Voraussetzungen, unter denen Paulus den Korinthern schreibt, auch in biographischer Hinsicht (z.B. pharisäische Ausbildung, Schriftverwendung) als weitaus komplexer darstellen. Und doch scheinen die Fragen: »What is the message underlying Paul’s idea of the Corinthian community as God’s Temple?« (1), mehr noch aber: Wie ist die paulinische Rede vom Tempel Gottes letztlich auf den jüdischen Tempel in Jerusalem bezogen?, auch nach der Lektüre des Buches offen zu bleiben – liegt gerade hierin das Verdienst sorgfältiger Materialsichtung? Sie gibt jedenfalls nolens volens zu erkennen, dass die Sprache und das Denken des Paulus nicht zwangsläufig schon dann zu verstehen sind, wenn sie materialiter beleuchtet und ideengeschichtlich kontextualisiert werden.