Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Oktober/2012

Spalte:

1108–1110

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Reuter, Ingo

Titel/Untertitel:

Der christliche Glaube im Spiegel der Popkultur.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2012. 288 S. m. 34 Abb. 23,0 x 15,5 cm. Geb. EUR 38,00. ISBN 978-3-374-03017-0.

Rezensent:

Joachim Kunstmann

Ingo Reuter legt eine bemerkenswerte Studie vor, die den Stand des theologischen Denkens ebenso ernst nimmt wie das Bewusstsein der Zeitgenossen. Er entfaltet eine naheliegende und folgenreiche Idee: Grundaussagen des christlichen Glaubens werden an grundlegenden kulturellen Ausdrucksformen der Gegenwartskultur ge­spiegelt. Warum gibt es für eine derart konstruktive und plausible theologische Arbeitsweise so wenige Parallelen? Für die gängige Praxis dogmatischen Denkens stellt dieses Vorgehen eines Praktischen (und systematisch versierten) Theologen eine erhebliche Anfrage dar. Denn es löst sich von einer Glaubensreflexion, die lediglich die eigene Tradition bedenkt, ohne dabei das heutige Leben und die heutige Religiosität konstitutiv mit einzubeziehen.
R. gibt zunächst eine Einführung in religiöses und kulturelles Verstehen, die alles andere ist als ein langweiliges methodisches Vorspiel. Er nimmt seinen Ausgang von einem »theologisch konturierten Religionsbegriff«, der eingespielte Verständnisse der Religion mit einer Analyse der gelebten Religion verbindet und sie theologisch konkretisiert. Unter Bezug auf Girard und Vattimo stellt R. die christliche Religion als religions-kritische dar: Bilderverbot, prophetische Kritik, das polemische Verhalten Jesu zu den etablierten Religionsformen, schließlich Gottes Erniedrigung am Kreuz unterlaufen den Selbstbezug der religiösen Kultur ebenso wie die religiöse Projektion, haben sich gegenüber einem als Offenbarung verstandenen Glauben aber nicht durchsetzen können.
Es folgt eine knappe, aber sehr klar gehaltene kulturtheoretische Übersicht über Grundthemen und grundlegende Ausdrucks­weisen der populären Kultur, die auch den Stand der praktisch-theologischen Erforschung rekapituliert. Diese Kultur kann »als ein Brennspiegel dessen betrachtet werden, was die Menschen, wie Paul Tillich es formuliert hat, ›unbedingt angeht‹« (12). In der Tat wird hier ausgesprochen transparent, wie Menschen heute empfinden und was ihnen wirklich wichtig ist. R. zeigt ebenso, welche theologischen Konsequenzen hier zu ziehen sind. Denn die populäre Kultur macht augenfällig, dass die großen theologischen An­fragen von Bultmann und Bonhoeffer, ferner Tillichs Verweis auf die ununterschreitbare Symbolik religiöser Aussagen nicht überholt, sondern nicht wirklich aufgearbeitet sind.
Die wichtigsten religiösen Analogien der populären Kultur zeigt R. im Kapitel »Querschnitte«. Hier werden ihre »Ikonographie« (Stars als Heilige), »Hymnologie«, Rituale und typischen Erzählstrukturen, ferner ihre Körperbetonung behandelt. Durchgehend gibt es Parallelen, aber immer wieder auch gewichtige Differenzen zum christlichen Glauben.
Das apostolische Glaubensbekenntnis gibt dann den Rahmen für den Hauptteil ab. R. betreibt hier eine inhaltliche Diskussion christlicher Glaubensaussagen, deren plausible außenwirksame Kommunikation in Theologie und Kirche dringend an der Zeit ist. Das Glaubensbekenntnis biete dafür aufgrund seiner kaum einzuholenden »historischen Tiefendimension« (95) beste Chancen. R. gibt zunächst jeweils eine kritisch-nüchterne Reflexion der alten Glaubensaussagen, die in seltener Konsequenz aus einer gegenwärtigen Perspektive heraus unternommen ist. Mag man sie postmodern nennen – es ist jedenfalls durchgehend bestens nachvollziehbar, dass wir, wie R. deutlich macht, heute ohne absolute Bezugspunkte, ohne objektiv gültige Wahrheitsansprüche und ohne Mythologie denken, stattdessen mit dem Bewusstsein umfassender Relativität.
Vergleichbares lässt sich für die Darstellung der populären Kultur sagen: ein wunderbarer Überblick, der dem Leser zwischen Madonna und Avatar wichtige Produkte, Personen und Inszenierungen der kulturellen Gegenwart vor Augen führt. R. wählt seine Beispiele vor allem aus Kinofilm und Popmusik, weil hier die exis­tenziell bedeutsamen Themen ihren stärksten Resonanzraum finden. Aber auch Werbung, Tanz, Volksmusik usw. werden einbezogen. Die vielen knappen Analysen geben einen wahrhaft erhellenden Einblick in die Gegenwartskultur. So kommt R. immer wieder zu überraschenden und erheblich kritischen Einsprüchen gegen das Bekenntnis. Etwa wenn er auf das Fehlen der Botschaft Jesu verweist, vor allem der Worte zum Reich Gottes und zur Liebe. R. überspringt diese Botschaft nun gerade nicht, sondern fügt sie als Er­gänzung ein. Zu dieser Korrektur gibt ihm die populäre Kultur besten Anlass. Denn Liebe und Erfüllungssehnsucht sind zwei ihrer ganz großen Themen. Und sie zeigt darüber hinaus gewichtige »Leerstellen der christlichen Tradition« (62) überhaupt – Körperlichkeit etwa, Bewegung, Emotion; ferner eine weitgehende Verdrängung des Bösen, das in der populären Kultur vom Zombie bis zur satanischen Musik Konjunktur hat. Die Produktionen der populären Kultur sind den Aussagen des Bekenntnisses wechselseitig als kritische Spiegel gegenübergestellt. R. denkt also nicht von festen Positionen aus, sondern in Relationen: im besten Sinne postmodern. Kurze, als Perspektivierungen gedachte theologische »Bildungsaufgaben« schließen entsprechend die einzelnen Abschnitte ab.
Die populäre Kultur zeigt, was Menschen heute bewegt und wie sie denken und empfinden – etwa wenn die Vorstellung eines persönlichen und allmächtigen Gottes nur noch als Märchenfigur oder gar als Persiflage erscheint. Das christliche Bekenntnis zeigt, wo das Leben heute der Reflexion und der kritischen Korrektur bedarf – etwa, wenn die heutigen Stars Demut, Verzicht, Gehorsam einseitig durch Stärke, Schönheit und Erfolg ersetzen oder wenn das Böse immer wieder als gerechte Rache erscheint. Die christliche Tradition kommt da ebenso zu ihrem Recht wie das Leben heute.
R. macht eindringlich klar, dass christliche Aussagen, die keine Rücksicht auf das Denken und die Orientierungen der Gegenwart nehmen, ins Leere laufen und dem Christentum erheblichen Schaden zufügen. Nimmt man diese mehr als naheliegende Perspektive einmal ein, dann wird deutlich, wie wenig Plausibilität viele christliche Aussagen haben, die im Rahmen eines mythologischen Weltbildes verbleiben. Dass R. einmal die fälligen Konsequenzen aus dem Stand der theologischen Forschung zieht, das ist ebenso klärend wie erfrischend. Noch dazu, weil R. ganz unaufgeregt-nüchtern schreibt und sich jeder Polemik enthält.
In Summa: ein in seiner Klarheit ebenso wie in seinen ungewohnten, aber erhellenden und immer bestens nachvollziehbaren Perspektiven eindrucksvolles Buch, das nicht nur eine plausible Art des theologischen Arbeitens vorführt, sondern sich auch als eine kluge Einführung ins christliche Denken empfiehlt. Selten werden christliche Inhalte, noch dazu so zentrale, so konstruktiv kritisch und nachvollziehbar dargestellt. Und ähnlich wertvoll ist der Einblick in die populäre Gegenwartskultur – 270 spannende und gut zu lesende Seiten.