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Ausgabe:

Oktober/2012

Spalte:

1041–1042

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Burkard, Dominik, u. Erich Garhammer [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Christlich-jüdisches Gespräch – erneut in der Krise?

Verlag:

Würzburg: Echter 2011. 315 S. 22,5 x 14,0 cm = Würzburger Theologie, 5. Kart. EUR 24,80. ISBN 978-3-429-03423-8.

Rezensent:

Ralf K. Wüstenberg

Das christlich-jüdische Gespräch durchläuft immer wieder Phasen der Euphorie, aber auch zeitweiliger Abkühlungen und Verhärtungen. Eine gewisse Euphorie erlebte der Dialog z. B. im Jahr 2000 durch das Dokument Dabru emet, eine anerkennende jüdische Reaktion auf das Bemühen der christlichen Kirchen, ihr Verhältnis zum Judentum auf eine neue theologische Basis zu stellen. Zu Abkühlung, ja Verhärtung im jüdisch-christlichen Gespräch führten auf katholischer Seite zwei Ereignisse des Jahres 2008: die neue Fassung der Karfreitagsbitte »Für die Juden« sowie die Gedenkfeiern zum 50. Todestages Pius XII. Im Januar 2009 kam die öffentliche Empörung hinzu, die die Aufhebung der Exkommunikation gegen die Führer der Piusbruderschaft, unter ihnen der Holocaust-Leugner Williamson, auslöste.
Vor diesem Hintergrund veranstaltete die Katholisch-Theolo­gische Fakultät Würzburg im Wintersemester 2008/2009 die Ringvorlesung »Christlich-jüdisches Gespräch – erneut in der Krise?« und dokumentierte (um thematisch passende Beiträge ergänzt) die Vorträge unter gleichnamigem Titel. Im Mittelpunkt des über 300 Seiten starken Bandes stehen kritisch würdigende Beiträge zu drei Themenschwerpunkten: erstens zur Haltung des Vatikans und insbesondere Pius XII. während des Nationalsozialismus; zweitens zum »Paradigmenwechsel in der katholischen Sicht des Judentums« (8) durch das 2. Vatikanische Konzil mit seiner Erklärung »Nostra Aetate«; schließlich zu der im Band kontrovers diskutierten Frage, ob im Pontifikat Benedikts XVI. eine Kehrtwende in der katholisch-jüdischen Beziehung auszumachen sei.
Unter dem Titel »Pius XII. – der ›schweigende‹ Papst« bemüht sich Dominik Burkard um eine differenzierte Betrachtung angesichts einer populistisch geführten Debatte. Er analysiert die gängigen Urteile über Pacelli und schließt seinen umfangreichen Beitrag mit einigen Thesen (61–75). So vertritt Burkard z. B. die These, dass Pius XII. im Gegensatz zu seiner öffentlichen Zurückhaltung »in seinen diplomatischen Noten an die deutsche Reichsregierung nicht mit Kritik« sparte (72). Als Beispiel führt Burkard das große Promemoria vom 14. Mai 1943 an, in dem die Legitimationsprinzipien des nationalsozialistischen Regimes (wie das der Verabsolutierung des Rasseprinzips und seiner Proklamation als Religionsersatz) kritisch angesprochen werden.
Der Neutestamentler Wolfgang Klausnitzer spiegelt die Aussagen von »Nostra Aetate« an der ältesten christlichen Reflexion des Verhältnisses von Israel und Kirche bei Paulus. Nach einer sehr differenzierten exegetischen Betrachtung wird zunächst grundsätzlich festgestellt, dass in Nostra Aetate »jede Form des Antijudais­mus und insbesondere namentlich der Antisemitismus verurteilt wird (NA 4,7)« (180). Weiter werden Übereinstimmungen von Nostra Aetate mit der paulinischen Israeltheologie hervorgehoben (vgl. 187–189), wie der gemeinsame Bezug zur Abrahamsverheißung (NA 4,1), die bleibende Treue Gottes zu Israel (NA 4,3 und Röm 9,4) oder die endzeitliche Einigung aller Völker (einschließlich Israels; NA 4,4 und Röm 11,25–27). Schließlich wird Nostra Aetate textkritisch verglichen mit vorkonziliaren Texten wie dem »Weihegebet des Menschengeschlechtes an das Herz Jesu«, das von Leo XIII. stammt und in das unter Pius XII. die Einfügung von dem »ehedem« auserwählten Volk Israels erfolgte. Johannes XXIII. hat diese Sätze streichen lassen. In der Karfreitagsliturgie von 1959 heißt es: »Lasst uns auch beten für die Juden, zu denen Gott, unser Herr, zuerst gesprochen hat: Er bewahre sie in der Treue zu seinem Bund« (zit. 144). Papst Benedikt XVI. setzt den Akzent in seiner Karfreitagsbitte 2008 anders: »Lasst uns auch beten für die Juden, auf dass Gott, unser Herr, ihre Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus als den Retter aller Menschen erkennen« (zit. 145).
Eine Fortführung der Grundgedanken von Nostra Aetate bot das im Jahr 2001 von der päpstlichen Bibelkommission veröffentlichte Dokument »Das jüdische Volk und seine Heilige Schrift in der christlichen Bibel«. Theodor Seidl (191–210) hält das Dokument für einen »Markstein« im jüdisch-christlichen Dialog und würdigt es aus dem Blickwinkel des alttestamentlichen Wissenschaftlers, besonders vor dem Hintergrund der jahrhundertelang vorherrschenden antijüdischen Hermeneutik der Substitution: Das Neue Testament tritt an die Stelle des Alten und ersetzt dieses. Statt von Substitution wird von »Progression« im päpstlichen Dokument ge­sprochen. Diese bestehe in der »universale[n] Öffnung«, wonach die »Herrschaft Gottes« »nicht mehr an Israel gebunden, sondern offen für alle, auch für die Heiden« sei (208). Seidl kritisiert u. a. am päpstlichen Dokument, dass die »Öffnung zu den Heiden« bereits »ein Markenzeichen« »der exilischen und nachexilischen eschatologischen Prophetie eines Deutero- und Tritojesaja« sei (208). Mit der Erfahrung von Exil und Diaspora artikuliere sich »der Glaube an den Gott Israels als den universalen Gott der Welt« (ebd.). Die Universalität des Heils kennzeichne also bereits Israel und nicht erst die frühchristlichen Gemeinden. Der Kirchenhistoriker Franz Dünzl widmet sich in seinem Beitrag ebenfalls dem päpstlichen Dokument. Dabei erinnert er aus historischer Perspektive an das verhängnisvolle Erbe des antik-christlichen Antijudaismus, die christliche Adversus Iudaeos-Literatur, die seit der Antike aus dem Alten Testament Argumente gegen das Judentum sammelte, an die durch eine fortschreitende ›Hellenisierung‹ des Christentums immer größer werdende Distanz zu den jüdischen Schriften. Hieraus sei zu verstehen, wie es dazu kommen konnte, dass Christen den ersten Teil der Bibel neu und anders lesen als das jüdische Volk.
Der letzte Teil des Bandes widmet sich dem Thema der Fürbitte für die Juden am Karfreitag. Der Band nimmt einen Beitrag von Erich Zenger auf, der in seiner Dankrede zur Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille im Jahr 2009 dafür plädierte, die Fürbitte für die Juden am Karfreitag mit einer Bitte um Schuldvergebung für die Christen zu verbinden. Heinz-Günter Schöttler sieht im Pontifikat Benedikts XVI. eine Kehrtwende in den jüdisch-christlichen Beziehungen und zeigt dies an verschiedenen Stationen des Wirkens von Ratzinger auf. »Mit der neuen Karfreitagsfürbitte von 2008 steht das Thema ›Judenmission‹ wieder auf der kirchenoffiziellen Agenda oder ist zumindest die theologische Grundlage für die Wiederaufnahme der Judenmission.« (279)
Insgesamt gibt der Band einen erfreulich offenen und äußerst differenzierten Einblick in die aktuelle innerkatholische Debatte zum christlich-jüdischen Dialog. Das Buch zeigt einmal mehr, dass der lebendige theologische Diskurs weit über Konzilstexte hinausführt.