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Ausgabe:

März/1996

Spalte:

266 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Diefenbach, Manfred

Titel/Untertitel:

Die Komposition des Lukasevangeliums unter Berücksichtigung antiker Rhetorikelemente.

Verlag:

Frankfurt/M.: Knecht 1993. IX, 253 S. 8o = Frankfurter theologische Studien, 43. Kart. DM 68,­. ISBN 3-7820-0667-4.

Rezensent:

Gottfried Nebe

Dieses Buch ist die Arbeit von D., die im Sommersemester 1992 an der Theologischen Fakultät Luzern als Dissertation angenommen worden ist (Betreuung durch Prof. Dr. W. Kirchschläger; Zweitgutachter Prof. Dr. L. Mödl). Für die Drucklegung hat D. den Text und einige Übersichten ein wenig überarbeitet und die Literaturliste gekürzt (IX). Das Lk soll im Hinblick auf die Verwendung von Elementen der antiken Rhetorik analysiert werden, "um vor diesem Hintergrund die Kompositionsprinzipien zu erheben und somit einen Zugang zur Gesamtkomposition des Lk zu erschließen", d.h. zu einer dreiteiligen Komposition des Lk (9). Dabei erhält die Dispositionslehre der antiken Rhetorik ein besonderes Gewicht (6), und zwar in der Zuspitzung auf die sog. "kompositorischen Figuren" und hier ganz besonders auf die Wiederholung mit Anapher und Epipher, Mimesisstil der LXX u.ä. (vgl. zu den besonders be-achteten Figuren; 31.32 f. 158 ff. 186 ff.). Das wird zugleich in den größeren Zusammenhang der Kommunikationstheorie eingeordnet (9.11 ff.). Die historisch-kritische Exegese mit ihren klassischen Methoden(schritten) wird von D. vorausgesetzt und angewendet. Dabei geht D. von der traditionellen sog. Zwei-Quellentheorie aus. Er bringt aber angesichts mancher Probleme in diesem Zusammenhang zugleich die schon ältere "Ur-Markus"-Theorie und die in den letzten Jahren von A. Fuchs u.a. propagierte sog. Deuteromarkus-Theorie erwägend ins Spiel (87 f.). Die Apg wird bewußt zurückgestellt, da die Apg für D. so etwas wie ein "deuterolukanisches Werk" ist (8 Anm. 53). Darüberhinaus werden auch neuere Ansätze und Methoden der Exegese berücksichtigt, so Linguistik und Texttheorie, die soziokulturelle Fragestellung und Methodik, die Sensibilität für männer- und frauenspezifische Probleme.

Die Darstellung des Buches beginnt nach Inhaltsverzeichnis und Vorwort mit einer Einleitung (1-10), die auf 0.1 Forschungssituation, 0.2 Zielsetzung, 0.3 Methodologische Vorüberlegungen eingeht. 0.3 schließt mit einer Vorstellung des Aufbaus der anschließenden Untersuchungen. Diese gliedern sich in 3 Hauptteile: 1. Der Verfasser Lukas ­ ein Kenner der antiken Rhetorik (11-45), 2. Die Darstellung der Kompositionstechnik des Lukasevangeliums anhand rhetorischer Elemente (47-160), 3. Der lukanische Textaufbau und seine Aussageabsichten (161-183), 4. Endergebnis faßt schließlich zusammen (185-192). Dabei ist der Vf. (einfach Lukas genannt) für D. in einem städtischen Milieu zu Hause gewesen (vielleicht in Antiochia aufgewachsen). Ob er ein Juden- oder Heidenchrist gewesen ist, muß offen bleiben (37). Das Lk "scheint für eine Gemeinde in irgendeiner hellenistischen Stadt... geschrieben worden zu sein, die in einem Spannungsfeld zwischen Synoge und griechischer Kultur stehen mußte" (37 f.).

Ad 1: In Überblicksform werden Sprache und Sprechvorgang, Genese der antiken Rhetorik, antiker Rhetorikunterricht, Inhalt der Rhetoriklehre, Beziehung der "Lukaserörterung" zur antiken Rhetorik und der lk Prolog (Lk 1,1-4) betrachtet. Im Umfeld des Lukas kam der Rhetorik(lehre) in der Ausbildung, beim Reden und Schreiben ein großes Gewicht zu; auch Lukas ist in den Genuß der antiken Rhetorikausbildung gekommen (24.27). ­ Ad. 2; Die These von der dreiteiligen Komposition des Lk wird im Durchgang (kursorisch) an Textaufbau und Inhalt aufgearbeitet. Diese Dreiteilung ist: 2.1 Präludium (Lk 1,5-3,20), 2.2 Das öffentliche Wirken Jesu inner- und außerhalb Palästinas und Jerusalems (Lk 3,21-19,48), 2.3 Die letzten Tage Jesu in Jerusalem (Lk 20,1-24,53). Die Unterabschnitte dazu werden jeweils in 3 Schritten betrachtet (49): Abgrenzung ­ Komposition ­ Redaktionelle Anmerkungen. ­ Ad 3: Im Sinn einer Synthese steht zunächst 3.1 Die Konsolidierung des Urchristentums nach außen ­ die Abgrenzung des Urchristentums vom Römischen Imperium und vom "exklusiven Judentum" (vgl. W. Stegemann). Lukas versucht, "mittels seiner ’Erörterung’ den Stadtgemeindemitgliedern im Urchristentum gezielt eine alternative (theokratische) Gesellschaft gegenüber dem Römischen Imperium aufzuweisen" (162). Die Spannungen zwischen dem Judentum und dem Urchristentum sind christologisch begründet. Gleichwohl verbinden Jerusalem und der Tempel (als Ziel- und Endpunkt des Lebenswerkes bzw. -laufes Jesu Christi, 166 ff.). Es folgt 3.2 Die Konsolidierung des Urchristentums nach innen ­ die Alternative für die antike Stadtbevölkerung durch die Integration in Jesus Christus, und zwar mit 3.2.1 Die Integration von Priviligierten und Unterpriviligierten, 3.2.2 Die Integration von Frauen und Männern, 3.2.3 Das Urchristentum als Alternative für eine(n) Bewohner(in) einer antiken Polis. Schließlich faßt 3.3 in Zuspitzung auf das lk Konzept von einer Wir-Ekklesia (als Integrationsmodell zu verstehen, 172) zusammen. ­ Ad 4: In Ausrichtung auf die stilistisch-formalen und theologisch-ekklesiologischen Aspekte wird das Endergebnis zusammengefaßt.

Abkürzungsverzeichnis (193), Literaturverzeichnis (194-229), Stellenregister (231-242), Namenregister (243-247), Sachregister (248-253) erleichtern das Lesen und das Arbeiten mit diesem Buch. Ein eigenes Register für griech. und hebr. Vokabeln fehlt.

Diese Untersuchung von D. ist gut lesbar. Sie ist im methodischen Umgang mit den Texten (Quellen) und in der Verarbeitung der Sekundärliteratur solide gearbeitet. Gleichwohl gilt, daß sie das im Rahmen einer "Reduktion", einer ganz beschränkten Fragestellung ist, daß sie so ihre Grenzen besitzt. Deshalb muß am Thema weitergearbeitet werden. Dazu seien jetzt noch einige Hinweise und Anregungen zum kritischen Überdenken, zur Weiterarbeit und Vertiefung gebracht:

1. Zum Rhetorischen: Wenn D. sich in der besagten Weise auf die Dispositionslehre der Rhetorik beschränkt, muß das sich ergebende Bild sehr formal(istisch) bleiben (mehr als bei Dispositionselementen wie exordium, narratio usw. in der neueren Paulusforschung bei H. D. Betz u.a.). Zudem fragt sich der Leser, ob sich nicht unter rhetorischem Gesichtspunkt viel fruchtbarer die Reden, die Wortüberlieferungen im Lk und natürlich dann auch in der Apg anbieten. Außerdem sollte das Verhältnis zwischen "rhetorischen" und "literarischen" Charakteristika oder Figuren genauer geklärt werden. ­ 2. Zur Abfassungssituation: Ob die Apg ein "deuterolukanisches Werk" ist, das bleibt doch sehr die Frage. Ist das Lk (bzw. das lk Doppelwerk) wirklich für eine konkrete (Stadt-)Gemeinde geschrieben? Sollte vielleicht nicht doch eher erst einmal bei einer bestimmten Leserschicht in der röm. Mittelmeerwelt anzusetzen sein, und zwar im Sinn des zeitgenössischen Literaturbetriebs? Immerhin sieht D. die Gattung des Lk (wie auch schon andere Exegeten) auf dem Hintergrund der Philosophenviten hellenistischer Autoren oder Prophetenviten hellenistisch-jüdischer Verfasser und ganz besonders der Kaiserviten (vgl. 40.153 f.). ­ 3. Zu Aufriß und Gliederung: Der Versuch der Dreigliederung nach dem Proömium ist bemerkenswert. Freilich kann man das Lk auch nach anderen Prinzipien gliedern. Schließlich sollte auch hier der Zusammenhang von Lk und Apg als lk Doppelwerk nicht außer acht gelassen werden. So stoßen wir zwischen beiden Schriften auf Verzahnungen, die den literarischen Zusammenhang schon für die Abfassung des Lk erforderlich machen (vgl. z.B. Lk 8,10 und Apg 28,25 ff. im Verhältnis zu Mk 4,12). ­ 4. Zum Inhaltlich-Theologischen: Hier beobachtet der theologisch interessierte Leser Defizite. So spielt etwa die Christologie im Lk für D. passim eine wichtige Rolle. Gleichwohl bleibt die Darstellung bei solchen Fragen vordergründig und undifferenziert (trotz Rückgriffs z.B. auf U. Busse, wo sogar für den Aufbau des Lk und die Christologie schon Genaueres und Differenzierteres gefunden worden ist). Ähnliches gilt für die Geschichte und Eschatologie.