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Ausgabe:

Oktober/2012

Spalte:

1127–1129

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Große, Christopher G.

Titel/Untertitel:

Wirtschaft in der Verantwortung. Management und Kommunikation im Spannungsfeld zwischen Ethik und Ökonomik.

Verlag:

Göttingen: Edition Ruprecht 2011. 590 S. m. Tab. 22,5 x 15,5 cm = Kontexte. Neue Beiträge zur historischen und systematischen Theologie, 42. Geb. EUR 89,00. ISBN 978-3-7675-7150-1.

Rezensent:

Stefan Grotefeld

Innerhalb der Wirtschaftsethik hat es sich eingebürgert, zwischen Makro-, Meso- und Mikroebene zu unterscheiden. Während man es auf der Makroebene mit der Gestaltung von Rahmenordnungen und auf der Mikroebene mit dem Handeln von Individuen zu tun hat, geht es auf der Mesoebene in erster Linie um Unternehmen. Die moderne Wirtschaft wird von Unternehmen geprägt und die Globalisierung hat dazu beigetragen, diesen Umstand noch zu verstärken. Während die Mesoebene deshalb seit einigen Jahren im Fokus des wirtschaftsethischen Interesses steht, hat die hierzulande von theologischer Seite betriebene Wirtschaftsethik die Unternehmensethik bis heute sträflich vernachlässigt. Deshalb ist es begrüßenswert, dass Christopher Große sich in seiner Augsburger, von Bernd Oberdorfer betreuten Dissertation mit dieser Thematik befasst hat.
Im Zentrum der Unternehmensethik steht die Frage, ob und inwieweit Unternehmen moralische Verantwortung zugeschrieben werden kann. Konnte man noch vor wenigen Jahren etwa unter Berufung auf M. Friedman und A. Rappaport die Auffassung vertreten, die soziale Verantwortung von Unternehmen und Managern erschöpfe sich darin, den Profit bzw. Shareholder Value zu steigern, kommen vor allem große Unternehmen heute nicht mehr umhin, sich zu einer weiterreichenden sozialen Verantwortung zu bekennen. Doch so verbreitet und anerkannt der Gedanke einer Corpo­rate Social Responsibility (CSR) inzwischen auch ist – die Vorstellungen darüber, wie dieses Konzept zu interpretieren ist und wofür genau Unternehmen moralisch verantwortlich sind und weshalb, gehen nach wie vor weit auseinander. So gesehen ist es bedauerlich, dass G. sich nicht oder zumindest nicht in erster Linie damit befasst, eine theologisch-ethische CSR-Konzeption zu entwickeln. Sein primäres »Anliegen« ist ein anderes: Es geht ihm, wie er in der Einleitung schreibt, darum, die »Entwicklungen nachzuzeichnen«, die dazu geführt haben, dass CSR heute als eine Aufgabe von Unternehmen betrachtet wird, »die konkrete Umsetzung im Rahmen eines unternehmerischen Prozesses darzustellen und die Wirkungen solcher Kommunikations- und Managementkonzepte auf be­stimmte un­ternehmerische Anspruchsgruppen zu untersuchen« (17). Zugleich möchte G. damit aber auch das »Bewusstsein für Verantwortlichkeit von Unternehmen« aus theologischer und ethischer Sicht »theoretisch […] unterbauen« und »stärken« (19).
Die Untersuchung umfasst sieben Kapitel von unterschiedlicher Länge und unterschiedlichem Gewicht, von denen das erste (20–175) der Reflexion des Zusammenhangs von Wirtschaft und Ethik in der Geschichte der christlichen Religion gewidmet ist – angefangen beim Alten Testament und bis hin zur Unternehmerdenkschrift der EKD aus dem Jahr 2008, wobei der Schwerpunkt auf der Darstellung der katholischen Soziallehre und der evangelischen Sozialethik des 20. Jh.s sowie der ihnen korrespondierenden kirchlichen Stellungnahmen liegt. G. beschränkt sich zumeist darauf, bestimmte Positionen und Entwicklungen darzustellen, und verzichtet auf eingehende Analysen und Interpretationen. Er will zeigen, dass es kein wirtschaftliches Handeln ohne moralische Reflexionen geben kann, nur argumentiert er nicht selbst ethisch für diese These, sondern bemüht sich, dies zu plausibilisieren, indem er darauf verweist, dass es solche Reflexionen in der Theologie- und Kirchengeschichte immer wieder gegeben hat. Menschen, die dem Unternehmen Wirtschaftsethik gegenüber skeptisch eingestellt sind, dürfte dies allerdings kaum überzeugen, denn natürlich könnte es sich bei alldem lediglich um ein hartnäckiges und von einer vormodernen Geisteshaltung be­stimmtes Missverständnis handeln. Doch auch wenn man G. in diesem Punkt zustimmt, bleibt fraglich, ob seine Behauptung, das ebenso unabhängige wie unbequeme Eintreten für schwache Stakeholder stelle ein »Alleinstellungsmerkmal der christlichen Kirchen« (175) dar, mehr ist als ein frommer Wunsch.
Das zweite Kapitel (177–268) ist dem von der deutschsprachigen Wirtschaftsethik viel diskutierten und an Spannungen reichen Verhältnis von Ethik und Ökonomik gewidmet, wobei sich G. u. a. mit den Konzeptionen K. Homanns und P. Ulrichs auseinandersetzt. Statt einem vorbehaltlosen Primat einer der beiden Disziplinen das Wort zu reden, plädiert er mit M. Honecker (und A. Rich!) für eine Vermittlung von Menschengerechtem und Sachgemäßem und für eine Wirtschafts- und Unternehmensethik, die der Globalisierung ebenso Rechnung trägt wie den veränderten Ansprüchen der Gesellschaft gegenüber Unternehmen.
Während in den ersten beiden Kapiteln von der Wirtschaftsethik im Allgemeinen die Rede ist, befasst sich das dritte Kapitel (271–350) in besonderer Weise mit der Unternehmensethik, dem eigentlichen Thema der Arbeit. G. nennt hier Gründe, die zur vermehrten Zu­schreibung von Verantwortung an Unternehmen geführt haben, und behandelt in diesem Zusammenhang auch das Problem der korporativen Verantwortung. Ohne die im Gefolge von P. French diskutierten philosophischen Fragen eingehend zu erörtern, vertritt er die Auffassung, dass nicht nur Individuen, sondern auch Unternehmen als solche Träger moralischer Verantwortung sein können. Darüber hinaus gibt G. Vorbehalte gegenüber einer Identifikation von CSR mit dem Stakeholder-Ansatz zu erkennen, was freilich damit zu­sammenhängt, dass er diesen Ansatz (hier) als einen strategischen interpretiert, was zwar möglich, aber, wie ein Blick in die Literatur zeigt, keineswegs zwingend ist. Entscheidend für G. ist schließlich, dass CSR nicht eine Sache des kurz- oder mittelfristigen Eigenin­teresses sein darf, sondern um ihrer selbst willen betrieben werden und alle drei Dimensionen von Nachhaltigkeit umfassen sollte.
Nachdem G. in einem kurzen vierten Kapitel (351–370) den bisherigen Gang seiner Untersuchung zusammengefasst hat, wendet er sich in einem fünften, praktischen und empirischen Kapitel (371–523) dem Management und der Kommunikation verantwortlichen unternehmerischen Handelns zu. Am Beispiel der Krones AG, einem deutschen Spezialanlagenbauer, untersucht er anhand leitfadengeführter Experteninterviews sowie einer quantifizierten Untersuchung unter den Mitarbeitenden, welche Auswirkungen verantwortliches und nachhaltiges Handeln eines Unternehmens auf dessen Belegschaft als einer exemplarischen Stakeholder-Gruppe hat. Das Ergebnis: Die CSR-Strategie des Unternehmens werde von den Mitarbeitenden des Unternehmens differenziert wahrgenommen, wecke bei ihnen aber auch entsprechende Erwartungen und werde als ein Erfolgsfaktor angesehen, insofern sie die Reputation des Un­ternehmens positiv beeinflusse. Dies wiederum setze, so G., freilich ein entsprechendes Kommunikationskonzept voraus. – Für den Er­folg eines CSR-Konzeptes, so daher die Konklusion (524–527), sei Kommunikation von entscheidender Bedeutung.
G. gibt einen breiten Überblick über verschiedene Aspekte theologischer Unternehmensethik, der freilich auf Kosten analytischer Schärfe geht. Wer Wirtschafts- und Unternehmensethik als normatives Geschäft versteht und eine entsprechende Konzeption aus theologischer Perspektive erwartet, dürfte enttäuscht sein. Wer dagegen an empirischen Untersuchungen über den Zusam­menhang von CSR und Kommunikation interessiert ist, vielleicht nicht.