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Ausgabe:

November/2012

Spalte:

1175–1177

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Egelhaaf-Gaiser, Ulrike, Pausch, Dennis, u. Meike Rühl [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Kultur der Antike. Transdisziplinäres Arbeiten in den Altertumswissenschaften.

Verlag:

Berlin: Verlag Antike 2011. 456 S. m. zahlr. Abb. 22,0 x 14,5 cm. Geb. EUR 54,90. ISBN 978-3-938032-41-1.

Rezensent:

Bianca C. Hausburg

An vielen Universitäten Deutschlands hat die Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge zu einer Umstrukturierung der altertumswissenschaftlichen Disziplinen geführt, die eine engere Vernetzung der Klassischen Philologie mit der Alten Ge­schichte, der Klassischen Archäologie und der Antiken Religionswissenschaft erforderlich macht. Eine solche Kooperation gestaltet sich jedoch aufgrund der starken Spezialisierung der einzelnen Teildisziplinen manchmal schwierig. Vor diesem Hintergrund setzt sich der vorliegende Sammelband das Ziel, Brücken zwischen den Einzeldisziplinen zu schlagen und einen Einblick in die Me­thoden und Konventionen der Nachbarfächer zu geben. Er soll Studierenden und Lehrenden als ein Studienbuch dienen, »das fachübergreifendes Arbeiten am konkreten Fallbeispiel vorführt« (9).
Das Werk beginnt mit zwei einleitenden Kapiteln, in denen das Konzept und die Ziele der Transdisziplinarität vorgestellt (9–13) und anschließend in einen weiteren forschungsgeschichtlichen Zusammenhang eingeordnet werden (15–44). Hierauf folgen 16 Beiträge, die exemplarisch Forschungsfragen vorstellen, die mit den Quellen und Methoden einer einzelnen Teildisziplin nicht beantwortet werden können. Als Untergliederung dienen dabei die vier Überschriften »Darstellen«, »Repräsentieren«, »Fixieren« und »Verweisen«, denen jeweils vier Beiträge zugeordnet sind. Jeder dieser vier Einheiten ist eine methodische Reflexion und eine Kurzvorstellung der jeweiligen Beiträge vorangestellt. Aus Platzgründen werden im Folgenden nur vier Beiträge besprochen, die für den theologisch und religionswissenschaftlich interessierten Leser von besonderem Interesse sein dürften.
Der erste betrifft das Verhältnis von frühem Christentum und paganer Antike. In seinem Beitrag »Philosophen, Mönche und Hetären. Die Apophthegmata Patrum im Schnittfeld von Theologie und Klassischer Philologie« (112–128) stellt T. J. Bauer eine Anekdote über den Wüstenvater Johannes Kolobos vor, der eine Hetäre zur inneren Umkehr bewegt (AP 355). Bauer kann anschaulich zeigen, wie in diesem Text Elemente der paganen Philosophenviten und Motive aus dem Neuen Testament miteinander verschmolzen sind. Die Untersuchung eignet sich gut als Einstieg in die Thematik und kann als Leitfaden für transdisziplinär ausgerichtete Seminare oder Arbeiten dienen. Leider vermisst man in der Auswahlbibliographie die nützliche Arbeit von C. Gnilka, ΧΡΗΣΙΣ. Die Methode der Kirchenväter im Umgang mit der antiken Kultur, Bd. 1: Der Begriff des »rechten Gebrauchs«, Basel/Stuttgart 1984.
In das Grenzgebiet von Klassischer Philologie, Archäologie und Religionsgeschichte gehört der Beitrag von C. Frateantonio, in dessen Zentrum das Heiligtum und Orakel der Fortuna Primigenia in Praeneste steht (174–199). Frateantonio strukturiert ihren Beitrag anhand von vier Leitfragen, welche die Datierung der Anlage, die antiken Meinungen über den Orakelbetrieb und vor allem die Bedeutung des Heiligtums berühren. Die paradoxe Tatsache, dass die gewaltige Orakelstätte in Praeneste bei den römischen Historiographen kaum Beachtung findet und nie auch nur annähernd einen mit dem griechischen Delphi vergleichbaren Rang erreichte, erklärt Frateantonio dadurch, dass die Römer »sich nicht von den Unwägbarkeiten fremder Prophetien über das Schicksal des römischen Volkes abhängig machen« wollten (194) und stattdessen »begannen, ihr eigenes System von Wahrsagung in Rom zu etablieren« (193). Diese Deutung vermag nicht recht zu überzeugen, da die Römer in Staatsangelegenheiten bisweilen Gesandte zur Orakelbefragung sogar bis nach Griechenland geschickt haben (vgl. Liv. 23.11.1, 28.45.12, 29.10.6). Vielleicht sollte die römische Ablehnung der praenestinischen Orakelstätte eher im Kontext der Beziehungen zwischen Rom und den Städten Latiums betrachtet werden. Aus den Komödien des Plautus geht deutlich hervor, mit welcher Verachtung man auf die Bewohner von Praeneste blickte (vgl. Plaut. Bacch. 12, Capt. 880–5, Truc. 690–1), die im Jahre 216 v. Chr. das römische Bürgerrecht abgelehnt hatten (vgl. Liv. 23.20.2).
Überzeugender ist die Untersuchung von A. Klöckner, die dem kaiserzeitlichen Mithraskult gewidmet ist. In ihrem Beitrag »Mithras und das Mahl der Männer. Götterbild, Ritual und sakraler Raum in einem römischen ›Mysterienkult‹« (200–225) geht die Archäologin der Frage nach, inwiefern sich die Kultbilder und die bauliche Gestaltung der Mithräen von den Bauten konkurrierender Kulte unterscheiden. Aus der Tatsache, dass man in den Mithräen fast nie lebensgroße Skulpturen vorfindet, folgert Klöckner, dass die sonst üblichen Kulthandlungen wie das Kleiden und Schmücken der Götterfigur im Mithraskult keine Rolle spielten. Stattdessen finden wir eine große Fülle auffällig ähnlich gestalteter Reliefs und Wandmalereien, die in ihrer Zweidimensionalität auf den Gott und seine Taten eher verweisen als ihn zu repräsentieren: »Der Charakter des Abbildes ist hier stärker als der der Verkörperung des Gottes« (216). Klöckner erklärt ihre Argumentationsschritte sorgfältig und nachvollziehbar und fügt ihre Beobachtungen zu einem stimmigen Gesamtbild zusammen. Ihr Beitrag ist daher für ein Studienbuch zum transdisziplinären Arbeiten geradezu vorbildlich.
Gleiches gilt für den Aufsatz von A. Schäfer, der sich in seinen »Überlegungen zur Votivreligion am Beispiel ritueller Deponierungen in Gruben« (276–308) die Frage stellt, welche Rückschlüsse auf Kultpraktiken archäologische Funde und ihre Anordnung zulassen. Als exemplum dient ein religiöses Kultlokal in der römischen Stadt Apulum, in dem mehrere Räume und angrenzende Gruben freigelegt worden sind. Neben Speiseresten machen in den Gruben Keramikscherben den größten Teil des Füllstoffes aus. Darunter finden sich auch Gegenstände, die für einen Alltagsgebrauch zu klein waren und wohl nur für die symbolische Verwendung im Kult hergestellt wurden. Ähnliches scheint für das aufgefundene Essgeschirr zu gelten. Dessen minderwertige Qualität sowie die Spuren von Messerkerben legen nahe, dass es lediglich für den einmaligen Gebrauch bei einem Kultmahl und das anschließende Zerschlagen und Deponieren in der Grube produziert wurde. Be­sonders aufschlussreich sind Schäfers Überlegungen zu den Möglichkeiten und Grenzen, die eine solche Untersuchung von Votiven und Kultlokalen für die Religionswissenschaft bietet (Abschnitt 1.3 und 3).
In der Summe bietet der Sammelband einen interessanten Querschnitt durch die »Kultur der Antike«. Bedenkt man allerdings, dass das einzige verbindende Element der 16 Beiträge die Transdisziplinarität ist, wäre in der Einleitung eine schärfere Abgrenzung vom Begriff der Interdisziplinarität wünschenswert ge­wesen. Innerhalb der einzelnen Aufsätze scheinen die Begriffe ge­radezu synonym verwendet zu werden (vgl. u. a. 113.158.265). Dennoch steht außer Zweifel, dass die 16 Beiträge nicht nur für ihre jeweiligen Untersuchungsgegenstände ertragreich sind, sondern darüber hinaus anschaulich vorführen, wie verschiedene Perspektiven und Methoden für die altertumswissenschaftliche Forschung fruchtbar gemacht werden können. Das Ziel, ein vielseitig verwendbares Studienbuch zum transdisziplinären Arbeiten zu schaffen, ist somit vollauf erreicht.