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Ausgabe:

Oktober/2012

Spalte:

1103–1105

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Friedrich, Hans-Edwin, Haefs, Wilhelm, u. Christian Soboth [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Literatur und Theologie im 18. Jahrhundert. Konfrontationen – Kontroversen – Konkurrenzen.

Verlag:

Berlin/New York: de Gruyter 2011. XVI, 351 S. m. 1. Abb. 23,0 x 15,5 cm = Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung, 41. Geb. EUR 129,95. ISBN 978-3-11-025128-9.

Rezensent:

Andres Straßberger

Es gibt Publikationen, deren Titel wecken bei einer bestimmten Klientel gelegentlich höhere Erwartungen, als sie am Ende einlösen. Das Thema »Literatur und Theologie im 18. Jahrhundert« ist zweifelsohne ein Thema, das bei Pfarrern und Theologen zahlreiche Assoziationen hervorzurufen vermag. Im vorliegenden Ta­gungsband werden diese jedoch nicht oder nur peripher bedient. Damit ist im konkreten Fall wenig über die Qualität der hier versammelten Beiträge ausgesagt, vieles aber über die unterschiedlichen Perspektiven, unter denen das genannte Thema Gegenstand wissenschaftlicher Beschäftigung werden kann. Wenngleich der Leser in diesem Band daher z. B. keine kultur- oder sozialgeschichtlichen Studien im Stile der Arbeiten von Martin Greiffen hagen oder Albrecht Schöne finden wird, so bekommt er doch zahlreiche hochspezialisierte germanistische Beiträge geboten, die in ihren Fragestellungen dezidiert literaturwissenschaftliche Interessen bedienen. Damit aber ist die primäre Zielgruppe des Bandes benannt.
Die Publikation selbst geht auf eine Tagung zurück, die vom Interdisziplinären Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung (IZEA) und dem Interdisziplinären Zentrum für Pietismusforschung (IZP) der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in Verbindung mit dem Institut für Deutsche Philologie der Ludwig-Maximilians-Universität München vom 3. bis 5. Juni 2004 in Halle (Saale) veranstaltet wurde. Als Herausgeber agieren in Vertretung der drei genannten Institutionen namhafte Fachvertreter, die ihrer Profession nach allesamt dem Bereich der germanistischen Literaturwissenschaft zuzuordnen sind. Das Herausgebervorwort (IX–XVI) markiert die literaturwissenschaftliche Zielrichtung des Tagungsbandes dann auch wie folgt: »Er verknüpft theorie- und methodengeleitete mit historisch-empi­-rischen und historisch-hermeneutischen Untersuchungen, die die Frage, ob – und wenn ja auf welche Weise – die Literatur im 18. Jahrhundert Funktionen von Theologie und Religion zu übernehmen beginnt, klären und entsprechende literarische Transformationen aufzeigen sollen.« (XIII) Ob der Tagungsband die literaturwissenschaftliche Zunft bei der Beantwortung der bezeichneten Frage einen entscheidenden Schritt weiter gebracht hat, muss diese selbst entscheiden; dem Rezensenten mangelt es für ein diesbezügliches Urteil schlichtweg an fachlicher Kompetenz.
Bedauerlich und den Herausgebern nicht anzulasten ist, dass eine größere Anzahl von Vorträgen, die im Tagungsprogramm noch angekündigt waren und die wichtige Aspekte des Themas aufzugreifen beabsichtigten, im Tagungsband nicht erscheinen. Ebenso ist es zu bedauern, dass die ursprünglichen Sektionsüberschriften, die das Tagungsthema auf hilfreiche Weise inhaltlich erschlossen (I. Theologische Semantik und theologische Konzepte in der Literatur, II. Religiös motivierte Dichtung und Poetisierung der Religiosität, III. Systemkonkurrenzen zwischen Theologie und Literatur, IV. Institutionen), für den Band nicht übernommen werden konnten; die 22 eingelieferten Beiträge gaben eine solche Gliederung nicht mehr her. Stattdessen wurden die Beiträge nun auf fünf nicht näher bezeichnete, einfach durchnummerierte Ab­schnitte verteilt, deren Strukturprinzipien dem Rezensenten nicht unmittelbar einleuchteten.
Es ist an dieser Stelle unmöglich, alle Autoren und die von ihnen bearbeiteten Themen zu nennen. Wenn ich richtig sehe, kommen von den Beiträgern 15 aus dem Bereich der Literaturwissenschaft/ Literaturgeschichte, vier aus der Systematischen Theologie, zwei aus der Kirchengeschichte und einer aus dem Fach Konfessionskunde. Die kirchen- und kulturgeschichtliche Interessenlage des Rezensenten bedienen noch am ehesten die vorzüglichen Beiträge Reinhart Siegerts (Theologie und Religion als Hintergrund für die »Leserevolution« des 18. Jahrhunderts) und Albrecht Beutels (Spalding und Goeze und die Bestimmung des Menschen. Frühe Kabalen um ein Erfolgsbuch der Aufklärungstheologie); letztgenannter Text war in ungekürzter Fassung allerdings bereits in ZThK 101 (2004), 426–449 zu lesen gewesen.
Ferner finden sich veritable Beiträge zur Lenz-, Herder- und Hamannforschung (Katrin Kohl, Christina Juliane Fleck, Brita Hempel, Christian Senkel). Grundlegendere Fragen zur theologischen Ästhetik, religiösen Poesie oder Kunstreligion um 1800 thematisieren die Aufsätze von Joachim Jacob, Hans-Joachim Kertscher und Bernd Auerochs. Aufs Ganze gesehen folgen allerdings nur wenige Beiträger der durch die Herausgeber markierten Richtungsangabe; viele Studien suchen sich ihren eigenen Anknüpfungspunkt zum Titel des Tagungsbandes. Für sich genommen verhandeln sie daher zwar durchaus plausible, aber eben doch auch sehr divergierende Fragestellungen. Beim Rezensenten hinterlässt der Band aus diesem Grund einen heterogenen Gesamteindruck.
Nicht plausibel finde ich die Thesenbildung des Beitrags von Hans-Georg Kemper (Literaturtheorie als Predigt im Sturm und Drang. Theologische Implikationen eines literarischen Paradigmenwechsels; 243–260). Der Verfasser will am Beispiel von Herders homiletisch-programmatischem Text Der Redner Gottes bzw. an­hand von Goethes Traktat Von deutscher Baukunst einen literarischen Paradigmenwechsel aufzeigen, demzufolge (I.) »Literatur Teil und Medium theologischer […] Predigt wird« bzw. (II.) »Literatur ihre eigene Religiosität verkündigt und die Form der Predigt daher zur Plausibilisierung der eigenen Würde als Organ der Wahrheit usurpiert« (beide Zitate 247). Mir scheint, dass Kemper in seinen Ausführungen einerseits den theolo­gischen bzw. literarischen (gattungstypologischen) Predigtbegriff mit um­gangssprach­lichen Semantiken von »Predigt« und »Predigen« auf unzulässige Weise vermischt. Andererseits kommt er im Zuge seiner Ausführungen zu weitreichenderen Schlüssen, als diese hergeben, so etwa z. B. wenn er behauptet, die (von ihm durchaus zutreffend skizzierte) Predigttheorie Herders entfalte »zugleich […] konsequent die eigene Literaturtheorie als Predigt« (251; Hervorhebung Rez.). Wieso das Letzte der Fall sein soll, ist mir nicht ersichtlich.
Den gegenwartsbezogenen Dialog zwischen Theologie und Literatur (vgl. ThLZ 113 [1988], 47–50; 132 [2007], 968–970) nimmt der Band angesichts der forschungsleitenden historischen Frageperspektive nicht in den Blick, was an und für sich kein Defizit ist. Allerdings hat sich mit dem Beitrag von Klaas Huizing (Das Geheimnis der Begeisterung oder: Wackenroders narratives Versteckspiel; 336–345) dann doch ein Text eingeschlichen, der in diese Richtung zielt. Ob der Verfasser seinen Text, der sich so gar nicht in die avisierte Bandkonzeption einfügen will, in der vorliegenden Form auf der Tagung vorgetragen hat (angekündigt war er unter dem Titel: »Literatur und Erregung. Kleine Anfrage an Wackenroder im Geiste Warburgs«), entzieht sich meiner Kenntnis. Ein Hinweis auf S. 338 (Anm. 3) teilt zum publizierten Text jedenfalls mit: »Dieser Aufsatz nimmt Bezug auf einen Essay über Wackenroder in Klaas Huizing, Ästhetische Theologie, Bd. 3: Der dramatisierte Mensch. Eine Theateranthropologie. Ein Theaterstück. Stuttgart 2004.« Ich weiß nicht, wie andere Leser die Formulierung »nimmt Bezug auf« verstehen; bei mir weckt sie jedenfalls nicht die Vorstellung, es mit einem nahezu wortwörtlichen, nur an ganz wenigen Stellen veränderten Wiederabdruck des genannten Essays (erschienen unter dem Titel: Das Geheimnis der Erregung oder: Wackenroders Herzensergießungen; a. a. O., 96–110) zu tun zu haben. Warum der Verfasser mit einer derart verschleiernden Formulierung ein Versteckspiel um die wahre Beschaffenheit seines Textes treibt, bleibt sein Geheimnis. Nach meiner Auffassung liegt hier ein Selbstplagiat vor, das kein gutes Licht auf die Art und Weise der Textproduktion des Verfassers wirft.
Anzumerken ist, dass das Personenregister un­vollständig ist. Alle in den Fußnoten erscheinenden Namen von historischen Personen wurden augenscheinlich nicht aufgenommen; zumindest führten fünf Stichproben aus diesem Bereich zu keinem einzigen Treffer.