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Ausgabe:

März/1996

Spalte:

284–286

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Pranger, M. B.

Titel/Untertitel:

Bernard of Clairvaux and the Shape of Monastic Thought: Broken Dreams.

Verlag:

Leiden-New York-Köln: Brill 1994. XII, 375 S. gr. 8o = Brill’s studies in intellectual History, 56. Lw. Nlg. 150,­. ISBN 90-04-10055-5.

Rezensent:

Ulrich Köpf

Dieses Buch ist gewiß eine originelle Einführung in das Werk des größten Schriftstellers aus dem Zisterzienserorden für englischsprechende Leser, die kein Latein können; doch als einen Beitrag zur Bernhard-Forschung wird man es kaum bezeichnen können. Der Vf. beschreibt sein Vorhaben und seine Stellung innerhalb der Forschungsgeschichte nur vage. Als Hauptziel seiner Arbeit bezeichnet er es, "to catch Bernard at work in the process of creating literature" (17). Dabei grenzt er sein Vorgehen grundsätzlich gegen zwei andere Auffassungen ab: zum einen gegen die auch von Erasmus vertretene Ansicht, Bernhards literarische Fähigkeiten beruhten nur auf Begabung und entbehrten der Schulung, zum andern gegen die Meinung seiner religiösen Bewunderer (in der Gegenwart angeblich besonders die "Schule" Jean Leclercqs), seine religiöse Sprache sei zuerst und vor allem der spontane Ausdruck tiefempfundener religöser Gefühle (8 f.). Er weist darauf hin, daß beide Auffassungen leicht den Zugang zum literarischen Charakter von Bernhards Schriften verstellen. Demgegenüber betont er, wir könnten Bernhards Psychologie und Frömmigkeit nicht von der literarischen Form lösen, in der sie auf uns gekommen ist (10).

Diese Einsicht ist zweifellos richtig; sie ist auch keineswegs neu. Sie bildet eine Grundtendenz der neueren literaturwissenschaftlichen Mystikforschung ­ oft mit erheblichen Übertreibungen und Verzerrungen, die den umgekehrten Eindruck erwecken, die literarische Gestalt lasse sich von der historischen Situation, von den Erfahrungen und Absichten lösen, die sie hervorgebracht haben und die auf unterschiedliche Weise als "Inhalte" in ihr aufbewahrt sind. Es wäre ungerecht, das vorliegende Werk allein unter diesem Aspekt zu sehen. Aber der Vf. verzichtet, wie er in der Einleitung ausdrücklich erklärt, von vornherein auf den Versuch, Bernhard in den historischen Kontext des 12. Jh.s einzufügen (17). Er geht auch nur vereinzelt auf den geschichtlichen Hintergrund seiner Lebensform und seines Denkens ein. Ausführlicher berücksichtigt er die Benediktsregel, die ihm jedoch vor allem als Vorlage für Bernhards Schrift De gradibus humilitatis et superbiae (Kap. 3) wichtig ist und in diesem Zusammenhang ebenfalls weitgehend als literarisches Erzeugnis behandelt wird, dessen Verfasser eben als "Künstler" ein Idealbild monastischen Lebens entwirft (86). Wichtiger als die historischen Voraussetzungen scheinen moderne Interpretationshilfen, die P. bei Escher und Mondrian, Pierre Boulez und Gustav Mahler, Sainte-Beuve und Racine, James Joyce, Umberto Eco und anderen findet.

Das Buch enthält neben der Einleitung vier Teile von wachsendem Umfang. Der erste Teil, "History" (21-44), knüpft an Bernhards bekannte Äußerungen eines Selbstzweifels (seine Selbstbezeichnung als Chimäre Ep. 250,4; das perdite vixi SC 20,1) an und stellt sie in den Zusammenhang mit literarischen Reflexionen auf Bernhards außerklösterliches Wirken (Streit mit Cluny, Angriff auf Abaelard, 2. Kreuzzug). Dabei hebt P. sein Ziel hervor, sich mehr auf die "literary-monastic structure" von Bernhards Werk zu konzentrieren, denn dieses Werk als historische Quelle auszuwerten (34). An anderer Stelle erklärt er ausdrücklich, daß er hier den Begriff "monastisch" als literarische Kategorie gebrauche (43 Anm. 23). Hatte dieser erste Abschnitt die Biographie Bernhards im Blick, wenn auch "as perceived by himself" (16), so gelten die folgenden Teile ausschließlich seinem Werk. Unter bestimmten Leitthemen betrachtet P. jeweils einzelne Schriften: Teil 2 (45-121) über den Schriftsteller Bernhard ist unter dem Thema "literary timidity" der 23. Hohelied-Predigt, unter dem Stichwort "configurations" der Schrift De gradibus humilitatis et superbiae gewidmet; Teil 3 (123-206) über die monastische Lebensform stellt unter den Begriffen "Liebe" und "Tod" die Sermones in laudibus Virginis Matris sowie Bernhards Predigt auf den Tod seines Bruders Gerhard (SC 26) vor; Teil 4 (207-335) über die Feier der Liturgie im Kloster interpretiert nach einem Kapitel über Suger von St. Denis und sein Verhältnis zum Abt von Clairvaux dessen Weihnachtspredigten In nativitate Domini sowie Texte zu Auferstehung und Pfingsten (SC 2.15.16.74 und In resurrectione). Auf weiten Srecken beschränkt sich der Vf. darauf, diese und einige kürzere Texte in englischer Übertragung mit Einleitungen, Paraphrasen und Interpretationen zu bieten. Bernhards Weihnachtspredigten finden sich sogar in vollständiger Übertragung durch Peter Cramer (234-244). Seinem Vorsatz getreu geht P. nur selten und beiläufig auf historische Zusammenhänge ein, und die Bernhard-Forschung wird nur am Rande erwähnt. Sonderbar nur, daß in einer auf das Literarische konzentrierten Arbeit Leclercqs Untersuchungen über Entstehung, literarischen Charakter und Überlieferung der Werke Bernhards so souverän übergangen werden.

Der Eindruck bei der Lektüre ist zwiespältig: zwar keine Bereicherung unseres Bernhard-Bildes, doch eine sehr selbständige Hinführung zu einzelnen Texten des großen Schriftstellers; keine historisch angemessene Darstellung der zisterziensischen Lebensform, aber eine Reihe sensibler und phantasievoller Interpretationen monastischer Texte, wobei "monastisch" eben weniger als historisches Phänomen denn als dessen literarischer Ausdruck und Reflex verstanden wird. Bereits die Einleitung beginnt vielversprechend mit einem Blick auf die Lage und Architektur französischer Zisterzienserklöster und fragt nach dem Widerhall der Stimme Bernhards an diesen Plätzen (2). Das Thema "monastic site" durchzieht das ganze Buch, ohne allerdings wirklich fruchtbar gemacht zu werden, da es wie so vieles, worüber der Vf. schreibt, im blassen Lichte des bloß Literarischen bleibt und der historischen Konkretisierung entbehrt.

Im übrigen erreicht der Vf. bei aller Gewandtheit nirgends die religiöse Kraft und die gedankliche Tiefe des Autors, den er interpretiert. Als Beispiel dafür, wie er zentrale Gehalte verfehlen kann, mag seine Deutung von Bernhards Umgang mit der in der Frühscholastik viel verhandelten Frage nach dem Wissen Christi in De gradibus erwähnt werden. P. sieht darin ein Beispiel dafür, wie Bernhard sogar individualistische Selbsterkenntnis auf soziale Verhältnisse bezieht, im Leiden Christi einen sozialen Zweck entdeckt und zur Solidarität mit menschlichem Elend hinführt (111). Daß es hier um eine grundlegende hermeneutische Funktion der Erfahrung geht, kommt dabei nicht zur Sprache. Doch soll diese kritische Bemerkung nicht den Schluß dieser Besprechung bilden. Das Buch ist reich an treffenden Beobachtungen und geistreichen Formulierungen, die sich freilich vom Rez. so wenig zu allgemeinen Ergebnissen zusammenfassen lassen, wie dies dem Vf. möglich war. Die Interpretation einzelner Texte läßt sich aber nicht in Kürze referieren. So mag als beliebig herausgegriffenes Beispiel für den Stil des Vf. am Ende die hübsche Charakterisierung des Mönchs stehen, der gerade die Stufen des Stolzes emporsteigt (auch wenn es höchst problematisch ist, mit P. dabei an die Jakobsleiter zu denken): "On whatever step of the ladder the monk finds himself on this way up, his caricature laughs in his face when he looks back into the mirror of his own progress, just to watch himself tumbling down." (99).