Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/1996

Spalte:

260 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Scoralick, Ruth

Titel/Untertitel:

Einzelspruch und Sammlung. Komposition im Buch der Sprichwörter Kapitel 10–15.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 1995. IX, 285 S. gr. 8o = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 232 S. Lw. DM 158,­. ISBN 3-11-0144409-9.

Rezensent:

Jutta Krispenz

Nachdem lange Zeit in der wissenschaflichen Diskussion die Ansicht vorherrschte, das Buch der Sprüche enthalte zum überwiegenden Teil eine in ihrer Anordnung nicht weiter deutbare Ansammlung von Sprichworten, sind in den vergangenen Jahren einige Arbeiten erschienen, die gerade die Anordnung der Sprüche thematisieren. Die Dissertation von Ruth Scoralick nimmt den Gedanken der Kontextbezogenheit von Sprüchen auf, um ihn fortzuführen in Richtung auf eine von der Endredaktion konzipierte Gesamtstruktur und versucht, in kritischer Auseinandersetzung mit Vorarbeiten, einen besseren Zugang als jene zu den in Spr. 10-15 gesammelten Sprüchen zu finden.

S. argumentiert in zwei Richtungen: Zum einen möchte sie Spr 10-15 als Sammlung erweisen, was nicht zuletzt mit Blick auf die Beschränkung der Arbeit auf Spr 10-15 notwendig ist, da die Abgrenzung von Spr 10-15 gegenüber 16-22,16 lediglich eine Forschungshypothese ist. Zum anderen will sie die "Spruchanordnung und ihre(n) Prinzipien in Spr 10-15" (9) erheben. Jedem dieser Ziele ist ein Teil (I/II) gewidmet, die wiederum unterteilt sind in je einen forschungsgeschichtlichen Abschnitt (A) und einen den eigenen Untersuchungen gewidmeten Abschnitt (B). Die Abschnitte A und B sind von annähernd gleichem Umfang.

Im ersten Hauptteil (I) entnimmt S. den Begriff "Teilsammlung" (11) der ihr vorliegenden Sekundärliteratur, die in IA diskutiert wird. Jedes der in IA genannten Argumente wird dann in IB wieder aufgegriffen und einer kritischen Prüfung unterzogen. Diese, ergänzt durch weitere Beobachtungen, ergibt, daß sich Spr 10-15 durch "einige Besonderheiten" (86) aus der Sammlung II (Spr. 10-22,16) herausheben. S. nennt: das Überwiegen antithetischer Sprüche, den hohen Anteil an Sprüchen über jm/sjds und jm/rsc (49 von 184 Sprüchen), sowie die Anwesenheit von 4 rswn-twcbh-Sprüchen und 6-mwsr-twkht-Sprüchen. Eine vorausgreifende Reflexion über Spr. 15,33 und 16,1-9 zur Bestimmung der Sammlungsgrenze schließt den ersten Teil ab. Insgesamt kommt S. zu dem Schluß: "Für die Annahme, Spr 10,1-15,33 seien eine exakt umrissene Sammlung (...) gibt es keine ausreichenden Gründe." (87). S. dehnt nun aber den Textbereich nicht auf die gesamte Sammlung II aus und nennt auch weiterhin keine Kriterien dafür, wann eine Aneinanderreihung von Sprüchen als "(Teil) Sammlung" (11, 238) zu bezeichnen ist. Vielmehr schließt sie hier den zweiten Haupptteil an, der "Die Anordnung der Sprüche in Spr 10-15" (89) zum Thema hat.

Teil IIA kombiniert in seiner Gliederung sachliche Gesichtspunkte (bisher vermutete Strukturprinzipien) mit Autoren (der jüngsten Kommentare). Die in IIA gebotenen Auswertungen der Sekundärliteratur sind nicht völlig frei von Verzerrungen: Die Auseinandersetzung mit den Gliederungsprinzipien "Paronomasien und Stichwörter" (111-130) ­ denjenigen Ordnungskriterien, die S.s Vorgehensweise am nächsten stehen ­ enthält nichtexplizite Kritik und sachliche Fehler. Mit Zitaten wird nicht immer korrekt umgegangen.

Zum Beleg: Die Verbindung von Lautanklängen mit Inhalten, die den Angelpunkt von Boströms Werk bildet, und die dieser breit und sehr ausführlich erörtert, kommentiert S. mit den Worten: "Gerade bei seiner Verbindung der Lautanklänge mit Inhalten läßt sich einiges bemängeln oder zumindest anders gewichten" (114). Auf die inhaltliche Füllung dieser Kritik mit sachlicher Auseinandersetzung (auch in der Textanalyse) verzichtet S. Bei der Besprechung meiner Dissertation notiert S. 19 ermittelte Spruchgruppen (123, A119) ­ tatsächlich sind es 36. In 125, A 128 wird nur vermeintlich Boström zitiert, tatsächlich stammt das Zitat von E. König, der seinerseits von Boström zitiert wird.

Die die Untersuchung abschließende Textanalyse (IIB) setzt ein mit einer sehr kurzen und jeden Seitenblick auf Ergebnisse der Literaturwissenschaft vermeidenden Darlegung der methodischen Vorgaben für die Analyse, die sich orientieren soll an "Wiederholungen, dem üblichen Mittel poetischer TextgestaltungŠ" (160), was z.B. Metaphern als Mittel poetischer Textgestaltung ausschließt. Weiter stellt S. fest: "...die Analyse orientiert sich an Merkmalen der Textoberfläche: von inhaltlichen Annahmen und Spruchinterpretationen wird dabei abgesehen" (161). Dies wird nicht weiter erläutert (welche Merkmale?) und in der Analyse auch sehr bald aufgegeben (z.B. 172, 173, 183, 191), S. teilt schließlich Spr 10-15,32 in fünf Abschnitte, die ihrerseits weiter unterteilt sind: I: Spr 10,1-5; 6-12; 13-21; 22-27; 28-11,7; II: 11,8-17; 18-12,3 (11,18-21; 22; 23; 24-26; 27; 28-30; 31; 12,1; 2-3; 4-14); 12,4-13; III: 12,14-13,2; 13,3-13; IV: 13,14-19; 20-14,2-7; 8-15; 16-27; V: 14,28-15,32.

Diese Struktur enthält an einigen Stellen Sprüche, die nicht selbst formal kontextgebunden sind (z.B. Spr 15,8.9.10), an anderen Stellen werden über einen weiten Abstand hinweg Bezüge postuliert (z.B. Spr 11,8a/12,13b; 13,1/12,15; 10,29/ 12,21; 12,20/13,10; 10,1/13,1/15,20). Textkritische Probleme werden öfter übergangen (z.B. Spr 12,12). S. traut der strukturierenden Kraft von Spruchbezügen so viel zu, daß gelegentlich der Eindruck entsteht, sie behandele die Sprüche wie einen narrativen Text, dessen Kohärenz fraglos ist. Wie weit die von S. erarbeitete Struktur trägt, trotz der genannten methodischen Probleme und obwohl sie ­ wo sie denn überhaupt formal begründet ist ­ nicht am Inhalt verifiziert wird, muß die zukünftige Diskussion zeigen. Ich bezweifle, daß ihre Beobachtungen die Beweislast tragen können, die sie ihnen aufbürdet, weil der Horizont auf Spr 10-15 beschränkt bleibt und S.s Struktur keinen Schluß signalisiert, der eine Fortsetzung ausschlösse. Die zahlreichen statistischen Argumente sind, da sie einer kontrollierten Methodik ebensowenig folgen wie die Textanalysen, ohne Aussagekraft. Die Orientierung der ganzen Untersuchung an der alttestamentlichen Sekundärliteratur verhilft dem Buch weder zu einer klaren Durchdringung des Problemfeldes mit seinen methodischen Anforderungen noch zu guter Lesbarkeit.