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Ausgabe:

März/1996

Spalte:

267–270

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Häfner, Gerd

Titel/Untertitel:

Der verheißene Vorläufer. Redaktionskritische Untersuchung zur Darstellung Johannes des Täufers im Matthäus-Evangelium.

Verlag:

Stuttgart: Kath. Bibelwerk 1994. XIII, 443 S. gr.8o = Stuttgarter Biblische Beiträge, 27. Kart. DM 49.­. ISBN 3-460-00271-9.

Rezensent:

Michael Tilly

Ziel der im WS 92/93 von der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg als Dissertation angenommenen und für den Druck überarbeiteten, von L. Oberlinner betreuten Untersuchung ist die Klärung der Bedeutung Johannes’ des Täufers auf der Ebene der Redaktion des ersten Evangelisten. Welche theologischen Motive stehen hinter seinem Täuferbild? Läßt sich hier ein zentraler Gedanke erkennen? In Abschnitt A.1. (4-34) der Arbeit untersucht H. die redaktionelle Gestaltung von Mt 3,1-6 und gelangt zu dem Ergebnis, die Intention des Mt bei der Einführung der Täuferfigur bestünde "vor allem in deren Annäherung an Jesus" (11), wobei er allerdings auch einen "gegenläufigen Akzent" (12) konzediert, der seinen Ausdruck u.a. in der Ablehnung der sündenvergebenden Funktion der Johannestaufe (Mt 3,6; vgl. Mk 1,4) finde. Bereits hier weist er auf zwei wesentliche Besonderheiten des Mt hin: die "Konsequenz, mit der er Johannes als Vorläufer und Wegbereiter Jesu" zeichne (21), und das besondere Interesse des Evangelisten an "der Kategorie des Elija redivivus" (ebd.). Im Rahmen eines Exkurses (23-31) argumentiert H. gegen die Forschungsmeinung, der "härene Mantel" des J. sei als Prophetentracht zu verstehen (Stählin, Böcher, Tilly), indem er betont, daß bei den hierfür gemeinhin herangezogenen Belegen "keinerlei terminologische Einheitlichkeit erkennbar" sei (25) und zudem "die fraglichen Aussagen nur sehr spärlich... und innerlich auch nicht miteinander verbunden" seien (ebd.). Vielmehr soll J. hierdurch (und auch durch seine Nahrung) als Wüstenbewohner erwiesen werden, um "noch einmal nachdrücklich zu veranschaulichen" (33), daß er die "Stimme eines Rufers in der Wüste" war. Anzufragen wäre hier allerdings, ob die Rezeptionsgeschichte dieser Belege in der antiken jüdischen Literatur (vgl. insb. ParJer; MartJes; VitPr) nicht auf eine zunehmende Stereotypisierung der Vorstellung von der Tracht eines (in der Wüste auftretenden) wahren Propheten hinweist.

Charakteristisch für Mt 3,1-6 sei die "Parallelisierung des Johannes mit Jesus unter ’christologischem Vorbehalt’" (33). Dieselbe Tendenz bestimme die "Darstellung der Wortverkündigung des Täufers" (84) in Mt 3,7-12, (Abschnitt A.2., 34-85), was seinen Ausdruck in der "auch für Jesus kennzeichnenden Opposition" (70) zu Sadduzäern und Pharisäern als "jüdischen Führungsgruppen" (54), in der Vorwegnahme der Botschaft vom (gegen Webb) zukünftigen Richter (82) und in der Ankündigung Jesu als der "zum Gericht bevollmächtigten Gestalt" (85) finde. Angleichung des J. an Jesus und Unterordnung unter ihn bestimmen als wesentliche Linien der Täuferdarstellung des ersten Evangelisten schließlich auch die redaktionell ausgestalteten Verse Mt 3,13-17 (Abschnitt A.3., 86-155). Die dikaiosyne in Mt 3,15 sei "kein ethischer Begriff" (147); Gerechtigkeit bezeichne hier (anders als im AT und der "zwischentestamentarischen Literatur" [102]) "den Heilswillen Gottes, der sich nun im Wirken Jesu und des Täufers eschatologisch durchsetzen soll" (142), wodurch letzterer "heilsgeschichtlich qualifiziert" werde (152): "Der eine muß aufgrund seiner Funktion im Heilsplan Gottes die Taufe spenden, der andere muß sie aus demselben Grund empfangen" (145). Insgesamt sei die Funktion des J. als "Vorläufer und Wegbereiter" (155) in Mt 3,1-17 redaktionell "mit einem eigenen verstärkenden Akzent versehen" (156), dessen zentrale Charakteristika die betonte Parallelisierung des Täufers und Jesu sowie die Unterordnung des ersteren seien, was in Mt 3,3 seine heilsgeschichtliche Begründung erhalte.

H. erkennt in Mt 11,2-6 (Abschnitt B.1., 159-191) als spezifische Akzente die christologisch bedingte heilsgeschichtliche Einordnung des Täufers anhand einer "Deutung der endzeitlichen Heilsereignisse in ihrer Beziehung auf das Wirken des Christus", "dessen Ausrichtung auf Wort- und Tatverkündigung Jesu und seiner Jünger" sowie der "Hervorhebung des messianischen Wortes" (190). Auch die (redaktionell stark überarbeitete [202 f.]) Antwort Jesu (Abschnitt B.2., 191-243), insbesondere aber der "Stürmerspruch" Mt 11,12 f. par., weise J. als "endzeitliche Vorläufergestalt" (207) aus. Absicht des Evangelisten sei dabei "die Identifizierung des Täufers mit dem Elija redivivus" (226). H. unterbreitet in diesem Zusammenhang einen eigenständigen und diskussionswürdigen Beitrag zur Deutung des exegetisch dunklen "Stürmerspruchs": Kontext wie Gestaltung von Mt 11,12 f. rücken nicht die basileia (231) in den Mittelpunkt der Aussage, sondern die "Erfüllungsgestalt" des Täufers (243), die ihrerseits zur Zeit der Erfüllung (239) und nicht zur Zeit von Gesetz und Propheten (237) gehöre; die biastai wären dann generell "für ihr Heil zu allem entschlossene Menschen" (242).

Wahrscheinlicher als die Interpretation des Ausdrucks als "selbststigmatisierendes Etikett" (Theißen, StTh 49 [1995]) ist dies allemal. Das Gleichnis von den spielenden Kindern und seine Deutung Mt 11,16-19 (Abschnitt B.3., 244-287) versteht H. aufgrund des Verständnisses der durch seine Bildhälfte dargestellten "gleichermaßen gegebenen Ablehnung des gegensätzlichen Verhaltens von Johannes und Jesus als Kernpunkt der Anklage gegen ’dieses Geschlecht’" (269) dahingehend, daß "der Ton bei Mt gerade nicht auf der Unterschiedlichkeit der Lebensweise von J. und Jesus liege, sondern auf der beide gleichermaßen treffenden Zurückweisung" (271). So kann H. hinsichtlich der Intention der redaktionellen Gestaltung von Mt 11,2-19 zusammenfassend feststellen, "daß die als Elija redivivus gedeutete Gestalt des Johannes zur Herausarbeitung der Bedeutsamkeit Jesu eingesetzt" sei (287).

Abschnitt C. (288-305) behandelt das Urteil des Herodes über Jesus und die Erzählung vom Tod des Täufers Mt 14,1-13. Während H. davor warnt, Mt 14,1f. "positiv für die Parallelisierung von Täufer und Jesus auszuwerten" (293), nutzt s.E. der Redaktor die Schilderung der Hinrichtung des Täufers zur Demonstration seiner Vorläuferschaft im Todesgeschick (293) und auch "zur Beschreibung der Diskrepanz zwischen Führerschaft und Volk in der Stellung zu Johannes" (305).

Die Frage nach der Wiederkunft Elijas als des Vorläufers Mt 17,10-13 (Abschnitt D., 306-320) thematisiere "die Vorläuferschaft des Elija vor dem Messias Jesus" (311) im Sinne des generellen "christologischen Verweischarakters der Elija-Kategorie" bei Mt (313). Sie stelle so verstanden einen "weiteren Beleg für die Parallelisierung von Johannes und Jesus" (320) dar: "Das Auftreten des Elija ist heilsgeschichtlich unumgänglich für das Erscheinen des Messias" (319).

Spätestens an dieser Stelle ist deutlich geworden, daß H. die Identifizierung des Täufers mit dem Elias redivivus neben seiner Rolle als untergeordneten Vorläufers des Messias als wesentlichen Bestandteil der Verfasserabsicht des ersten Evangelisten versteht. Die Verknüpfung beider Motive provoziert die Frage nach der traditionsgeschichtlichen Herleitung der letzteren Vorstellung. H. untermauert seine Antwort mit einer ausführlichen Untersuchung der Tradition vom Elias redivivus im Alten Testament (Abschnitt E.1., 321-327), im außerbiblischen jüdischen Schrifttum (E.2., 327-343), worunter er sowohl die "Pseudepigraphen", als auch die Texte vom Toten Meer und die rabbinische Literatur subsumiert, und in frühchristlichen Schriften (E.3., 343-382), was neben der Weissagung von den beiden Zeugen (Offb 11,3-14) Belege aus der altkirchlichen Literatur und den Evangelien (Mk 6,14-16; 9,11-13; Jo 1,21) einschließt. Hierbei stellt H. zunächst fest, daß ein messianisches Verständnis des endzeitlichen Propheten Elija im Alten Testament nicht belegt sei (326). H. weist nach, daß sich in äth Hen, IV Esr und AssMos eine Weiterentwicklung der eschatologischen Elijaerwartung nicht feststellen lasse und daß in Qumran die Vorstellung von Elija als dem Vorläufer des Messias nicht zu belegen sei, da sie "im Denken der dortigen Gemeinschaft... überhaupt keine Rolle gespielt" habe (335 f.). In der rabbinischen Literatur sei der Elias redivivus eine "äußerst blasse Figur ohne besonderes Profil" (338).

Zu Offb 11 bemerkt H., daß die beiden hier begegnenden endzeitlichen Propheten zwar wohl als Elija und Mose gezeichnet wären (356), jedoch spätestens im 3. Jh. eine in der frühchristlichen Literatur breit bezeugte Überlieferung nachweisbar sei, die die beiden Zeugen als Elija und Henoch identifiziere. Hieraus ergibt sich das Problem, ob von Offb unabhängige Traditionen als deren Grundlage erhoben werden können. H. stellt die Frage nach Funktion und Alter einer solchen jüdischen Elija-Henoch-Tradition, verläßt jedoch in seiner Antwort den sicheren Grund der verifizier- und datierbaren Aussagen in den Quellen nicht, wenn er nach gründlicher Untersuchung zu dem Schluß gelangt, daß zwar in verschiedenen Argumentationszusammenhängen jüdische Elija-Henoch-Tradition verifiziert werden könne, deren Alter und genauer Inhalt aber unbestimmt bleiben müßten und deren Existenz zur Zeit des Mt (oder gar ihr vorchristlicher Ursprung) letztlich nicht nachzuweisen seien.

Die Untersuchung der neutestamentlichen Stellen ergibt das gleiche Bild: Entweder sei jüdische Überlieferung, in der Elija als Vorläufer des Messias begegnet, nicht aus dem Text selbst ersichtlich (Mk 9,11-13), oder aber dieser zeige gravierende Differenzen zu der später belegten Elija-Henoch-Tradition (Mk 6,14-16). Ob hinter Jo 1,21 ein (vom vierten Evangelisten abgelehntes) Verständnis der Rolle des Täufers als Vorläufer des Messias steckt, verneint H. unter dem Hinweis auf die intendierte Ablehnung der Interpretation Elijas (bzw. des Täufers) "als selbständiger Heilsgestalt" (380). H. gelangt zu dem Ergebnis, "daß die Vorstellung von Elija als dem Vorläufer des Messias auf die urchristliche Tradition zurückgehe und dem ersten Evangelisten also allein auf diesem Weg zukam" (385).

Das Gleichnis von den beiden Söhnen (Mt 21,28-32) schließlich (Abschnitt F., 386-400) stehe ebenfalls im Zeichen der Absicht des Redaktors, dem Täufer, hier im Rahmen der heilsgeschichtlichen Thematik, den Platz vor Jesu Wirken zuzuweisen; deutlich zeige sich "die Christologie als Mitte der mt Täuferdarstellung" (399).

Der Ertrag der Untersuchung (Abschnitt G, 401-411) besteht im Aufweis zweier Leitlinien der Zeichnung des Täufers bei Mt. Zum einen akzentuiere der Redaktor (unbeschadet der Unterordnung des ersteren) die "Angleichung des Johannes an Jesus" (401), zum anderen betone er eine "deutliche Identifizierung des Johannes mit dem Elija redivivus" (404). Grundlage beider theologischen Motive sei die "Erfüllungschristologie" des Mt (405), die das redaktionelle Konzept der heilsgeschichtlichen Einordnung des Täufers bedinge: "Der Messias kann kommen, da Elija schon dagewesen ist" (411).

H. referiert in seiner klar strukturierten und konsequent durchgeführten Arbeit ausführlich die verschiedenen Interpretationsvorschläge in der gegenwärtigen Forschung, prüft sie abwägend hinsichtlich ihrer Tragfähigkeit und entwickelt auf dieser Grundlage eine eigenständige plausible Lösung. Zahlreiche zutreffende Einzelbeobachtungen tragen zum durchweg positiven Gesamtbild der Untersuchung bei. Die Analyse der synoptischen Überlieferung ist außerordentlich detailliert und philologisch exakt. Gründlich arbeitet H. die Bedeutung und den spezifischen Gebrauch zentraler Begriffe bei Mt heraus. Die dabei vorausgesetzte Annahme einer textidentischen Q-Vorlage beider Evangelisten (vgl. A.2.2. u.ö.) ist m.E. allerdings ein ebenso problematisches Unternehmen wie die Rekonstruktion ihres "ursprünglichen Wortlauts" (193, 247, 387)

In Abschnitt A.2. wäre eine sprachliche und sachliche Differenzierung zwischen "Gericht", "Strafandrohung" und "Bestrafung" angezeigt. Bei der Betrachtung der Nachgeschichte von Mal 3,23 f. ist H. der Doppelfehler unterlaufen, mit einem (niemals existierenden!) "alexandrinischen Kanon" zu argumentieren, und diesem noch den (sicher palästinischen) Sir einzuverleiben (322). Die herangezogene rabbinische Literatur beschränkt sich auf die bei Bill. IV, 764-798 getroffene Auswahl. H.s Ergebnisse könnten sich durchaus ändern, würde man dazu etwa j Schek 47c, 58-75 oder auch die Darstellung von Ez 37,1-14 in der Synagoge von Dura-Europos heranziehen. Einige weitere Monita betreffen Äußerlichkeiten: An manchen Stellen, an denen der Leser die Angabe von Quellenschriften erwartet, wird er mit summarischen Verweisen auf Sekundärliteratur bedient (76, 103, 120, 132, 227 u.ö.) Daß stilistische Brüche allein ein Indiz dafür sind, daß der Autor nicht selbst gestaltet, sondern eine Quelle überarbeitet hat (387f., vgl. 291), ist ein schwaches Argument, denn H. hat auch dort selbst formuliert, wo er schreibt, daß eine Notiz "keinen Sinn mehr mache" (8) oder Mt "auf etwas abhebe" (229).

H.s wesentliches Verdienst besteht darin, die konsequent durchgeführten theologischen Leitgedanken des Redaktors Mt quellenkritisch erarbeitet und schlüssig dargelegt zu haben. Offen bleiben die von ihm nicht gestellten Fragen nach dem Ertrag für die Rekonstruktion der Persönlichkeit und Geschichte Johannes’ des Täufers und seiner Wertung und Bedeutung bei den Adressaten des ersten Evangelisten.