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Ausgabe:

März/1996

Spalte:

250–252

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Beuken, W. A. M. [Ed.]

Titel/Untertitel:

The Book of Job.

Verlag:

Leuven: University Press; Leuven: Peeters 1994. IX, 462 S. gr. 8o = Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium, 114. Kart. BEF 2400,­. ISBN 90-6186-622-7 u. 90-6831-652-4.

Rezensent:

Hans Strauß

Der Band stellt mit 14 englisch, deutsch und französisch geschriebenen Aufsätzen den literarischen Niederschlag des 42. Löwener "Colloquium Biblicum" über das Buch Hiob vom 24.-26. August 1993 dar. Der Hgg. Beuken sieht vier wesentliche Sachergebnisse des Colloqiums:

1. Historisch-kritische Forschung kann nicht länger die These einer unterschiedlichen Entstehung des Prosarahmens und der Dialogdichtung des Hiobbuches bestätigen.

2. Je mehr der integrale Dialog zutage tritt können sich redaktionsgeschichtliche Untersuchungen auf speziellere Abschnitte des Buches wie die Elihureden, (nur) einige Abschnitte des Gespräches zwischen Hiob und seinen Freunden, Kap. 28, die zwei Gottesreden und die zwei Antworten Hiobs konzentrieren.

3. Die literarischen Gattungen und die Sprache des Hiobbuches weisen immer eindeutiger in den Raum weisheitlicher Denkart und Ausdrucksweise und fordern durch ihre verschiedenen, im Kontext oft gegensätzlichen Verstehens- und Deutungsmöglichkeiten mehr als alle anderen biblischen Bücher die persönliche Stellungnahme (und Entscheidung) des Lesers heraus ­ (der Rez. hat jetzt in BK XVI/2 für diese offene, nicht ein für allemal auf wenige gleichbleibende Positionen zu beschränkende weisheitliche Diskussionsweise die Bezeichnung "Werkstattgespräch" vorgeschlagen).

4. Schließlich meint B., Untersuchungen würden zeigen, daß die Hintergrundperspektive der Partien des Hiobbuches in großem Umfang als Literatur des Zweifels ("sceptical literature") zu charakterisieren wäre, als ironische oder sarkastische Auffassung.

Ohne die Grundstimmung dessen, was man in Konfrontation mit (unerklärlichem) menschlichem Leiden und der Rätselhaftigkeit einer Weltordnung immer wieder zu Recht als Krise der Weisheit nach dem Buch Hiob erkannt hat, zu leugnen, sei jedoch hier schon einmal eine kritische Anmerkung erlaubt: Bisher können auch diesbezügliche Untersuchungen m.E. nicht davon überzeugen, gerade die offenen, immer wieder neu ansetzenden Stellungnahmen im Buch Hiob (s.o. 3) in toto mit einem System der Skepsis zu überziehen, so daß z. B. auch redliche Bekenntnisse des einen oder der anderen ironisch oder sarkastisch verstanden werden müßten und die Dialektik eines Zweifels, der gerade in der Durchführung des Buches Hiob quasi über sich selbst hinaus Hoffnung birgt, letzten Endes überhöht und aufgelöst würde.

Bezeichnenderweise (s.o. 3) beginnt D. J. A. Clines mit der Frage nach dem Sinn (der Aufzeichnung) des überlieferten Hiobbuches überhaupt und der Betroffenheit auch der heutigen Leser: "What the book of Job does.... is to inveigle you into a willing (or unconscious) suspension of disbelief" (20) H. P. Müller interpretiert noch einmal die Hiobrahmenerzählung und ihre altorientalischen Parallelen als Paradigmen einer weisheitlichen Wirklichkeitswahrnahme. B. erhebt aus den sprachlichen Beziehungen zwischen Hi 3, Hi 4-5 und 6-7 Hiobs Verwünschung als "Wiege" einer neuen religiösen Redeweise über menschliches Leiden im Verhältnis zu Gott und der Welt. J. E. Hartley möchte am Gefälle der Hiobreden (From Lament to Oath) zeigen, wie das Äußern der Klage Vertrauen, Mut und Gerechtigkeitssinn zugute kommt. J. Vermeylen versucht, den ganzen vielschichtigen Komplex des Hiobbuches nicht individuell psychologisch zu verstehen, sondern bestimmten zeitgenössischen, radikalen oder gemäßigten Gruppierungen der Jerusalemer Gemeinde in ihren Auseinandersetzungen nach angenommenen Redaktionen zuzuordnen. L. G. Perdue will zeigen, wie sich gerade die traditionellen Metaphern theologischer Anthropologie unter dem Druck der Krise bei Hiob (Kap. 3;6-7; 9.10) verändern: "Unlike those who offer laments in the Psalter, Job does not expect or await divine redemption". (156) W. L. Michel untersucht wiederum auf dem Hintergrund der nordwestsemitischen Studien M. J. Dahoods Hi19,25-27 ohne Änderung des masoretischen Bestandes und kommt zu dem Egebnis, daß Hiobs Verzweiflung aus seinem unverrückbaren Vertrauen auf Gott resultiert, dieser würde ihn endlich rechtfertigen, ohne daß es gegenwärtig einen einzigen Anhalt für solches Vertrauen gäbe. Der nachdenkliche Aufsatz von J. v. Oorschot erkennt Hi 28 als zur Überwindung einer generalisierten, durch zunehmende Erfahrung in Frage gestellte Spruchweisheit bestimmt und als Einladung zu einer theologisch begründeten Skepsis, die sich als Gottesfurcht des Lesers darstellt. J. Lévéque hebt zu Hi 38,1-42,6 hervor, daß sich erst zum Schluß Hiobs tatsächliches Gottesverhältnis jenseits aller bisherigen Reden erwiese, und E. J. v. Wolde meint, daß Hi 42,1-6 eine innere Umkehr Hiobs voraussetze, der die Dinge einmal mit den Augen Gottes habe sehen können, und sich nun seinerseits der Zukunft zuwenden könne.

N. F. Marcos nimmt Stellung zur Septuaginta-"Ausgabe" des Buches Hiob und urteilt, daß hier "griechisch" verändert und dem Horizont der hellenistischen Periode angepaßt worden sei, die Hauptfragen aber bewahrt worden wären und vor allem Antworten aus den hebräischen Weisheitstraditionen kämen, zugunsten von Gottes Souveränität noch verstärkt.

Für Hiob in den Targumen meint C. Mangan, sie spiegelten i.g. die jeweilig zeitgenössische ­ Komplexität der rabbinischen Interpretation Hiobs, und J. Weinberg zeigt an "Job versus Abraham ­ The Quest for the Perfect God-Fearer in Rabbinic Tradition", wie Hiob und Abraham einerseits beide als Beispiele für Glauben herangezogen werden können, andererseits aber der Unterschied vor allem im (an-)klagenden Verhalten gegenüber Gott zuungunsten des ersteren durchaus vermerkt wird. Die Reihe der größeren Beiträge wird abgeschlossen durch Uberges Hiob in Lateinamerika, der ausführt, daß vor allem die dunklen Seiten nicht nur menschlichen Leidens in der Welt, sondern auch des biblischen Gottes "aussätzig" heute dort provozierten.

Eine Reihe kleinerer Einzeluntersuchungen (Offered Papers) sind noch dem Band beigegeben. So werden untersucht die rhetorischen Fragen der Strophen in Hi 11 und 15, die Dialogstruktur von Kap. 21 (ob es sich um angenommene Zitate oder nur grammatisch-syntaktische Signale handele); M. Witte trägt noch einmal anhand von Hi 25 seine Redaktionshypothese vor (s. meine Rezension in ThLZ 120/1995, 238-240), und H. M. Wahl spricht nicht unbegründet zu Hi 32-37 (s. dazu die Rezension v. S. Wagner in ThLZ 120/1995, 647-649) vom "Evangelium" Elihus. M. Oeming stellt eine (überlieferungsgeschichtliche) Beziehung zwischen Hi 31 und dem Dekalog heraus, wozu vor allem das erstere formstrukturell allerdings noch gründlicher hätte erfaßt werden müssen. W. Vogels möchte Job 1,20-22; 2,8-10 ­ und von daher weiteres ­ als "empty pious slogans" verstehen, und H. Holman will Hi 19,25 präzise und parallel übersetzt wissen: "And I know my Redeemer is the Living, and the ’Last’ will stand against dust".

Eine kleine Beobachtung zu Hi 15,4.5 und eine kurze Abhandlung zu Kap 26 als "an Orphan Chapter" sind von dem originellen und ideenreichen leider inzwischen verstorbenen und von der Hiobforschung noch gar nicht ausreichend zur Kenntnis genommenen Interpreten David Wolfers. J. Day geht noch einmal der Frage nach, wieso Hiob als ­ nachexilisch-zeitgenössisch jedenfalls kaum geliebter ­ Edomiter charakterisiert werden konnte.

J. Joosten untersucht kurz die (tatsächlichen) Beziehungen zwischen dem Buch Hiob und Jer 45 sowie IKön 19, und F. V. Reiterer weist mit einer ganzen Reihe von Stellen (erneut) nach, daß Ben Sira Hiob gut gekannt hat, aber sachinhaltlich offenbar keine engeren Verbindungen zu Hiob besitzt. Eine Septuagintaerwägung zu Hi7,8 von M. Gorea und ein Vergleich zwischen Hiob und dem Testament des Hiob von C. T. Begg schließen den Band, der auch ein Abkürzungsverzeichnis, einen Autorenindex und, ebenso dankenswert für einen solchen Sammelband, ein Bibelstellenregister mitführt.

Insgesamt bietet der Band einen äußerst anregenden Einblick in den gegenwärtigen Stand vor allem der außerdeutschen Hiob-auslegung mit ihrem hohen existentiellen Engagement und hermeneutischem Interesse. Unabhängig davon, welche Ergebnisse man im einzelnen teilen und in welche Perspektiven man sich hineinversetzen kann, lassen auch die hier und da beigegebenen, kleinen Literaturverzeichnisse und Angaben zugleich den recht bedauerlichen Mangel erkennen, daß diese Auslegung mit der deutschen Hiobexegese (selbstverständlich auch umgekehrt) gegenwärtig kaum im Gespräch ist.