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Ausgabe:

März/1996

Spalte:

270–272

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hong, In-Gyu

Titel/Untertitel:

The Law in Galatians.

Verlag:

Sheffield: JSOT Press 1993. 235 S. 8o = Journal for the Study of the New Testament, Suppl.Series 81. Lw. £ 35,­. ISBN 1-85075-391-1.

Rezensent:

Hermann Lichtenberger

Das paulinische Gesetzesverständnis ist noch immer "ein Sturmzentrum der Paulusforschung" (so G. Klein in VuF 33, 1988, 40), das vorzustellende Buch stellt sich mutig in diesen Sturm, versucht aber manche Woge zu glätten. Die jüngste Diskussion im Blick auf die Frage einer Einheitlichkeit des paulinischen Redens vom Gesetz bzw. möglicher Entwicklungen (Hübner, Wilckens, Sanders, Räisänen, Dunn, auch Rückgriff auf Schoeps) erscheint dem Vf. als unbefriedigend. Ausgangspunkt sollte eine einzelne Schrift sein, und da Paulus in Gal zum ersten Mal das Problem des Gesetzes behandle (15), will er nun diesen Text zugrundelegen. Die Untersuchung hat zwei Hauptteile in sieben Kapiteln, gefolgt von einem Schlußabschnitt; abgeschlossen wird das Buch mit einer Bibliographie (198-219) sowie Stellen- und Autorenregister. Dem ersten Hauptteil ("Preliminary considerations") zugrunde liegt eine Analyse der Oberflächenstruktur mittels der Diskursanalyse ("discourse analysis") nach dem Vorbild von Louw, Nida u.a. (18-73).

Aufgrund syntaktischer Merkmale unterteilt der Vf. Gal in 172 Kola ("the typical colon is a single, independent grammatical structure consisting of a subjective, nominal element and a predicate, verbal element", 19). Die Kola werden zu clusters, diese zu paragraphs und jene zu pericopae zusammengefaßt. Bei dieser Analyse werden als stilistische Merkmale die vielfältigen Möglichkeiten der Wiederholung erkennbar (20 f.): Wiederholung von Wörtern oder Sätzen, Parallelismus, Chiasmus, Antithese. Dabei sind die rhetorischen Elemente ("Galatians is not a systematic theological treatise but is stylistically rather like a speech", 21) sowohl auf der Macro- wie der Microebene zu erkennen. Die Analyse macht besonders die antithetischen Paare an Gal deutlich (74-76) sowie die Sätze, die als Dreh- und Angelpunkt ("pivotal statements", 76-95) zentrale Bedeutung haben (wie 3, 13-14, 79-86). Kap. 3 wendet sich den Gegnern zu und unterscheidet methodisch sachgemäß zwischen deren Argumentation und ihrer Identität (97-120). Es handelt sich, so Vf., um Judenchristen, die, verbunden mit dem rechten Flügel der Jerusalemer Kirche, die Abrahamkindschaft als Voraussetzung für das Heil verkündigen, und ­ entsprechend dem Abrahambund der Beschneidung ­ diese auch für die Heiden fordern. Der Gal ist eine Antwort auf diese Krisensituation.

Der zweite Hauptteil ("Paul’s view of the law") unternimmt eine umfassenden Darstellung des paulinischen Gesetzesverständnisses in Gal. Zunächst wird festgestellt, daß, außer 3,21b und 4,21b, nomos das Israel durch Mose gegebene Gesetz vom Sinai ist (122-124). Das Gesetz war nie "a means of access to salvation" (125), sondern ist "condition for staying in the Sinai Covenant" (133; 133-145). Weil die Gegner des Paulus das gesetz ebenfalls in diesem Kontext sahen, wollten sie die Heiden zwingen, "to observe the law as a means of admission to the true descendants of Abraham, regarding the Gentiles as proselytes" (144). "But their error lies in the failure to grasp thet Israel broke the covenant by their disobedience, and that Christ died on the cross in order to remove the resulting curse upon them and thereby enacted a new covenant, creating a new people of God" (144). Der Vf. folgt Dunn im Verständnis des Gesetzes als eines "identity symbol of Judaism" (148), durch das Juden von den Heiden unterschieden sind. Im Kap. 6 ("The law as an enslaving power") wird die versklavende Macht des Gesetzes in Auslegung von 3,19-21 herausgestellt, wobei charin in 3,19 "for the purpose" (151) bedeutet. Hübners Interpretation von 3,19c wird zurückgewiesen (152-155): "It is by God, I am claiming, that the law was intended to serve to produce transgressions" (155). Die Versklavung unter die stoicheia ("heavenly bodies and elements which were worshipped as gods in paganism", 165) ist gleich der unter das Gesetz. Das Schlußkapitel 7 ("The law as an expression of love") setzt sich mit Hübners Interpretation von 5,3 und 5,14 auseinander und besteht darauf, daß das gesetz, das in der Liebe erfüllt wird, das jüdische Gesetz ist (173). Das Gesetz Christi erfüllen (6,2) bedeute "to satisfy the true intention" (179), und das geschieht eben in der Liebe, das Gesetz selbst ist "ultimately an expression of love" (179). Zwar ist nur Israel verpflichtet, das ganze Gesetz zu erfüllen, aber auch für Christen bleibt es "an expression of God’s will, particularly an expression of love" (182); die Erfüllung des Gesetzes ist so ein Ergebnis der Liebe (182) und entspringt dem Leben nach dem Geist (183). Nächstenliebe ist Antwort auf die Kreuzestat, "in this Christian love the whole intention of the law is fully realized" (188). ­ Im Schlußabschnitt (189-197 "Conclusions") werden einige der eingangs aufgeworfenen Fragen aufgegriffen und beantwortet: Das paulinische Reden vom Gesetz in Gal ist nicht völlig negativ (gegen z.B. Hübner), Paulus widerspricht sich nicht (gegen Räisänen), und er hat auch das jüdische Gesetz nicht mißverstanden oder falsch dargestellt (gegen Schoeps).

In Aufnahme besonders von Sanders und Dunn versucht der Vf. das Gesetz in seiner Bedeutung für das Judentum festzuhalten und das Neue im Christusgeschehen herauszustellen. Das geht in der vorliegenden Arbeit nicht ohne Harmonisierungen ab, bei denen theologische Unschärfen zutage treten, wie bei der Frage der Geltung des Gesetzes für Christen; auch wird eine Reihe der Spitzen in der paulinischen Argumentation abgebrochen, wie bei der Auslegung von 3,10-14. Hier hätte die Lektüre von O. Hofius’ Paulusstudien die Wahrnehmung schärfen können. Insgesamt ist es freilich erstaunlich, welche geringe Rolle die mühselige und ermüdende Diskursanalyse für den zweiten Hauptteil spielt. Wäre es nicht sinnvoller gewesen, sie für die zentralen Texte jeweils bei deren Auslegung vorzunehmen?

Die Studie stellt einen ernstzunehmenden Diskussionsbeitrag zur Auslegung von Gal und überhaupt der paulinischen Schriften dar. Sie ist mit großem theologischen Ernst geschrieben, man spürt das Ringen des Vf.s mit Text und Thema und mag ihm nur nicht darin folgen, daß alles sich so schön fügt.