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Ausgabe:

November/2012

Spalte:

1183–1186

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Bartor, Assnat

Titel/Untertitel:

Reading Law as Narrative. A Study in the Casuis­tic Laws of the Pentateuch.

Verlag:

Atlanta: Society of Biblical Literature 2010. IX, 219 S. 22,9 x 15,2 cm = Ancient Israel and Its Literature, 5. Kart. US$ 27,95. ISBN 978-1-58983-480-4.

Rezensent:

Eckart Otto

Die vorzustellende Studie von Assnat Bartor ist eine Dissertation der Tel Aviv University, die von Gershon Brin und Ed Greenstein angeregt und betreut wurde, was die Themenstellung einer Interpretation des biblischen kasuistischen Rechts als erzählende Literatur im Gewande des Rechts erklärt. Für diese Themenstellung hat die Vfn. mit Studienerfahrungen und Abschlüssen in den Rechts- und Literaturwissenschaften beste Voraussetzungen, um die kasuistischen Gesetze der Hebräischen Bibel als Miniaturerzählungen zu lesen und zu interpretieren und so Aspekte der an­gelsächsischen »Law and Literature School«, die »law as social literature« liest, auf das biblische Recht zu übertragen.
Diese Zugangsweise zum Recht hat Vorläufer in einer langen jüdischen Tradition, die von der rabbinischen Verbindung von Halaka und Haggada in der Antike bis zu David Daube in der Moderne reicht. Eine narrative Interpretation der kasuistischen Rechtssätze sei nicht an dem normativen Gehalt der Rechtssätze interessiert und trage dazu auch nichts bei, sondern an der narrativen Rekonstruktion von Situationen, Geschehensabläufen und Charakteren, die die Gesetze narrativ konstituieren und damit den Prozess zwischen dem Autor als Gesetzgeber und seinen Adressaten, die mit einem emotionalen Engagement reagieren sollen. Da­zu werden jüngeren Trends folgend Aspekte der Textdiachronie zugunsten einer Synchronie ausgeblendet. So verknüpft die Vfn. die Abkehr vom Kanon der »klassischen Methoden der Exegese« mit einer Hinwendung zum »close reading« sowie zu rhetorischer und semiotischer Interpretation von Recht im Anschluss an J. W. Watts, A. J. Greimas und B. S. Jack-son (cf. dazu der Rezensent, ZAR 9, 2003, 220–237). In einem ersten Kapitel »The Laws of the Pentateuch as ›Embedded Stories‹« untersucht die Vfn., welchen Einfluss der je­weils narrative Rahmen auf die Gesetze als Erzählungen hat, was, wie die Vfn. einräumt, zwar für die Gesetze der Sinaiperikope eine zutreffende Fragestellung ist, weniger aber für das Deuteronomium passen will und, so ist zu ergänzen, nur synchron Sinn macht, wenn der Pentateuch insgesamt als narrativer Rahmen für das Deuteronomium verstanden wird oder aber der Blick sich für die Diachronie des Deuteronomiums mit der Unterscheidung von Gesetzeskorpus in Dtn 12–26 und Rahmung öffnet. Die Gesetze, so aber die Vfn. zu Recht, seien für ein narratives Funktionieren des Pentateuch unverzichtbar, wie umgekehrt der narrative Rahmen Eingang in die Formulierung der Gesetze gefunden habe; cf. Ex 20,11; Dtn 12,29. So gewinnt die Vfn. in diesem ersten Kapitel die Kategorie des »Gesetzgebers«, dessen Wirken in den folgenden Kapiteln ins Zentrum rückt.
In dem umfangreichsten Kapitel »The Lawgiver as Narrator« untersucht die Vfn. unter den Aspekten von »participation« und »perceptibility« die Rolle des Erzählers in den Minierzählungen der Gesetze, der durch eine emotionsgeladene Sprache (Ex 22,4 u. ö.) seinen Standpunkt verdeutlicht oder ihn reflexiv expressis verbis kenntlich macht (Dtn 18,15) und so die Adressaten zur Partizipation bei der Rezeption einlädt. Unterschiede seien dabei zwischen den Gesetzeskorpora durchaus zu verzeichnen. Während im Bun­desbuch die Adressaten nur in Ausnahmefällen einbezogen seien, sei es im Deuteronomium gerade umgekehrt, so dass die Adressaten des Mose »piggybacking« die des Deuteronomiums werden. Der Erzähler weise als »self-conscious lawgiver« wiederholt auf den Vorgang seiner Gesetzespromulgation hin (Dtn 15,11 u. ö.), gebe sein emotionales Engagement für die Gesetze zu erkennen und unterstreiche damit nicht nur die Autorität der Gesetze, sondern auch seine eigene als Gesetzgeber. Dies werde besonders deutlich in Bezug auf den göttlichen Gesetzgeber im Heiligkeitsgesetz durch Formeln wie »ich bin JHWH, dein Gott« unterstrichen. Auch hier lässt die Teilhabe des Gesetzgebers am Gesetz dessen Adressaten teilhaben, so dass die biblischen Gesetze zu einem Medium der Vermittlung zwischen Gesetzgeber und Adressaten werden, was in altorientalischer Gesetzestradition keine Entsprechung habe. Keiner der biblischen Gesetzgeber beschränke sich nur auf die Mitteilung von rechtsrelevanten Fakten in den kasuistischen Gesetzen. Vielmehr mische sich der Gesetzgeber in den Text ein, weil er der Meinung sei, dass die Gesetze kommunikative Texte seien. In dem Kapitel »Representation of Speech« zeigt die Vfn. die Gesetze als narrative Minierzählungen in der Funktion von »reality mimicking texts«, die die erzählten Situationen dem Adressaten lebendig werden lassen und die dazu wörtliche Rede in die Gesetze einführen, die eine mimetische Funktion in dem Sinne haben soll, dass die zugrunde liegende Konfliktsituation für den Adressaten nachvoll ziehbar wird und er in diesem Zusammenhang die Optionen des Gesetzgebers übernehmen soll, was besonders eindrücklich in Num 5,11–31 nachvollziehbar wird. Mittels der Zitate wörtlicher Rede werden die Rollen und Positionen der am Rechtsvorgang Beteiligten akzentuiert, dem auch das Zitat von Selbstgesprächen dienen soll. Sie sollen den Adressaten des Gesetzes die Wertung von Überlegungen und Entscheidungen der handelnden Protagonisten im Gesetz aus der Perspektive des Gesetzgebers ermöglichen (cf. Dtn 15,9), so dass die Stimmen des Gesetzgebers und der Adressaten identisch werden können (cf. Dtn 12,30). Indem der Gesetzgeber nicht nur das äußere Handeln der Protagonisten mitteilt, sondern auch ihre Gefühle, Gedanken und Absichten offenlegt, werde er, so die Vfn. in dem Kapitel »The Lawgiver as Psychologist« zu einem Spezialisten innermenschlicher Handlungsmotivation. Die Vfn. rechnet diese psychische Dimensionierung in den Gesetzen (cf. Dtn 24,14–15) nicht nur der Funktion zu, zum Rechtsprozess beizutragen, sondern auch die Gesetzgebung zu begründen. Das ist umso bedeutsamer, als die Vfn. ausmacht, dass der Gesetzgeber die Psyche der im Gesetz Handelnden »kolonisiere«, was nicht wie bei der Unterscheidung zwischen vorsätzlichem Handeln und Handeln aufgrund höherer Gewalt dem differenzierenden Rechtsentscheid dienen soll und also einer juridischen Logik folgt, sondern einer narrativen Logik, um das Handeln der Protagonisten aus der Perspektive des Gesetzgebers den Adressaten zu verdeutlichen. Die psychologische, am inneren Geschehen der Protagonisten ausgerichtete Sensibilität des Gesetzgebers unterscheide kategorial das biblische vom altorientalischen Recht wie auch von dem der Neuzeit. Rückt der Gesetzgeber in das Zentrum der Studie, so zeigt die Vfn. abschließend in dem Kapitel »Point of View«, dass der Gesetzgeber auch der Perspektive der im Gesetz handelnden Protagonis­ten im Unterschied zur eigenen begrenzten Raum geben kann (cf. Dtn 20,1–4; 22,1–4), um so die Motivation der Protagonisten in mimetischer Absicht zu verdeutlichen und den Adressaten mittels perspektivischer Pluralität eine aktive Rolle in der Rezeption des Gesetzes als Minierzählung zu ermöglichen und zu begründen.
Die Vfn. hat eine bahnbrechende Studie zur narrativen Interpretation der kasuistischen Rechtssätze in der Hebräischen Bibel vorgelegt, die das Verständnis dieser Rechtssätze aus dem Prokrustesbett der formgeschichtlichen Beschreibung befreien soll zu­gunsten einer Einsicht in ihre allgemeinmenschliche Bedeutung (human meaning) von Geschehensabläufen und ihren Um­ständen. Gleichzeitig soll die narratologische Interpretation der Rechtssätze von nur geringem Wert sein, um ihren normativen Gehalt zu erheben. Damit werden Gräben aufgerissen, die sich in der Isolierung des biblischen Rechts vom Keilschriftrecht wiederholen. Wird aber die rechtshistorisch einzuzeichnende normative Dimension des biblischen Rechts nicht ausgeblendet, so stellt sich die Bedeutung der Studie anders dar. Die Vfn. hat hervorragend narrative Werkzeuge beschrieben, die die Autoren genutzt haben, um ihren Adressaten die Rechtsintention der Rechtssätze zu verdeutlichen. In der Intensität, mit der das geschieht, besteht eine Besonderheit des biblischen Rechts gegenüber dem Keilschriftrecht. Die formgeschichtliche Einordnung von Rechtssätzen, die für das kasuistische Recht auch mit Blick auf das Keilschriftrecht von Albrecht Alt vor mehr als einem dreiviertel Jahrhundert systematisiert wurde, ihre redaktionsgeschichtliche Einordnung in die Gesetzeskorpora und deren redaktionsgeschichtliche Relationierung auch durch die narrativen Kontexte des Pentateuch bleibt weiterhin der Ausgangspunkt, wenn nach der Funktion der kasuistischen Rechtssätze im Rechtsprozess zu fragen ist. Doch wenn es darum geht, die narrativen Mittel zu erheben, die die Autoren nutzten, um der Rechtsintention der Gesetze zum Erfolg zu verhelfen, wird man die Studie der Vfn. mit Gewinn zur Hand nehmen.