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Ausgabe:

März/1996

Spalte:

280–283

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

K. Kremer u. K. Reinhardt

Titel/Untertitel:

Nikolaus von Kues: Kirche und Respublica Christiana. Konkordanz, Repräsentanz und Konsens. Akten des Symposions in Trier vom 22. bis 24. April 1993.

Verlag:

Trier: Paulinus 1994. XIV, 354 S. gr. 8o = Mitteilungen und Forschungsbeiträge der Cusanus-Gesellschaft, 21. Kart. DM 78,­. ISBN 3-7902-1362-4.

Rezensent:

Klaus Otte

Eine persönliche und wissenschaftliche Freude ist es dem Rez., nicht nur dem großen Kirchenmann, Theologen und Philosophen Nikolaus von Kues, Reverenz zu erweisen, sondern auch dem diesem kongenialen 1913 ebenfalls an der Mosel geborenen und nun verewigten Prälaten und Cusanus-Forscher Rudolf Haubst aus der inneren Zuneigung eines protestantischen Basler und Frankfurter theologischen Kollegen Dank und Verehrung zu zollen. Hat doch dieser deutsche Promotor des in S. Pietro in Vincoli zu Rom Begrabenen nicht nur die wissenschaftliche Cusanus-Forschung wesentlich gefördert, sondern weit darüber hinaus auch durch seine charismatische Offenheit für die Ökumene fruchtbar gemacht.

Der 21. Band der Forschungsbeiträge, welcher eigentlich als Jubiläumsausgabe zum 80. Geburtstag von R. Haubst geplant war und nun zur Memorial Lecture für den am 19. Juli 1992 Verstorbenen wurde, wendet sich in jedes Mal erneut guter Atmosphäre der Trierer Cusanus-Symposien dem letztjährigen Thema "Kirche und Respublica Christiana ­ Konkordanz, Repräsentanz und Konsens" sowohl historisch wie systematisch zu. Die Eröffnungsrede des Vorsitzenden der Cusanus-Gesellschaft H. Gestrich mit einer Anspielung auf eine freiheitliche Kirche in einem freiheitlichen Staat (5) leitet das In Memoriam Rudolf Haubst von K. Kremer ein, welches in der uneingeschränkten Anerkennung gipfelt, daß der nun Verewigte "alle Kraft in den Dienst der Verwirklichung der ’Einen Religion in der Verschiedenheit der Riten’" gestellt habe (26). Diesem pflichten die kirchlichen und staatlichen Vertreter, Bischof H. Spital und Staatsminister E. J. Zöllner, bei; ihm geben auch der Präsident der amerikanischen Cusanus-Gesellschaft M. Watanabe und der der japanischen S. Oide Recht durch die Reaktionsberichte aus ihren Ländern. E. Colomer aus Barcelona anerkennt, daß kaum ein Forscher "das theologische Denken des Cusanus in der Tiefe erfaßt" hätte wie Haubst. (31)

Der schon im Vorwort von K. Kremer hervorgehobenen Verankerung seelsorgerlich-praktischer Überlegungen in Historie bei NvK gemäß heben sich die eher systematischen Untersuchungen von R. Weier, K. Reinhardt, P. E. Sigmund, W. Krämer und der Sonderbeitrag vonK.-H. Kandler formal und in ihrer Tendenz von den historischen Abhandlungen J. W. Stiebers, H. J. Hallauers und dem Geschichtsreferat E. Meuthens "Nikolaus von Kues und die deutsche Kirche am Vorabend der Reformation" deutlich ab. Von der gelegentlichen Erwägung, ob durch NvK. die Reformation hätte verhindert werden können, läßt sich E. Meuthen leiten: "Wieweit kann NvK. als ihr Geistesverwandter gelten? Wieweit repräsentiert er in einer Vorwegnahme (gar) ökumenische Zukunftsmöglichkeiten?". (40) Ohne einer "historischen Logistik" (76) das Wort reden zu wollen, führt der Vf. die hermeneutischen Vorgaben einer jeden Geschichtsdeutung ins Feld (39 f.) und schlußfolgert aus seinem ekklesiologischen "Themenmosaik" (53), daß "das geschichtliche Ereignis Reformation" kaum hätte vermieden werden können. (76) In der anschließenden Diskussion kommen schon die Bedenken auf, ob hier nicht theologisch-reale Möglichkeiten zu idealistisch kirchenpolitischen Erwägungen geopfert würden. (77)

Ebenfalls in historischer Manier entfaltet J. W. Stieber den "Kirchenbegriff des Cusanus vor dem Hintergrund der kirchenpolitischen Entwicklungen und kirchentheoretischen Vorstellungen seiner Zeit". (87) Die "kirchentheoretischen Gegensätze" (89) geraten zu einer weiten Darstellung gegenseitigen Ringens von Basler Konzil, Papst und einer ekklesialen Rolle im Sinne des Cusaners. Als "corpus Christi mysticum" müsse die Kirche säuberlich vom "corpus politicum" abgehoben werden, obwohl sich aus ihrer gegenseitigen Durchdringung eine dem NvK. vermutlich gemäßere Schau ergeben würde. Es kommt zur Ausgliederung eines päpstlichen, eines konziliaren und schließlich cusanischen Kirchenbegriffs, wobei exegetische Quellen wie 1Kor. 12,25 in die Beliebigkeit des Streites historischer Deutung zu geraten drohen (102), weil das Netz damaliger hussitischer, konziliarer, papistischer und reformatorischer Kirchenauffassungen beinahe willkürlich, jedenfalls jedoch ohne eine ausreichende ontologische Basis gegeneinander ausgespielt werden. Zwar bleibt für das historische Interesse, die Kirche auch als "corpus politicum" dürfe nicht mit "anderen politischen Körperschaften" verglichen werden (119), aber die Frage nach echten Unterscheidungskriterien bleibt ebenfalls.

Beinahe soziologisch-psychologisch nimmt sich H. J. Hallauer in "NvK. als Bischof und Landesfürst" des "Bürgersohns aus dem kleinen Moseldorf, zum Kardinal kreiert" (275) "im erlauchten Kreis der Fürsten Hl. Römischen Reiches" in Brixen (275) an. Mißerfolge des "Fürsten Nikolaus" (288) machten das Staunen heutiger Forscher über die Eigentümlichkeiten cusanischer Eintragungen plausibel. Von unverziehenen Niederlagen des Nikolaus ist da die Rede (299). Schließlich habe er keine "Tradition durchbrochen" (304), sondern den Status quo "mit Zähnen und Klauen" verteidigt. (305) Obwohl der Vf. meint, NvK. "gab sein Bestes als Seelsorger, Bischof und Landesfürst" (305), fragt man sich praktischer und akademischer Theologe doch, worin solches dann phänomenologisch bestanden haben könnte.

Dem inneren Wesen des Themas scheint R. Weiser mit "Christus als ’Haupt’ und ’Fundament’ der Kirche", erwünscht von R. Haubst und geschrieben als Replik auf die zahllosen kirchenrechtlichen und kirchenpolitischen Aspekte, durch seine dogmatische Analyse näherzukommen. Christologisch als Leib Christi und pneumatologisch als die geglaubte Einheit in der Vielheit bietet die Kirche Christusförmigkeit, katholische Einheit und Vollendung des Menschen. (170) Autorität der Schriftauslegung und Reform sei zusammengefaßt in der Autorität des Papstes (176), indessen gilt: "Was alle betrifft, muß von allen gebilligt werden." (178) Die anschließende Diskussion verbeißt sich in Definitionen über sichtbare und unsichtbare Kirche und läßt eine systematisch-theologische Reduktion weitgehend vermissen.

Ähnlich kommt der Mangel an systematischer Vertiefung in Richtung cusanische Denkstrukturen im Beitrag K. Reinhardts "Die Repräsentanz Christi und der Christusgläubigen im kirchlichen Amt" (183) zum Vorschein. Dualistisch statt dialektisch dynamisch werden von der Basis getragenes und hierarchisches Amt als Doppelfunktion herausgestellt (201), ohne einer echten Konkordanz oder Koinzidenz Raum zu geben. Streit um Prioritäten wie Akzeptanz und Majorität verdrängen cusanisches Denken in dialektisch-ontologischen Denkstrukturen.

Konziliartheoretisch gibt sich der mutige Beitrag von P. E. Sigmund "Das Verhältnis von Papst und Bischöfen nach Cusanus und sein Postulat eines ’ständigen kleinen Konzils (211)’". "Concordantia" ist das Prinzip, "nach dem die katholische Kirche in Einheit und Vielfalt übereinstimmt." (212) "Dem Papst unbegrenzte Macht zuzugestehen", ist dabei nicht möglich. (223) Die Bischöfe haben den Vorrang. (225) Die anschließende Diskussion flüchtet sich wiederum auf umstrittene Definitionen wie "ganz großer Politiker" (227), "praktischer Mensch" und "Utopist" (228), anstatt sich der inneren Denkbewegung des Cusaners in wissenschaftlicher Sensibilität anzuvertrauen.

Mit Feingefühl für die Probleme historischer Hermeneutik versucht auch W. Krämer das Thema "Konkordanz und Konsens in Kirche und Respublica Christiana" (231) unter dreifachem Aspekt der inneren "communio", des "caput" und schließlich der eschatologischen Dimension zu behandeln. "Die Rechtsgültigkeit päpstlicher Gesetze ist von der Annahme abhängig" (263), verbindliche Kriterien seien "die heilige Schrift, die Konzilien und das Gewohnheitsrecht" (aaO) und mit zu berücksichtigen seien die sogenannten ’Handlungskriterien’ wie Praktizieren und Nicht-Praktizieren. (264) Auch die darauf folgende Diskussion erwies sich eher als ein Streiten über Definitionen als ein Eindringen in die personal-ontologische Sicht des Cusanus, welche gerade nach diesem Vortrag möglich gewesen gewesen wäre. Der kurze Beitrag K.-H. Kandlers "Congregatio multorum in uno" (319) apostrophiert zumindest eine ontologische Denkweise, welche nicht im Sinne des Nominalismus wäre, sondern im Bereich phänomenologischer Seins-Philosophie angesiedelt ist. Der dem cusanischen Denken, Spekulieren und Handeln zugrunde liegende dialektisch-dynamische Seinsbegriff würde vermutlich das vital-spirituelle Engagement des Cusaners verständlicher machen und auch den Wunsch R. Haubts nach einer Christologie erklären, wie R. Weier erwähnt hat (163). Denn Christus ist das Geheimnis des Seins in Christus (2Kor. 5,17) wie in praktischer so auch in erkenntnistheoretischer Sicht, wenn Soteriologie nicht nur ein Sonderfall des Daseins sein sollte. Wäre das cusanisch?