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Ausgabe:

Oktober/2012

Spalte:

1081–1082

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Anselm von Havelberg

Titel/Untertitel:

Anticimenon. ›Über die eine Kirche von Abel bis zum letzten Erwählten und von Ost bis West‹. Eingel., übers. u. kommentiert v. H. J. Sieben.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2010. 219 S. 24,0 x 17,0 cm = Archa Verbi. Subsidia, 7. Geb. EUR 49,00. ISBN 978-3-402-10218-3.

Rezensent:

Karl-Hermann Kandler

Erstmals gibt Hermann Josef Sieben eine Übersetzung des Dialogs Anticimenon von Anselm von Havelberg heraus. Das ist sehr zu begrüßen. Die Vielfalt theologischen Denkens im Mittelalter kann nur erfasst werden, wenn die entsprechenden Texte ediert und möglichst auch übersetzt vorliegen.
Der Herausgeber befasst sich in der Einleitung seines Werkes zuerst mit dem Leben Anselms (um 1095–1158): Er war Prämon-s­tratenser, Berater von drei Kaisern, Bischof von Havelberg, später Erzbischof von Ravenna (13–21). Danach macht Sieben mit Inhalt, Aufbau und der literarischen Einheit des Dialogs (die Schrift wurde zeitweise Dialogi genannt) sowie mit den Quellen vertraut. Er befasst sich mit der Frage nach der Historizität der Dialoge II und III, und ob es sich um einen Traktat contra Graecos handelt, und schließlich mit der Überlieferung und dem Titel (21–38). Sieben verortet Anselm als Schüler Ruperts von Deutz bzw. der Schule von Laon und nennt ihn einen »Vermittler zwischen Ost- und Westkirche«. Im Auftrag von Papst Eugen III. habe er die Dialoge mit dem Vertreter der Ostkirche Nicetas von Nikomedien (der historisch in keiner anderen Quelle nachweisbar ist) geführt und daraufhin aus dem Gedächtnis in den Büchern II und III aufgezeichnet und die gegensätzlichen Standpunkte in Dialogform wie­dergegeben.
In Teil I (er ist kein Dialog) geht es darum, ob die Vielzahl der neuen Orden nicht die Einheit der Kirche gefährdet. Teil II befasst sich mit dem strittigen Problem des filioque, Teil III sowohl mit der Frage nach dem Primat des Papstes als auch mit der Frage nach dem richtigen Brotelement beim Abendmahl und mit anderen Riten. Zuletzt stimmen beide Gesprächspartner in den Ruf nach einem neuen, wahrhaft ökumenischen Konzil ein, auf dem die Fragen geklärt werden sollten. Trotz der unterschiedlichen Themen und Formen der Schrift handelt es sich um ein Werk.
Angesichts der Vielzahl der Orden ist Anselm davon überzeugt, dass diese nicht die Einheit der Kirche gefährdet: Es »soll fortan kein Gläubiger mehr Argwohn haben, dass darin ein Ärgernis bestehe, wenn die Kirche, deren Glauben immer derselbe ist, nicht immer dieselbe Lebensform hat« (72).
Hinsichtlich der Filioque-Kontroverse nimmt Anselm Ärgernis daran, dass die »äußerst gelehrten Griechen nicht glauben und nicht bekennen, dass der Heilige Geist vom Sohn ausgeht, wie er auch vom Vater ausgeht«; die Leugnung ist für ihn eine Gottesläs-terung (74.98). Die Argumentation beider Seiten erfolgt weithin philosophisch und dreht sich vor allem um den Begriff principium. Die Argumentation nach der Schrift und den Kirchenvätern erfolgt erst gegen Ende von Buch II. Zur Formulierung, dass der Heilige Geist vom Vater durch den Sohn ausgeht, meint Anselm, diese kenne er nicht (132).
Uneinheitlich ist Buch III. Wichtiger als das Problem der Azyma ist für Anselm das der Anerkennung des römischen Primats. Er behauptet, die Kirche Konstantinopels sei »fast ständig durch allerschlimmste Häresien […] verdorben worden« (144). Erst ab Kapitel 13 geht es um das Brotelement beim Abendmahl. Die Argumente beider Seiten gehen nicht über die im Azymenstreit um 1054 genannten hinaus; der Herausgeber nennt diesen Streit nur in Anmerkung 3 auf S. 165. Dieser Streit hatte ja zum Schisma geführt. Damals war erheblich tiefgründiger argumentiert worden als jetzt in Anselms Dialog. So stellt Buch III keinen Fortschritt gegenüber 1054 dar. Es wäre gut gewesen, Anselms Dialog mit Humberts Dialog zwischen einem Römer und einem Konstan­tinopolitaner zu vergleichen. In seinen sehr knappen kommentierenden Anmerkungen stützt sich der Herausgeber auf G. Av­-vakumov (Die Entstehung des Unionsgedankens, 2002). Andere Literatur hat er nicht herangezogen (A. Michel: Humbert und Kerullarios I/II, 1925/30; K.-H. Kandler: Die Abendmahlslehre des Kardinals Humbert […], 1971; A. Bayer: Spaltung der Christenheit, 2002). Die Namen der damaligen Kontrahenten werden nur einmal (in anderem Zusammenhang) genannt.
Die Sprache Anselms ist manchmal verbindlich, manchmal äußerst hart. Sein Gesprächspartner wird als ihm deutlich unterlegen gezeigt. Dass das der Realität entsprach, darf bezweifelt werden. Es bleibt zu hinterfragen, ob Anselm wirklich ein Vermittler zwischen Ost- und Westkirche war.
So anerkennenswert die Übersetzung ist, so hilfreich wäre es gewesen, wenn die Kommentierung ausführlicher erfolgt wäre. Dazu kommt, dass das Literaturverzeichnis sehr einseitig ist. Es werden 18 Artikel des Lexikons für Theologie und Kirche aufgeführt, aber man findet keinen aus der Theologischen Realenzyklopädie oder aus Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Wichtige Sekundärliteratur fehlt. Dennoch bleibt es dabei, dass die Herausgabe dieser Schrift, die als Anselms Hauptwerk gilt, sehr anzuerkennen ist.