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Ausgabe:

Oktober/2012

Spalte:

1141–1144

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Zeilinger, Thomas

Titel/Untertitel:

netz.macht.kirche. Möglichkeiten institutioneller Kommunikation des Glaubens im Internet.

Verlag:

Erlangen: Christliche Publizistik Verlag 2011. 371 S. m. Abb. 18,5 x 12,0 cm = Studien zur Christlichen Publizistik, 20. Kart. EUR 25,00. ISBN 978-3-933992-21-5.

Rezensent:

Anna-Katharina Lienau

Die von Thomas Zeilinger verfasste Studie ist eine im Jahr 2010 von der Theologischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Uni­ver­sität Erlangen-Nürnberg an­genom­mene Habilitation. Als Grundlage für seine Erörterung des Spannungsfeldes zwischen medialer Revolution und institutioneller Kommunikation dienen Z. seine Erträge aus der teilnehmenden Beobachtung der Jahre 2002 bis 2005, die er durch die medienwissenschaftliche Begleitung des 2001 von der Evangelisch-Luthe­rischen Kirche in Bayern initiierten Projektes »Vernetzte Kirche« an der Ludwig-Maximilian-Uni­versität München gewinnen konnte.
Z.s zentrale Fragestellung zielt auf die Ergründung der Bedingungen, Möglichkeiten und Aufgaben kirchlicher Kommunikation im Internet (16). Die Frage, was das »Netz mit der Kirche macht« bzw. was die »Kirche mit dem Netz macht«, mündet in die bereits im Titel angedeutete abschließende Zusammenfassung unter den Aspekten »Macht«, »Kirche« und »Netz« (321–347), von der her die Studie zu lesen ist.
In einer ausführlichen Einleitung erörtert Z. den Gegenstand und die Methode seiner Arbeit. Sein Ziel ist eine multiperspektivische phänomenologische Analyse der im Titel benannten Gegenstände »Macht«, »Kirche« und »Netz«, wobei er sich bewusst ist, die »praktisch-theologische Relevanz der medialen Veränderungen [nicht] hinreichend erfassen« zu können, und zugleich beansprucht, sich in die »fortdauernde Exploration der mannigfachen Kontexte des Themas ›Kirche und Internet‹ einzumischen« (24). Methodisch stützt er sich auf die empirischen Arbeitsweisen der teilnehmenden Beobachtung und der durch Geertz näher spezifizierten dichten Beschreibung, die ihm, ebenso wie die gleichermaßen herangezogene von Glaser und Strauss entwickelte grounded theory, helfen, seine aktive Teilnahme am zuvor genannten Projekt zu strukturieren und zu analysieren. Dabei weist er deutlich auf die ambivalente gegenseitige Beeinflussung hin, die durch seine aktive (beobachtende) Teilnahme hervorgerufen wurde, und be­zeichnet seine Ergebnisse insgesamt als »zirkulär auf weitere Bewährung angelegte Hypothesen« (33). Nach einer ausführlichen Be­schreibung von Ziel, Gegenstand und zeitlichem Rahmen des Projektes beginnt seine Analyse in drei jeweils gleich umfangreichen Schritten.
Im 1. Teil »Die wechselseitigen Bedingungen von ›Medium‹ und ›Institution‹ für die institutionelle Kommunikation im Netz« (43–102) beschreibt Z. seinem Ansatz dem Titel entsprechend multiperspektivisch. Ausgehend von statistischem Material zur Internetnutzung und Hinweisen auf netztypische soziologische Tendenzen (Individualisierung, Anonymisierung, Globalisierung, Be­schleunigung und Flüchtigkeit, 46–64) wendet er sich der Wirkung des Internets auf organisatorische Kontexte zu (64–68) und reichert diese mit Beispielen aus dem Projekt »Vernetzte Kirche« an (69–74). Die anschließenden Ausführungen zur medialen Dynamik (74–85), der Notwendigkeit, diese mehrdimensional zu verstehen (85–89), und die Hinweise auf die Wahrnehmung und Wirkung von Me­dien als Mächten (89–93) ergänzen seine Erläuterungen zur Wechselwirkung von Internet und Organisation (Kirche). Der erste Teil schließt mit der Formulierung von Herausforderungen an die In­stitution Kirche, die aus den Wechselwirkungen zwischen Kirche und Internet erwachsen (93–102). Z. betont dabei ein notwendiges gegenseitiges Infragestellen von Medium und Institution Kirche auf verschiedenen Ebenen: Funktionswandel der Medien, Glaub würdigkeit der kirchlichen Kommunikation nach innen und außen, möglicher Kontrollverlust der Institution Kirche und basisdemokratische Gemeinschaftsformen, Pluralität religiöser Kommunikation, Zurückdrängung körperlich-leiblicher Erfahrungen und Beschleunigung.
Im 2. Teil fragt Z. zunächst nach den Möglichkeiten kirchlicher Kommunikation des Glaubens im Netz, wobei er am Beispiel »Vernetzte Kirche« bereits existierende und gegebenenfalls auszuweitende Angebote der Kirche erörtert. Zunächst unterzieht er hierfür die institutionelle Kommunikation der Kirche auf der Grundlage von Strauss, Luhmann und Habermas einer gründlichen informationstechnischen, systemtheoretischen und handlungstheore­tischen Analyse und weist das Projekt »Vernetzte Kirche« als ein Technik-, ein Organisationsentwicklungs- und ein Kirchenentwicklungsprojekt aus, das polykontextural betrachtet werden muss (106–139). Im nachfolgenden zweiten Unterkapitel wendet er sich der Frage der inhaltlichen Kommunikation des Evangeliums im Netz zu und diskutiert deren qualitative Verbesserung durch die Nutzung des Internets im Projekt »Vernetzte Kirche«. Dabei weist er konsequent und in ausführlichen theoretischen und interdisziplinär angelegten Exkursen auf die bereits existierenden, teilweise sehr unterschiedlichen Angebote und deren Chancen und Gefahren im Horizont der Begriffe Medium, Institution und Kommunikation hin (141–182). Bevor im vierten Unterkapitel eine Bündelung der gewonnenen Einsichten gegeben wird, die Z. als einen Beitrag des Netzes zum Kirche-Sein versteht, entwickelt er im dritten Unterkapitel Elemente einer kommunikativen und medienbewussten Kirchentheorie mit einem Rückbezug auf das Verständnis von Kirche als communio bzw. koinonia (182–201).
Abschließend weist er auf die besondere Bildungsaufgabe der Institution Kirche auch in Bezug auf das Internet hin und leitet damit zum 3. Teil über, in dem er den kirchlichen Beitrag zur ethischen Bildung im Netz erörtert. Hier geht er der Frage nach, »welchen Beitrag Kirche zu einem komplexen, kompetenten und mündigen Umgang mit den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien des Internet leisten kann bzw. leisten soll« (217). Hierfür stellt er zunächst die offiziellen evangelischen und katholischen sowie die unversitär bzw. in der Praxis entwickelten ethischen Handlungsempfehlungen vor, die die Ambivalenz des Mediums Internet mit seinen Chancen und Risiken in unterschiedlicher Weise darstellen (217–256), und formuliert vor diesem Hintergrund eigene Forderungen. So empfiehlt Z. eine positive Informationsethik (256.267), die sich nicht abstrakt normativ, sondern konkret und exemplarisch präsentiert: inhaltlich orientiert an der Gottebenbildlichkeit bzw. Menschenwürde, formal orientiert an einer solidarischen Nutzung des Internet und nicht zu­letzt an einer individuellen Verantwortung und Kompetenz der Nutzer des Internet als mündige Menschen (267–280). Im letzten Unterkapitel widmet sich Z. abschließend der Frage, wozu es für einen ethischen Bildungsbegriff des Netzes die Kirche als Institution bedürfe (280). Antworten sucht er in Beispielen des Projekts »Vernetzte Kirche«, die seiner Meinung nach die konkreten Möglichkeiten der Kirche in ethischer Hinsicht verdeutlichen (299) und in fünf »Überlegungen« münden (301–310): Kirche sollte den christlichen »Realitätssinn« auch im Internet im Auge behalten, mediale Kompetenzen fördern, Beteiligungs- und Zugangsgerechtigkeit unter regionalen wie globalen Aspekten berücksichtigen, durch den kirchlichen Perspektivwechsel einen diskursiven Beitrag leis­ten und die auf institutioneller Ebene geübte Dimension der As­-kese durch Abstandswahrung und Entschleunigung (offline-Kommunikation) als eigenen Beitrag zur Ethik des Internet be­trachten. Z. beschließt den 3. Teil seiner Arbeit mit der Präsen­tation von vier leitenden Annahmen für die Wahrnehmung des kirchlichen Bildungsauftrages im Internet (310–319).
In seinem Schlussplädoyer (347–352) tritt er für eine »das Netz er­kundende Kirche« ein. Er fordert die Kirche zu einer nüchternen und kompetenten Nutzung des Internet auf, um den eigenen Auftrag angemessen darzustellen. Hierfür sei es erforderlich, dass Kirche ihrem Bildungsauftrag, auch in Bezug auf die Herausbildung me­dialer Kompetenz als sozialer Kompetenz, nachkomme. Kirche könne als communio die beteiligungsorientierte Kommunikation zielgruppengerecht nutzen, wobei die Herausforderung darin be­stehe, die Beteiligten als Subjekte eines wechselseitigen Prozesses wahrzunehmen. Er konstatiert weiterhin ein Primat der personalen Vermittlung des Glaubens, die seiner Meinung nach einen wichtigen kontemplativen und reflexiven Gegenpol zum Internet bieten könne.
Die Studie stellt eine umfassende und gründliche Analyse des Gegenstandes dar und bietet für das Themenfeld »Kirche und Me­dien« nicht nur einen fundierten theoretischen und interdiszi­plinären Überblick, sondern auch weitreichende Ansätze für die (Weiter-)Entwicklung (neuer) Internetangebote der Kirche. Ihr sind aufmerksame Leser und eine weite Verbreitung zu wünschen.