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Ausgabe:

Oktober/2012

Spalte:

1050–1052

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Dozeman, Thomas B.

Titel/Untertitel:

Commentary on Exodus.

Verlag:

Grand Rapids/ Cambridge: Eerdmans 2009. XIX, 868 S. 23,0 x 15,5 cm = Eerdmans Critical Commentary. Kart. US$ 55,00. ISBN 978-0-8028-2617-6.

Rezensent:

Helmut Utzschneider

Der monumentale, über 800 Seiten umfassende Band ist ein Meilenstein der wissenschaftlichen Kommentierung des Buches Exodus. Bereits im Inhaltsverzeichnis wird deutlich, dass eingehende Information und differenzierte Diskussion zu erwarten sind. Nicht nur zum Buch Exodus als Ganzem, sondern zu jeder größeren Auslegungseinheit finden sich Einleitungen, in denen D. zunächst die jeweiligen Central Themes erschließt. Unter der Überschrift Authors entfaltet er dann die Literargeschichte. Nicht selten gehen dem Einblicke in die jeweilige Forschungsgeschichte (Research) voraus. Die Abschnitte Literary Structure schließen mit Gliederungen des Endtextes die Einleitungen ab und leiten zu den detaillierten Kommentierungen über. Diese sind sowohl in sprachlicher wie in sachlicher Hinsicht höchst inhalts- und ertragreich; insbesondere geht D. immer wieder auf altorientalische Texte und Konzepte ein. Der Rezensent hat davon, selbst an einem Exoduskommentar arbeitend, immer wieder dankbar gelernt.
Drei Merkmale heben den Kommentar besonders hervor: 1. Er zerlegt das Buch nicht in die traditionell mehr oder weniger festgelegten Perikopen, sondern legt es in größeren thematischen Einheiten mit jeweils eigenen Plots aus. 2. Es ist meines Wissens der erste Exodus-Kommentar, der für die diachrone Auslegung ein neueres Pentateuchmodell jenseits der Urkundenhypothese aufgreift. 3. D. reflektiert das Genre des Buches und bezieht zur Geschichtlichkeit des Exodus(buches) profiliert Position.
Zu 1.: Der erste Teil des Buches Exodus umfasst Ex 1,1–15,21, also die Exoduserzählung. Der Abschnitt »explores the power of Yahweh to be faithful to past promises by saving Israel and leading them to the promised land« (45). Ex 15,22–40,38 bildet den zweiten Teil. Er »describes the ways in which Yahweh is present with Israel in this world« (ebd.). Jeder der beiden Teile gliedert sich in je drei Großeinheiten, die D. Episoden (52) nennt: Den ersten Teil bilden die Episoden »Setting (1:1–2:25)«, »Characters (3:1–7:7)« und »Conflict (7:8–15:21)«, den zweiten die Episoden »Journey (15:22–18:27)«, »Revelation (19:1–24:11)« und »Sanctuary (24:12–40:38)«. So sehr diese Gliederung die Orientierung erleichtert und in der Sache vor allem für den zweiten Teil einleuchtet, so gibt sie doch auch Anlass zu Rückfragen. Beispielsweise fasst D. Plagenerzählung, Päsach- und Auszugsperikope sowie die Meerwundererzählung unter das eine Thema »Conflict« zusammen und gliedert dabei den Stoff in wiederum drei Erzählungen (Ex 7,8–10,20: »Initial Confrontation«; 10,21–14,31: Defeat of Pharaoh; 15,1–21: Celebration of Victory). Leitend für diese sehr großflächigen Gliederungen ist das Conflict/ War-Thema. Ob etwa die Päsachtexte in Ex 12 vorwiegend unter der thematischen Perspektive des Kampfes zwischen Gott und Pharao gesehen werden können, scheint dem Rezensenten fraglich. Oberflächenhafte Signale (etwa der Redeabschnitt Ex 11) kommen in ihrer Text gliedernden und Leser leitenden Funktion weniger zur Geltung. Dies gilt auch für die narrativen Bauformen. So geht der Spannungsbogen, der sich in der – von D. durchaus wahrgenommenen (158) – Leitwortverbindung der Wurzel NSL zwischen Ex 3,8 und 5,22 aufspannt, durch die Episodengliederung von Ex 3,1–7,7 verloren. Kurz: D.s Wahrnehmung des Textes ist m. E. etwas einseitig thematisch-tiefenstrukturell bestimmt und textanalytisch und narrativ bisweilen unterbestimmt.
Zu 2.: Die literargeschichtlichen Voraussetzungen und Grundlagen des Kommentars liegen jenseits des »breakdown of the Documentary Hypothesis« (36). Im terminologischen Anschluss an David Carr (vgl. 39) teilt D. den Text des Exodusbuches restlos auf eine »Non-P« und eine »P History« auf. Er vermeidet damit eine allzu kleinteilige Literarkritik, lässt aber keinen Zweifel daran, dass es sich um komplexe Größen handelt, die vielerlei Materialien einschließen (vgl. 39 bzw. 43) und auch in sich nicht aus einem Guss sein müssen. Ob der Begriff des Autors in diesem Zusammenhang angemessen ist, sei dahingestellt (vgl. auch 42, wo D. dem P-Autor einen »post-P redactor« hinzugesellt). In der Sache und im Hinblick auf ihre Datierung ist die Non-P History durch »its close relation to Deuteronomy and Deuteronomistic History« gekennzeichnet. Sie reicht von der Genesis bis in die Königebücher und kombiniert »the promise to the ancestors in Genesis with the story of the exodus from Egypt in Exodus–Deuteronomy« (40). Der Exodus der »Non-P History« steht also in Kontinuität zur Väterverheißung und ist somit eng mit dem »Jahwisten« John van Seters verwandt. Die P History stellt im Bereich Ex 1–14 den Exodus als »new creation« dar und bietet im Bereich Ex 25 ff. »an alternative vision of society to monarchical rule« (43). Für die Beziehung zwischen beiden Schichten hält D. fest, dass »the author of the P History is aware of and dependent upon the Non-P History«, gleichwohl handelt es sich dabei um »distinct bodies of literature« (42).
Die Spannung zwischen Abhängigkeit und Selbständigkeit der beiden histories bzw. ihrer Autoren ist für den Leser der Auslegungen nicht immer leicht zu bewältigen. Bisweilen hat man den Eindruck, dass P im Sinne einer Ergänzungsschicht zu Non-P zu verstehen ist, dass sie sich also nicht »distinct«, sondern komplementär dazu verhält (vgl. etwa 279: P subordiniert Non-P). Bisweilen werden die beiden Schichten aber auch scharf gegeneinander abgegrenzt, so als handle es sich um selbständige Urkunden im Sinne der »Documentary Hypothesis«. Z. B. sieht D. den »Conflict« in Ex 7,8–15,21 in zwei durchaus distinkten Stories erzählt: Die Version von Non-P spielt in der Wüste (obwohl Ex 13,20 streng genommen vom »Rand der Wüste« spricht) und hat den »Glauben Israels« zum Thema, während P das Land Ägypten zum Schauplatz hat und die Erkenntnis JHWHs durch die Ägypter thematisiert (vgl. 185). In dieser Spannung drückt sich m. E. freilich ein Dilemma aller redaktions- und kompositionskritischen Pentateuchmodelle aus, in­sofern diese zugleich »Tendenzkritik« der jeweils führenden Schicht bzw. ihrer »Autoren« und Auslegung des durch diese Schicht profilierten komplexen Textes zu leisten haben.
Zu 3.: In der Tradition Gerhard von Rads sieht D. das Exodusbuch in eine größere »story of salvation history« (9) eingewoben und bestimmt damit zugleich das Genre des Buches. Zwar unterscheidet D. Vätergeschichte und Exoduserzählung – ähnlich wie K. Schmid u. a. – als zwei unterschiedliche heilsgeschichtliche Konzeptionen. Freilich seien diese zu einer »master narrative« (20) zu­sam­mengefügt worden, und zwar – nun eher van Seters und Levin folgend – noch vor P.
Im Anschluss an van Seters vergleicht D. griechische und israelitische Geschichtsschreibung. »Ancient Israelite history writing shares with the Greek critical spirit in evaluating past tradition […] But the israelite historians do not eliminate the action of God in human affaires […] As a consequence the writing of the past be­-comes a story of God’s history of salvation toward the Israelites.« (25) In diesem Sinne ist das Buch Exodus »Heilsgeschichte«.
Freilich bleiben die konkreten geschichtlichen Bezüge der Exoduserzählung als Befreiungsgeschichte im Kontext Israel-Judas unter den Hegemonialmächten des 7.–4. Jh.s »unterbelichtet« und hinter der heilsgeschichtlichen Deutung des Exodusbuches weit zurück. Dabei lehnt es D. ab, einem historischen Kern des erzählten Exodusgeschehens nachzuspüren. »The story of the defeat of Pharaoh […] in the Red Sea is a cultic legend not history […] It speaks to an ongoing political reality in the life of Israel.« (30) Der Bezug zu Pithom lässt D. annehmen, dass der »author of the exodus« (31) frühestens in der späten Exilszeit anzusetzen ist.
Auch wenn der Rezensent kritische Anfragen an den Kommentar hat – im Ganzen ist D. ein großer Wurf gelungen, der die Auslegung des Buches Exodus nachhaltig beeinflussen wird.