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Ausgabe:

Oktober/2012

Spalte:

1144–1145

Kategorie:

Kongress- und Tagungsberichte

Titel/Untertitel:

»Das verdrängte Erbe der Bekennenden Kirche«
(Dietrich-Bonhoeffer-Verein)

Rezensent:

Daniel Baldig


Die diesjährige Frühjahrstagung des Dietrich-Bonhoeffer-Vereins war in vielerlei Hinsicht eine Veranstaltung großen Ausmaßes. Re­kordverdächtige etwa 100 Teilnehmende folgten (zusammen mit der Martin-Niemöller-Stiftung und der Stiftung Adam von Trott, Imshausen) der Einladung in das Tagungshaus am Fuße der Wartburg.
In der Tagungsankündigung war als Arbeitsziel benannt worden, das – vielfach preisgegebene – Erbe der Bekennenden Kirche vergegenwärtigen und vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Situation des krisengeschüttelten Kapitalismus fruchtbar machen zu wollen. Um Unterstützung für gegenwärtige Herausforderungen auf Grundlage des historischen Rückgriffs zu er­-möglichen, wurden zunächst geschichtliche Betrachtungen notwendig, welche exemplarisch an Persönlichkeiten der Zeit aufgeschlüsselt werden mussten. Anschließend waren Übertragungen des Er­bes in den Rahmen gegenwärtiger Herausforderungen erforderlich, um über die mehr als sechs Jahrzehnte währende zeitliche Kluft tatsächlich eine Brücke schlagen zu können.
Zuallererst forderte die Fragestellung heraus, was – unter historischen wie theologischen Gesichtspunkten – unter der Bekennenden Kirche konkret zu verstehen sei. Immerhin musste hierzu eine Klärung erfolgen, sollten deren Erbe sowie dessen absichtlichen oder schleichende Verdrängungen für gegenwärtige Dis­kussionen fruchtbar gemacht werden.
Die Referate hierzu machten deutlich, innerhalb des deutschen Protestantismus sei zu Beginn des 20. Jh.s mehrheitlich eine nationalkonservative politische Haltung vertreten gewesen. Insofern hätten die emotional aufgeladenen Kampfbegriffe der NS-Diktatur (Volk, Blut, Vaterland) innerhalb der evangelischen Kirche und insbesondere bei deren Eliten Anziehungskräfte vorgefunden. Öffentlicher protestantischer Widerstand (bspw. die Barmer Theologische Erklärung, Mai 1934) habe sich auf den bruderrätlichen Teil der Bekennenden Kirche beschränkt, von Seiten der kirchlichen Leitungsebene sei gegenüber dem NS-Regimes größtenteils die Strategie der »Bewahrung durch Anpassung« betrieben worden. Vor diesem Hintergrund sei auch nach 1945 durch die protestantische Elite restaurative Erhaltung angestrebt gewesen.
Im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der Rolle der evangelischen Kirche während der NS-Diktatur habe es intensive Bestrebungen dahingehend gegeben, das Gesamtbild einer »Kirche im Kampf/Kirche im Widerstand« zu zeichnen. Der Einsatz der Bekennenden Kirche sei mithin auf einen allein nach innen gerichteten kirchlichen Konflikt reduziert worden, der Kirchenkampf-Begriff habe dadurch eine verengte Umdeutung erfahren.
Exemplarisch an Heinz Brunotte (1896–1984) und Martin Nie­-möller (1892–1984) als Persönlichkeiten der angepassten Protestanten (Brunotte) wie der Bekennenden Kirche (Niemöller) wurde aufgezeigt, wie in der Zeit des NS-Regimes sukzessive Annäherung an die politische Macht einerseits und widerständige Haltung an­dererseits Konkretion erfahren haben. Darüber hinaus wurde deutlich, dieses jeweilige Erbe habe auch nach 1945 ganz unterschied­liches innerkirchliches und gesellschaftspolitisches Eintreten ausgebildet.
Das Arbeitsziel der Tagung – das verdrängte der Erbe der Bekennenden Kirche für derzeitige Diskussionen fruchtbar zu machen – aufnehmend, wurden als dringliche gegenwärtige Herausforderungen die zunehmende Ökonomisierung aller Lebensbereiche des Menschen sowie die ausgeprägte Kontinuität gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ins Zentrum gerückt. Im Zusammenhang mit dem krisengeschüttelten Kapitalismus wurde problematisiert, die Veröffentlichungen der EKD aus den vergangenen Jahren hätten überwiegend kritiklos auf die Ökonomisierung der Gesellschaft reagiert. Den Mechanismen privater Profitmaximierung seien nicht die biblischen Verpflichtungen zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit entgegengestellt worden.
Hinsichtlich des Umgangs mit menschenfeindlichen Haltungen insbesondere gegenüber Fremden und sozial Schwachen wurde den Großkirchen enormes Potential zugesprochen, speziell im glaubwürdigen Verweis auf die Unantastbarkeit der Menschenwürde eine Vorreiterrolle bei der Überwindung dieser Tendenzen zu übernehmen.
Die Tagung hat gezeigt: Ein bzw. das Erbe der Bekennenden Kirche lässt sich nur unzureichend für gegenwärtige Diskussionen fruchtbar machen. Dies ist zum einen darin begründet, dass die aktuellen Herausforderungen für Kirche und Gesellschaft in er­heblich veränderten Dimensionen bestehen; die Bekennende Kirche hatte zeitgeschichtlich deutlich andere Rahmenbedingungen, die ökologische Perspektive sowie die Schwierigkeiten der Globalisierung bspw. konnte sie – naturgemäß – nicht im Blick haben. Zum anderen lässt sich vor dem Hintergrund divergierender Strömungen sowie verschiedentlich beteiligter Persönlichkeiten nicht überdauernd das eine klare Bild der Bekennenden Kirche nachzeichnen.
Immerhin aber lässt sich das Grundprinzip dieser Gruppe nutzbar machen: öffentliche Widerständigkeit, wo dem Evangelium Hohn gesprochen wird, oder anders: wo die in Gottes Menschenfreundlichkeit gegründete Würde des Menschen verletzt wird oder droht, verletzt zu werden. Dieses Eintreten für die Leidenden benötigt Konkretion im Prozess hin zu Frieden, Gerechtigkeit und Be­wahrung der Schöpfung.
Der Dietrich-Bonhoeffer-Verein wird weiterhin an dieser Konkretion mitarbeiten; Informationen hierzu sowie zur kommenden Herbsttagung 2012 finden sich unter www.dietrich-bonhoeffer-verein.de.