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Ausgabe:

Oktober/2012

Spalte:

1066–1068

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Öhler, Markus [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Aposteldekret und antikes Vereinswesen. Gemeinschaft und ihre Ordnung.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2011. VIII, 411 S. 23,2 x 15,5 cm = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 280. Lw. EUR 114,00. ISBN 978-3-16-150363-4.

Rezensent:

Stefan Krauter

Der von Markus Öhler herausgegebene Sammelband geht auf eine Tagung an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien im Jahre 2009 zurück. Der Titel führt dabei ein wenig in die Irre. Denn die Einbeziehung des antiken Vereinswesens in die Diskussion um das Aposteldekret aus Apg 15,23–29 ist zwar der besondere Akzent dieses Bandes, aber keineswegs sein durchgehendes Charakteristikum.
Die ersten fünf Beiträge behandeln vielmehr ohne oder nur mit sehr punktuellem Bezug auf das Thema Vereine die historischen Hintergründe und die innerneutestamentliche Bedeutung des Aposteldekrets. An ihnen wird schon die ganze Bandbreite der Forschungspositionen zu diesem Text deutlich: Friedrich Avemarie, Hermut Löhr und Loren T. Stuckenbruck arbeiten motivgeschichtlich. Sie ordnen die Bestimmungen des Dekrets über Opferfleisch, Blut, Ersticktes und Unzucht in die Debatten im antiken Judentum zu ähnlichen Themen ein und arbeiten Bezüge, aber auch charakteristische Unterschiede heraus.
Avemarie zeigt anhand seiner detaillierten Vergleiche mit rabbinischen Be­stimmungen, dass man das Aposteldekret als ein in der Diaspora praktikables Stück Tora für Nichtjuden verstehen kann. Manche weiteren Fragen – etwa den Bezug zum sog. antiochenischen Zwischenfall – lässt er bewusst offen; mit der Tischgemeinschaft zwischen Christen jüdischer und nichtjüdischer Herkunft habe der Text jedenfalls eher nichts zu tun. Löhr konzentriert sich auf das Thema der Unzucht und verortet das Dekret als frühchristliches Seitenstück zu den Versuchen des antiken Judentums, Tora-Ethik als rationale, allgemein anerkennungsfähige Prinzipienethik zu verstehen. Stuckenbruck nimmt die bislang wenig beachtete Aussage von Apg 15,9, dass Gott die Herzen der Christen aus den Völkern gereinigt habe, zum Ausgangspunkt. Anhand von Henochtraditionen und der Zwei-Geister-Lehre will er die Bestimmungen des Dekrets als Ausdruck der von Gott jetzt bewirkten endzeitlichen Reinigung und Heiligung der Völker verstehen.
Methodisch sehr anders gehen einerseits Wilhelm Pratscher in seiner kurzen historischen Skizze zur Rolle des Herrenbruders Jakobus in der Entstehung des Dekrets und vor allem andererseits Matthias Klinghardt vor, der das Dekret auf der Ebene der seines Erachtens antimarcionitischen Endredaktion des lukanischen Dop­pelwerkes bzw. des kanonischen Neuen Testaments interpretiert. Leider bleibt sein Beitrag über weite Strecken thetisch und daher schwierig nachzuvollziehen. Dass etwa die Passagen in Lk-Apg, die der Theologie des Marcion widersprechen, von einem antimarcionitischen Endredaktor eingefügt worden seien, ist ohne weitere stützende Argumente erst einmal nicht plausibler (oder vielmehr weniger plausibel) als die traditionelle Behauptung, Marcion habe sie aus ebendiesem Grund herausgekürzt.
Die beiden folgenden Beiträge befassen sich mit der frühen Rezeption des Apos­teldekrets, im Fall von Matti Myllykoski vielmehr mit der Nicht-Rezeption: Er bestreitet die verbreitete Ansicht, Did 6,2–3 sei als Wirkung des Aposteldekrets zu sehen. Dabei hinterfragt auch er die vorlukanische Entstehung des Dekrets. Markus Lang versteht ebenfalls Regelungen in frühchristlichen Texten, die den Bestimmungen von Apg 15 ähneln, eher als Ausdruck entsprechender Gemeindepraxis denn als Rezeption des Aposteldekrets.
Es folgen drei Beiträge zu antiken Vereinen aus althistorischer bzw. religionswissenschaftlicher Sicht. Andreas Gutsfeld befasst sich anhand zahlreicher Beispiele mit der Rolle von Vereinsbanketten für den Zusammenhalt innerhalb der Vereine. Julietta Steinhauer zeigt die große Vielfalt von Kultgemeinschaften ägyptischer Götter in Griechenland auf. Andreas Bendlin widmet seinen Beitrag – den bei Weitem längsten des ganzen Bandes – der Untersuchung der Inschrift CIL 14.2112 des Collegiums der Diana und des Antinous in Lanuvium, einer der bekanntesten Vereinsinschriften überhaupt.
Alle drei Beiträge sind interessant und instruktiv. Immer wieder finden sich auch Aspekte, die zum Ausgangspunkt für einen Vergleich mit dem Apos­teldekret dienen könnten. Doch leider wird dieser Bogen in keinem der Beiträge geschlagen.
Erst die drei letzten Aufsätze widmen sich tatsächlich dem Thema, das der Titel des Bandes ankündigt. Am weitesten geht dabei wohl Richard S. Ascough, der die Regeln des Aposteldekrets (jedenfalls auf der Ebene der lukanischen Endredaktion) als political accommodation versteht: sozusagen als Versicherung, dass bei den Mählern der Christen wie in einem »normalen« Verein alles mit rechten Dingen zugehe. So Recht Ascough mit seiner Grundannahme hat, dass man die Regelungen des Dekrets nicht nur als Ausdruck theologischer Streitigkeiten verstehen darf, sondern in ihrem sozialen und politischen Kontext sehen muss, wird man doch hinter seine »anti-imperiale« Lektüre der Apostelgeschichte grundsätzlich manche Fragezeichen setzen. Wenn er schließlich mit recht lockerer Hand den etwa von Avemarie detailliert aufgezeigten jüdischen Hintergrund der Regeln beiseiteschiebt und sie zu nicht mehr als der Forderung nach »anständigen Tischmanieren« macht, wird man ihm kaum folgen können.
Deutlich skeptischer in Hinblick auf die Vergleichbarkeit von Vereinssatzungen und Aposteldekret bleibt Eva Ebel. Zwar gebe es manche Ähnlichkeit, doch ergebe eine genauere Betrachtung vor allem Punkte, in denen Aposteldekret und übliche Vereinssatzungen deutlich voneinander abwichen, ja nicht vergleichbar seien.
Markus Öhler schließlich ordnet das Dekret in den Bereich landsmannschaftlicher Vereine ein. Die Beschlüsse des Dekrets wendeten ethnische Kriterien – bestimmte Bräuche hinsichtlich Essen und Sexualität – an, um den Zusammenhalt der Gemeinde nach innen und ihr Profil nach außen zu stabilisieren.
Der durch hilfreiche Register gut erschlossene Band bietet qualitätvolle und weiterführende Beiträge zum Aposteldekret und zu antiken Vereinen. Inwieweit freilich beide Bereiche einander gegenseitig erhellen, bleibt doch etwas unklar. Letztlich, so scheint es, überwiegen die Unterschiede.