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Ausgabe:

Oktober/2012

Spalte:

1056–1058

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Weippert, Manfred

Titel/Untertitel:

Historisches Textbuch zum Alten Testament. M. Beiträgen v. J. F. Quack, B. U. Schipper u. S. J. Wimmer.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010. 654 S. 24,2 x 16,5 cm = Grundrisse zum Alten Testament, 10. Geb. EUR 79,95. ISBN 978-3-525-51693-5.

Rezensent:

Stefan Timm

Das Werk von Manfred Weippert ist in vier Teile gegliedert (A: Kanaan im 2. Jahrtausend v. Chr., B: Kanaan im Übergang vom 2. zum 1. Jahrtausend v. Chr., C: Palästina und seine Nachbarn in der Zeit der »National«-Staaten und D: Palästina und seine Nachbarn in der neubabylonischen und achämenidischen Zeit). 338 Texte werden hier in Übersetzung geboten. Sie setzen ein mit Nr. 001, dem ägyptischen Bericht des Ḫw Śbk über seine Teilnahme am Feldzug des Pharao Sesostris III. gegen Sichem aus dem dritten Viertel des 18. Jh.s v. Chr. (bearbeitet von Stefan Jakob Wimmer). Die jüngsten Texte stammen aus der Zeit der ersten Nachfolger Alexanders des Großen (vgl. Nr. 306). Insgesamt wird ein Zeitraum von eineinhalb Jahrtausenden durchschritten, der durch viele Regionen und Sprachen des Alten Orients führt. Doch bleibt der Fokus stets auf den Bereich Syro-Palästinas ausgerichtet, genauer: Die historisch-politische Situation, die sich in den Texten widerspiegelt, wird stets eingebettet in die jeweilige großräumige weltgeschichtliche Konstellation.
Manche der 338 Texte waren schon im 19. Jh. erstmals veröffentlicht worden, wie die ägyptischen Texte: Nr. 065, das »Tagebuch eines Grenzbeamten« aus dem 3. Jahr des Pharao Merenptah, Nr. 067, der Bericht über die Ankunft einer Gruppe edomitischer Š3św bei der Grenzfestung _Tkw, der Papyrus Harris (ein Auszug daraus ist Nr. 068, bearbeitet von Bernd Ulrich Schipper), Nr. 079, eine Inschrift Ramses II., oder Nr. 102, die Šošenq-Liste (vgl. C. R. Lepsius 1852). Auch die keilschriftlichen El-Amarna-Briefe (Nr. 043–062) wie etliche Texte der assyrischen oder neubabylonischen Könige sind schon seit Ende des 19. Jh.s bekannt und seitdem viel erörtert. Das gilt ebenso von Nr. 105, der berühmten Mēša῾-Stele (hier als Mōši῾! transkribiert), oder Nr. 189, der nicht minder berühmten Siloah-Tunnel-Inschrift. Doch bei etlichen Texten, die W. in eigener Übersetzung bietet, liegt die Erstpublikation noch nicht lange zurück. Das gilt für einige Keilschrifttafeln, die bei den neueren Grabungen in Hazor gefunden wurden (Nr. 005, 022–024), für die in ägyptisch-hieratischer Schrift abgefassten Verwaltungsnotizen, die an verschiedenen Orten Israels bzw. Palästinas aufgetaucht sind (Nr. 069–072, bearbeitet von Stefan Jakob Wimmer), für die leider sehr bruchstückhafte aramäische Stele aus Āfis in Syrien, Nr. 119 (Maria Giulia Guzzo Amadasi 2005), für Nr. 162, die Inschrift Sargons II. aus Tang-i Var im Iran, für Nr. 192, die Inschrift des Ikayuš aus Ekron, für Nr. 271, die in nordarabischer Schrift verfassten Texte aus Tema, wo sich der neubabylonische König Nabonid zehn Jahre aufgehalten hatte, für etliche spätbabylonische Urkunden aus dem Muraššu-Archiv (Nr. 274–275) oder die über 1600 »idumäischen« Ostraka, von denen mehr als 40 in den Nr. 296–338 übersetzt sind.
Eine chronologische Abfolge bestimmt den Aufbau dieses Historischen Textbuchs zum Alten Testament, wofür auch die Tabellen zu den Regierungsdaten der Herrscher Ägyptens ungemein hilfreich sind (vgl. 94.155). Wichtiger aber sind drei andere Aspekte:
1) Überprüfung der Lesungen: Für jeden Text, den er neu übersetzt hat, weist W. auf die Erstpublikation (oder mindestens auf die »maßgebliche« Publikation) mit Fotos oder Nachzeichnungen hin, an denen die Lesung überprüft werden kann.
2) Philologische Durchdringung: Ein sprechendes Beispiel sind die sog. Ächtungstexte aus dem 19. und 18. Jh. v. Chr.: Die alten Ägypter zerstörten rituell Tonpuppen mit den Namen nubischer, »asiatischer« oder libyscher Fürsten und hofften, so jene »Bösen« unschädlich zu machen, sie zu ächten. Die Texte gehören zu den frühesten schriftlichen Quellen, die Personen und Orte aus dem Bereich Syro-Palästinas nennen, darunter auch schon Jerusalem (vgl. 51 mit Anm. 71). Sie sind in ihrer Deutung besonders schwierig, denn die Ägypter mussten erst ein neues orthographisches System ihrer Hieroglyphenschrift entwickeln, um die fremden Namen »richtig« schreiben zu können. Was W. im Abschnitt über die »asiatischen« Personen- und Ortsnamen aller Ächtungstexte vorgelegt hat, ist ein Kabinettstück. Es ist mehr, als irgendjemand dazu hätte zusammentragen können. – Zu fast jedem Text, den W. übersetzt hat, finden sich solche philologischen und sachlichen Erörterungen, eine unerschöpfliche Fundgrunde für weiterführende Erkenntnisse (vgl. etwa die Namen der Könige Zyperns bei Asarhaddon, Nr. 188, 340–342, im Vergleich mit E. Leichty, 23, der neuesten Textausgabe dazu), wiewohl danach auch von Vertrautem Abschied zu nehmen ist (vgl. oben den Hinweis zur Namensform Mōši῾).
3) Alltagstexte als Quellen der Geschichtsschreibung: Die aus dem Alten Orient überkommenen schriftlichen Äußerungen sind Texte von Stadtbewohnern, vielfach die Verherrlichung der Siege ihrer Könige. Aber zur Bevölkerung Syro-Palästinas gehören seit den frühesten Zeiten die Schaf- und Ziegenhirten hinzu. Es gibt keine Texte, die sie verfasst hätten, aber dennoch waren die Kleinviehhirten über alle Jahrhunderte da und sind es bis heute. So gilt dieser Bevölkerungsgruppe, die die Ägypter Š3św nannten, die Mesopotamier eher Sutu, ein ausführlicher Abschnitt: A. 5. Nomaden in Palästina und seinen Nachbargebieten in der Spätbronzezeit (179–194; dazu gehört auch das be­rühmt gewordene Š3św-Land Jahwe, 183–184). – Nicht zu den Kleinviehhirten, sondern zum Bereich des Alltags der ägyptischen Verwaltung in Syro-Pa­läs­tina gehören die hieratisch geschriebenen Ostraka, die Stefan Jakob Wimmer bearbeitet hat (Nr. 69–72). Auch der sog. »Bauernkalender« aus Gezer war kaum etwas, was amtlich der Nachwelt zu überliefern war (Nr. 101). Solcherart nicht-offiziellen Alltagstexten gehört ein besonderes Augenmerk W.s, und er hat viele von ihnen in seine Sammlung aufgenommen. Wer mit ihnen seine Lektüre beginnen will, sei verwiesen auf Nr. 014 »Gespräch beim Wein zwischen König und Gesandten« oder auf den ungelösten Krimi: Nr. 087 »Ein Attentat von sutäischen Söldnern auf Šerdān (Sarden)-Söldner in Byblos«.
Im Unterschied zu allen gängigen Sammlungen außerbiblischer Texte zum Alten Testament hat W. den Einzeltexten jeweils einen längeren Abschnitt vorangestellt, in dem er den geschichtlichen Rahmen aufspannt. Zwar gibt er dort durchweg einen generellen Verweis auf H. Donner oder K. Veenhof, und die Leserinnen und Leser werden gebeten, erst einmal deren Darstellungen durchzuarbeiten. Aber was W. dann als eigene Hinführung zu den Texten bietet, geht weit darüber hinaus und ist sachlich so komprimiert, dass jeder Leser, jede Leserin, diese Passagen bis in die Fußnoten hinein gründlichst studieren sollte.
Dass größte Gelehrsamkeit auch höchst unterhaltsam sein kann, erweist W. bis in die Deutung von Schimpfwörtern. In der berühmten Petition der Mitglieder der judäischen Garnison in Elephantine an ihren Herrn, den Statthalter der Provinz Jehud: Bagawahya (frühere Editionen meistens mit der Namensform »Bagoas«), beklagen sie sich über den persischen Beamten W(a)idranga, der mit einem Brief seinen Sohn ermächtigt hatte, im Verein mit den Ägyptern den Jaho-Tempel der Juden in Elephantine zu zerstören. So heißt es dort (Nr. 285, Z. 15 f.): »Und als derartiges getan worden war, trugen wir samt unseren Frauen und Kindern Trauergewänder und fasteten und beteten zu Yaho, dem Herrn des Himmels, der uns über jenen W(a)idranga, die Kanaille, triumphieren ließ«. Dazu bietet W. eine Fußnote (482, Anm. 182). Sie lautet: »Das Wort klby’̉ sieht aus wie der (aramäische) pl(ural) emph(aticus) von klb ›Hund‹ und könnte mit der folgenden pluralischen Verbalform verbunden werden. Doch gäbe der Satz ›die Hunde entfernen die Fessel […] von seinen Füßen‹ keinen überzeugenden Sinn. So handelt es sich wohl um ein Nomen klbỷ ›hündisch, hundeartig; Kö­ter‹ (DSNI 510 s. v.) als Attribut zu […] jener W(a)idranga‹. Die Übersetzung mit ›Kanaille‹ (in der Bedeutung ›Schuft‹) versucht anzu­-deuten, dass das aramäische Schimpfwort eine Ableitung von klb ›Hund‹ darstellt (wie dt. Kanaille, franz. Canaille, ital. canaglia zu cane ›Hund‹).« Es gibt weitere, vergleichbar ergötzliche Passagen (vgl. 302, Anm. 48).
Nur stichwortartig seien noch einige Hinweise gegeben, zu welchen Perioden der Geschichte Israels und Judas in dieser Sammlung außerbiblischer Texte besonders viel Weiterführendes zu finden ist: zum Feldzug Šošenqs mit seiner langen Liste von Städten (227–238), zur Eroberung des Nordreiches Israel, nebst Belegen für de­portierte Israeliten in assyrischen Texten (296–325), zur politischen Konstellation am Ende des 6. Jh.s v. Chr., die zum Untergang Judas führte (403–424). Doch ebenso wichtig sind die Dokumente aus dem Alltagsleben in Israel und Juda, Abschnitt C. 13 (365–396).
Was ist noch zu sagen, wenn ein Meister sein Werk der Öffentlichkeit übergeben hat? Das Werk ist mit verschiedenen Indizes versehen, wobei allein die Bibliographie mehr als 120 Seiten um­fasst. Superlative, die zur Beschreibung großer Werke dienen, sind morgen schon verbraucht. Wer dieses Werk für einen sehr mode­-raten Kaufpreis erwirbt und eingehend liest – dem eröffnen sich Welten. Generationen werden hiermit auf die Höhe eines Wissens geführt, die sie sonst nirgends erreichen. Es mangelt dem Rezensenten an hinreichenden Worten. Es müsste eine Vielzahl von »Danke« gesagt sein wie »gratias ago«. Dies ist ein großes Buch!