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Ausgabe:

Oktober/2012

Spalte:

1065–1066

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Johnson, Luke Timothy

Titel/Untertitel:

Prophetic Jesus, Prophetic Church. The Challenge of Luke-Acts to Contemporary Christians.

Verlag:

Grand Rapids/Cambridge: Eerdmans 2011. VIII, 198 S. 22,8 x 15,3 cm. Kart. US$ 23,00. ISBN 978-0-8028-0390-0.

Rezensent:

Hans Klein

Die Prophetie hat lange Zeit in der neutestamentlichen Wissenschaft kein besonderes Interesse gefunden. In letzter Zeit hat ein neues Nachdenken darüber eingesetzt. Sie hat das Urchristentum in hohem Maße geprägt.
Der bekannte Lukasspezialist L. T. Johnson legt hier das Ergebnis seiner jahrelangen Studien zur Botschaft des Lukas unter dem Ge­sichtspunkt der Prophetie in einer gemeinverständlichen Darstellung vor. Er verweist auf keine Autoren, die er für sein Buch herangezogen hat, arbeitet nicht mit Anmerkungen und liefert auch kein Literaturverzeichnis. Er will intellektuelle Leser ansprechen, ohne ihnen den Ballast der wissenschaftlichen Untersuchungen und der vielen strittigen Probleme in der lukanischen Forschung zuzumuten. Er liest die Lukasschriften synchronisch und zieht zuweilen andere Texte des Neuen Testaments und seiner Umwelt zum Verständnis heran. Die historische Betrachtungsweise liegt ihm fern.
Stil, Sprache und Darstellung sind auf die Leser abgestimmt. J. untergliedert fünf der acht Kapitel in drei Teile, in denen er zu­nächst die Sicht des Evangeliums und anschließend jene der Apos­telgeschichte beschreibt, um in einem dritten Unterteil aus dem Erarbeiteten die Herausforderungen für die Kirche heute deutlich zu machen. J. schwebt eine Kirche vor, die sich an den Aussagen der Bibel mehr orientiert, als es zurzeit geschieht.
J. geht von zwei Voraussetzungen aus: a) dass die beiden lukanischen Schriften eine Einheit bilden (8) und als story (12.14.29), nicht als systematische Darstellung gelesen werden wollen und b) dass Prophetie bei Lukas sich am Wirken von Mose einerseits und von Elia-Elisa andererseits orientiert (30 f.34 f.). Sie ist nicht als Voraussage der Zukunft, sondern als Wort über Gottes Vision für die Menschheit zu fassen (72), die sich im Leben verwirklichen soll. Darum reden Propheten nicht nur, sie handeln auch, und zwar überall dort, wo sie Menschen in die Gemeinschaft neu integrieren, Kranke heilen und Armen nahe bleiben.
J. geht nicht von einem Verständnis des Prophetenamtes im Neuen Testament aus, klärt auch nicht das Verhältnis des Propheten zum urchristlichen Apostel einerseits und dem frühchristlichen Lehrer andererseits – Ämter, die Paulus 1Kor 12,28 hintereinander nennt, er sieht das Reden und das Wirken Jesu und der urchristlichen Missionare als prophetisch an. Dadurch ergibt sich eine einheitliche Sicht der Wirksamkeit im Leben Jesu und des frühen Chris­tentums, die als Grundlage zu Anfragen an die Kirche heute dient. Dieses Konzept ist am klarsten auf S. 109 zusammengefasst:
»Christians today might be tempted to dismiss the radical characterization of Jesus; he acts the way he does because he is son of God or he has special pro­-phet­ic gifts that are unique to him. If that is the case, then the contemporary church can admire but need not worry about emulating Jesus’ radical manner of life. But if the church in Acts – clearly a community and institution that exists over generations and spans nations – is portrayed in equally radical terms, then the church today is more directly challenged.«
Die acht Kapitel des Buches haben folgende Themen: die literarische Gestalt von Lk-Apg (9–22); die prophetische Gestalt von Lk-Apg (23–38), die Eigenschaften des Propheten (39–51); der prophetische Geist (52–71); das prophetische Wort (72–95); die prophetische Verkörperung (embodiment) (96–129); das prophetische Handeln (130–165) und das prophetisches Zeugnis (166–186). Ein Stellenregister (187–198) schließt das Buch ab.
Jesus ist nach dieser Darstellung der prophetische Messias (78.80.89), die Kirche eine messianisch-prophetische (108). Zacharias und Maria, Jesu Mutter, werden als Propheten gekennzeichnet: Zacharias, weil er im Geiste prophezeit (1,67), Maria, weil sie zur Prophetin investiert wird, als sie der Geist überschattet (55), eine sehr ungewöhnliche Auslegung. Auch der alte Simeon wird seines Gebetes wegen (Lk 2,29–32) als Prophet angesehen, was Lk nicht hervorhebt. Denn J. sieht auch dort den Propheten am Werk, wo das nicht eigens hervorgehoben wird (32). Man merkt, wie J. die Texte von einem bestimmten Konzept her liest. Apg 2,33 entnimmt er, dass der Heilige Geist als Geist des erhöhten Jesus angesehen werden muss (32). Dadurch erreicht J. eine enge Verbindung zwischen dem Wirken Jesu und dem seiner Nachfolger.
J. beschreibt aufgrund der Aussagen der Texte eine Gegenwelt zu der vorfindlichen, in der Zeugnis (166–181), Buße und Vergebung (91–94), Nachfolge im Sinne von Wanderpredigt (100–102. 106.126–128), Gebet (102–104.117–119.124), Annahme der Randsiedler, inklusive Frauen und Kinder (137–141.150–157), Heilung der Kranken und Schwachen (133–137.164 f.), Hilfe für die Armen (125 f.) und deren Integration (114 f.147–150.162), dienende Leitung (105–108.119–122.128) und Leiden (169–171) verursacht durch den Widerstand der Gegner (85 f.) zum Wesen des prophetischen Wirkens gehören. Darin unterscheidet sich der Prophet von den Vertretern weltlicher Führungen und von den Anhängern einer durch die Tradition geprägten Lebenseinstellung (Pharisäer, Qumranessener, Philosophen). Das führt zu einer distanzierten und kritischen Be­trachtung der zu allen Zeiten vorhandenen Tendenzen der Domes­tizierung auch in der Kirche in allen ihren Denominationen, zu einem Leben nach der Weise der Propheten (127).
Es liegt hier eine beachtenswerte Darstellung einer lukanischen Theologie vor, zentriert und eingeengt unter dem Gesichtpunkt der Prophetie. Das Buch zeugt von einem großen Einfühlungsvermögen in die lukanischen Schriften und speziell in die Aussagen, die J. seinem Verständnis von Prophetie einordnet. Es ist geschrieben von einem Lehrer.