Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/1996

Spalte:

292–294

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Heinzmann, Richard

Titel/Untertitel:

Thomas von Aquin. Eine Einführung in sein Denken. Mit ausgewählten lateinisch-deutschen Texten.

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1994. 281 S. 8o = Kohlhammer-Urban-Taschenbücher 447. Kart. DM 34.­. ISBN 3-17-011776-9.

Rezensent:

Christian Schröer

Das gegenwärtige Bemühen, philosophisches Gedankengut einem größeren Leserkreis zu erschließen, dokumentiert sich in einer wachsenden Zahl neuer Einführungsbändchen, philosophischer Lexika und anthologischer Lesebücher (bei Beck, Campus, Junius etc.). H.s "Einführung in das Denken des Thomas von Aquin" geht hier neue Wege, insofern sie dem Leser eine Einführung (13-69), ein Begriffs- und ein Autorenlexikon (71-114) und eine umfangreiche zweisprachige Textsammlung (mit teils übernommenen, teils eigenen Übersetzungen, 115-223) in einem Band bietet. Die Abschnitte des Einführungs- und des Textteils sind mit Randnummern versehen, so daß über die zahlreichen Querverweise die einführende Darstellung durch die Texte belegt und umgekehrt die Texte durch die Darstellung kommentiert werden. Ein angefügtes lateinisch-deutsches Wortverzeichnis, erarbeitet von Konrad Raab, erschließt solche Vokabeln, "die ein Gymnasiast bei der Lektüre klassischer Autoren... nicht kennengelernt hat" oder deren mittelalterlicher Gebrauch von der klassischen Bedeutung abweicht (224). Durch die Verknüpfung von Text, Übersetzung, Lexikon, Einführung, Kommentar und Wörterbuch werden dem Leser exemplarisch die wichtigsten Hilfsmittel an die Hand gegeben, die ihm eine eigenständige Erarbeitung der Texte ermöglichen. So ist eine Einführung entstanden, die der Absicht des Autors gemäß "auch für die Kollegstufe geeignet" (7) erscheint. Zweck des Bändchens ist es daher nicht, eine neue Thomasinterpretation vorzulegen, sondern eine je eigene Auseinandersetzung mit Thomas selbst anzuregen.

Die Themen und Texte sind so ausgewählt, daß der Leser zunächst die grundlegenden Begriffe und die wichtigsten Werkgattungen des thomanischen Schrifttums (Summen, Kommentare, Disputationen etc.) kennenlernt. Sodann soll aber auch "der philosophische Grundgedanke" des Thomas verfolgt werden können, den H. als Philosophie des Aufstiegs von der Welt zu Gott, mithin "vom ens zum ipsum esse subsistens" (9) vorstellt, und den er später vom umgekehrten Grundgedanken der Theologie abhebt, die den Weg von Gott zur Welt beschreitet (29). In fünf Schritten wird gezeigt, wie Thomas zunächst die Eigenständigkeit der Philosophie gegenüber der Theologie begründet, in welcher Weise er sodann die Grundprinzipien des Seins und deren natürliche Erkennbarkeit entfaltet, wie er ferner die leib-geistige und personale Verfaßtheit des Menschen sowie die Grundstruktur des theoretischen und praktischen Vernunftgebrauchs konzipiert, wie Thomas die Civitas als Freiheitsraum zu begreifen sucht, und wie er schließlich die Möglichkeiten und Grenzen philosophischer Gotteserkenntnis bestimmt.

Die Frage nach "dem Grundgedanken" des thomanischen Denkens läßt sich aber auch als Frage nach dem für Thomas spezifischen Grundgedanken stellen, der all sein Denken prägt und der die geistesgeschichtliche Bedeutung seines Werkes ausmacht. Dieser Grundgedanke wird im Vorwort angedeutet und im Blick auf die Zeit vor (13-21) und nach Thomas (65-69) entfaltet. Das Verdienst des Thomas gegenüber seinen Vorgängern sieht H. in der grundsätzlichen Überwindung einer noch weitgehend griechisch geprägten Auffassung von Gott, Welt und Mensch zugunsten einer neuartigen Sichtweise, durch welche zentrale Grundmotive eines genuin christlichen Denkens erst zum Durchbruch gelangten. Besonderes Gewicht mißt H. zwei thomanischen Überzeugungen bei: dem Verständnis der Eigenwertigkeit der Welt als Schöpfung, mit dem Thomas einer neuplatonisch geprägten Abwertung der körperlichen Welt entgegentritt, und dem Verständnis des Menschen als eines von seiner Schöpfung her geschichtlich verfaßten Wesens, welches nicht auf seine seelische Existenz allein reduziert werden dürfe. Indem somit die Welt nicht mehr als bloßes Abbild jenseitiger Ideen, sondern als ein von Gott getragenes Gefüge innerweltlicher Ursachen erscheint, und der Mensch als ein Wesen verstanden wird, das von Gott als ein eigenständig denkendes und handelndes Geschöpf gewollt und zu einer aktiven Teilhabe an der Sorge um die Welt berufen sei, öffnet sich nach H. bereits der Weg zu den spezifischen Themen des neuzeitlichen Denkens. So zeige sich insbesondere im Werk des Thomas, "daß das Denken der Antike im Mittelalter unter dem Einfluß christlicher Inhalte eine tiefgreifende Wandlung erfahren hat: Die Priorität des Allgemeinen wurde durch die Subjektivität abgelöst" (7).

Der knapp bemessene Raum des Einführungsteils zwingt den Autor naturgemäß zu Einschränkungen und zu einer weithin thesenartigen Darstellungsweise. So konnte etwa "auf die fachwissenschaftliche Diskussion abweichender Richtungen der Thomas-InterpretatioŠ. nicht eingegangen werden" (9). Ebenso mußte bei der Darstellung der "radikalen Verschiedenheit" (14) von griechischem und christlichem Denken (13-18) auf eine Differenzierung nach Autoren und Richtungen verzichtet werden. Indem sich H. schließlich auf die Behandlung philosophischer Themen konzentriert, bleibt die Theologie des Thomas bis auf wenige grundsätzliche Hinweise ausgeklammert. Sofern sich aber diese Theologie, wie H. betont (10f), nicht ohne hinreichende Kenntnisse der Philosophie des Thomas erschließen läßt, ist dem Bändchen auch im Hinblick auf die Theologie zu wünschen, daß es auf seine Weise zu einer erneuten Beschäftigung mit einem der bedeutendsten Theologen des Abendlands anregt.