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Ausgabe:

November/2012

Spalte:

1181–1183

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Haas, Volkert, u. Heidemarie Koch

Titel/Untertitel:

Religionen des Alten Ori­ents. Teilbd. 1: Hethiter und Iran.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2011. 291 S. m. 23 Abb. 24,2 x 16,5 cm = Grundrisse zum Alten Testament (Das Alte Testament Deutsch, Ergänzungsreihe), 1,1. Geb. EUR 59,95. ISBN 978-3-525-51695-9.

Rezensent:

Manfred Hutter

Der Band vereint drei sehr unterschiedliche kulturelle Bereiche des Alten Orients. Es werden die religiösen Vorstellungen der Elamier im Südwesten Irans vom späten 4. bis zur Mitte des 1. Jt.s v. Chr. und die iranische Religion, die mit Zarathustra verbunden werden kann (H. Koch), sowie die Religion der Hethiter der Spätbronzezeit in Anatolien (V. Haas) behandelt.
In der Behandlung der religiösen Vorstellungen der Elamier durch H. Koch wird erstmals dieses Thema umfangreich in deutscher Sprache bearbeitet, wobei die Bedeutung der elamischen Religion für die frühe Religionsgeschichte Mesopotamiens deutlich wird. Mit dem ältesten kultischen Großbau, einer zweistufigen Ziqqurat aus Susa von 4000 v. Chr., erfinden die Elamier einen Tempelbautyp, der bis in die mittelelamische Zeit hinein gepflegt wird (vgl. dazu den Bau in Dur Untaš/Tschoga Zanbil vom 13. Jh.). Dieser Tempelbautyp wurde in Südmesopotamien rezipiert (älteste Zeugnisse vom Ende des 4. Jt.s), in vielen Fällen blieben die »Tempeltürme« Mesopotamiens bezüglich der Größe jedoch hinter den elamischen Vorbildern zurück. Auch die Vorstellung, Götter durch spezifische Symbole (kiden; vgl. das akkadische Lehnwort kidennu) darzustellen, wurde in der Religionsgeschichte Mesopotamiens aus Elam rezipiert. Koch zeigt anhand der sorgfältigen Sichtung des archäologischen Materials Teilaspekte elamischer Religion auf, ferner skizziert sie die Kenntnisse über die von Elamiern verehrten Götter durch die sorgfältige Analyse historischer, administrativer und juristischer Texte. In der Mitte des 1. Jt.s, als die politische Blüte Elams bereits zu Ende gekommen war, lässt sich eine Renaissance jener Götter beobachten, die in der elamischen Frühzeit im größerem Umfang verehrt worden waren als in der mittelelamischen Zeit. Da mythologische Texte und umfangreiche Gebete weitgehend fehlen, bleibt das Wissen über die Aufgabenbereiche und die Eigenschaften der Götter jedoch beschränkt. Oft sind diese nur aufgrund der philologischen Deutung der Götternamen oder durch die Übertragung von Eigenschaften mesopotamischer Götter auf die elamischen er­schließbar. Hinsichtlich der rituellen Praxis bleibt das Wissen – da Be­schreibungen von Opfer- oder Festritualen nicht vorhanden sin d– begrenzt. Lediglich bezüglich des Totenkultes kann man sa­gen, dass Darbringungen von Opfern verbindlich waren, was Rechts­urkunden vom Beginn des 2. Jt.s zeigen; der archäologische Befund macht dabei deutlich, dass es durchaus unterschiedliche Bestattungspraktiken gab.
Im Abschnitt über die iranische Religion Zarathustras greift Koch ihre in der Forschung wenig rezipierte These auf, dass Zarathustra ein älterer Zeitgenosse der Achämeniden gewesen sei und in den auf ihn zurückgehenden Texten des Avesta einen exklusiven Monotheismus gelehrt hätte. Die Deutung des Mannes in der Flügelsonne auf achämenidischen Reliefs als Ahura Mazda sowie Kochs These, dass das Avesta bereits in der Achämenidenzeit verschriftet gewesen sei und im sog. Zendan-e Soleiman bzw. in der Kaaba-ye Zardosht aufbewahrt worden wäre, sind ebenfalls kaum akzeptierte Thesen der Forschung. Hier ist dem Leser anzuraten, sich den aktuellen Forschungstand hinsichtlich des Zoroastrismus in anderen Studien anzueignen, etwa durch die umfangreiche dreibändige Studie von Michael Stausberg, »Die Religion Zarathushtras. Geschichte – Ge­genwart – Rituale« (Stuttgart 2002–2004), oder Stausbergs kurze Einführung in der Beck’schen Reihe (»Zarathustra und seine Religion«, München 2007). Ausgehend von ihrer Sichtweise der Religion Zarathustras deutet Koch auch die religiösen Verhältnisse, die sich aus den elamischen Verwaltungstäfelchen aus Persepolis aus dem Zeitraum zwischen 509 und 494 v. Chr. erschließen lassen.
Es ist ein Verdienst Kochs, intensiv zur Erschließung dieser Verwaltungstexte beigetragen zu haben, die nicht nur Licht auf das Weiterleben elamischer Religion bis in die Achämenidenzeit werfen, sondern auch die Vielfalt religiöser Vorstellungen unter den Achämeniden zeigen. Allerdings verstellt sie sich manchmal durch ihr Festhalten an ihrem Zoroastrismusbild den Blick für ausgewogenere Interpretationen der Täfelchen. So handelt es sich bei dem in den Verwaltungstexten genannten lan-Opfer keineswegs um ein Staatsopfer für Ahura Mazda, da diese Opferpraxis bereits in der mittelelamischen Zeit – also vor der Ankunft des Zoroastrismus im Südwesten Irans – belegt ist. Die Interpretation Kochs, im Ausdruck Visai Baga (»alle Götter«) eine Umschreibung für die Amesha Spentas des Zoroastrismus zu sehen, ist kaum überzeugend, da diese Überlegung dem Festhalten am Monotheismus geschuldet ist. Kochs Darstellung ist daher wiederum durch anderes zu ergänzen, etwa durch die Studie von Wouter Henkelman (»The Other Gods who Are. Studies in Elamite-Iranian Acculturation Based on the Persepolis Fortification Texts«, Leiden 2008).
Spätestens seit seiner mehr als 1000-seitigen »Geschichte der hethitischen Religion« (Leiden 1994) gilt V. Haas als führende Autorität auf dem Gebiet kleinasiatischer Religionsgeschichte. Seine in diesem Buch vorgelegte Darstellung der Religion der Hethiter geht auf neuere Forschungsergebnisse ein, ohne jedoch von den in seinem opus magnum vorgelegten Sichtweisen wesentlich abzuweichen. Bezüglich der Definition seines Themas formuliert Haas (149), dass man »nicht von einem eigenständigen, in sich geschlossenen religiösen System […] auszugehen [hat], sondern von einer Kult- und Opferreligion, bestehend aus einem bunten Gemisch lokal bedingter Vorstellungen«. Dieses Vorverständnis führt dazu, dass die Darstellung von Haas großes Augenmerk auf phänomenologische Systematisierungen legt. Er behandelt in anschaulicher Weise Weltvorstellungen und bietet Überlegungen zum Wesen der Götter. Dabei hebt Haas zu Recht hervor, dass man zwar zwischen »großen« und »kleinen« Göttern unterscheiden kann, aber die religiösen Traditionen keine substanziellen Abstufungen zwischen Göttern, Geistern, Genien oder Heroen kennen. Die Sakralität der Götter erlaubt durch ein Beziehungs- und Symbolsystem, dass auch Naturheiligtümer Anteil an dieser Sakralität haben, und kennt Möglichkeiten, wie der Mensch sich die göttlichen Kräfte verfügbar machen kann. Auch gibt es ein umfangreiches System von Reinheitsvorstellungen: Unreinheit stört die Beziehungen zwischen einem Menschen und den Göttern sowie der Gesellschaft. Solche »Störungen« und ihre Beseitigung prägen nicht nur das Menschenbild und die Vorstellung von Tod und Jenseits, sondern im positiven Fall resultiert daraus die Reinheit und Sakralität des Königtums. Entsprechend detailliert geht Haas daher auf den Staatskult und die Kulte der einzelnen Götter ein. Charakteristisch für die Darstellung der Religion ist dabei die Hypothese von Haas, dass das Quellenmaterial sich nur auf den Staatskult bezieht. Diese methodische Beschränkung ist zu eng getroffen; denn daraus resultiert eine zum Teil allzu harmonisierende Darstellung, die manche eigenständigen Strömungen, die sich im Textkorpus unterscheiden lassen, als Teil der »hethitischen« Religion vereinnahmt. So kann man – etwa mit Piotr Taracha (»Religions of Second Millennium Anatolia«, Wiesbaden 2009, 92–95) – durchaus zwischen dem Staatskult mit den damit verbundenen Festen und der Verehrung eines »dynastischen Pantheons« durch das Königshaus unterscheiden. Genauso sollte stärker den eigenen religiösen Vorstellungen der ethnischen Gruppen im Hethiterreich Rechnung getragen werden. Zwei kurze Abschnitte widmen sich dem »Nachleben« der hethitischen Religion im 1. Jt.; dabei weist Haas auf einzelne Beispiele bei Phrygern, Lykern und Lydern hin, erwähnt auch die »biblischen« Hethiter, die Reinigungsriten des Buches Levitikus und das Wettergottprofil Jahwehs, genauso wie griechische My­then, deren Wurzeln im hethitischen Kleinasien liegen.
Zieht man ein Resümee, so wird dem Leser ein Überblick zu drei eigenständigen religiösen Welten gegeben, der jedoch kritisch gelesen werden muss. Die gemeinsame Zusammenstellung der drei Religionen ist nicht näher begründet, dürfte somit zufällig geschehen sein, weil auch die Verfasserin bzw. der Verfasser weder aufeinander Bezug nehmen noch durch eine vergleichbare Struktur ihrer Beiträge eventuelle Analogien hervortreten lassen. Hier hätten gemeinsame konzeptionelle Überlegungen der Autoren, die als Philologen und Historiker, aber nicht als Religionswissenschaftler ihre Stärken haben, die Qualität des Buches verbessern können. Möglicherweise wäre für manchen Leser – aufgrund der Einbettung des Buches in die »Grundrisse zum Alten Testament« – auch eine klarere Bezugnahme auf das Alte Testament wünschenswert gewesen. Diese Beobachtungen betreffen dabei nicht nur die Autoren, sondern auch die Herausgeber hinsichtlich des Konzepts des Bandes in dieser Buchreihe.