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Ausgabe:

September/2012

Spalte:

1016–1017

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Erarb. v. P. Deselaers, M. Haudel, M. Kappes, A. E. Kattan, E. Neugebauer, D. Sattler u. K. P. Voß in Verbindung m. d. ACK – Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Nord­

Titel/Untertitel:

Umkehr ökumenisch feiern. Theologische Grundlagen und Praxismodelle.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt; Paderborn: Bonifatius 2011. 244 S. m CD-Rom. 8°. Geb. EUR 19,80. ISBN 978-3-374-02925-9 (Evangelische Verlagsanstalt); 978-3-89710-476-1 (Bonifatius).

Rezensent:

Jörg Neijenhuis

Dass Umkehr und Versöhnung ein genuin ökumenisches Anliegen sind, wird auf mancherlei Weise verdeutlicht: zum einen wegen der kirchentrennenden Lehrdifferenzen, die nicht unbedingt dazu beitragen, das Evangelium hell und deutlich erstrahlen zu lassen, zum anderen wegen der zwischenmenschlichen Unzulänglichkeiten, die nach Umkehr und Versöhnung rufen – und überhaupt: Die Beziehung zwischen Christen und Gott bedarf immer wieder der menschlichen Umkehr und des versöhnenden Zuspruchs Gottes. Dieses Buch nimmt also Theorie und Praxis in den Blick und ist dementsprechend in zwei Teile gegliedert.
Der erste Teil ist den theologischen Fragen gewidmet: Im 1.Ka­pitel wird zunächst allgemein in die Fragestellung eingeführt; im 2. Kapitel (M. Kappes) werden Umkehr und Versöhnung im ökumenischen Kontext betrachtet, der alle Kirchen betrifft: Wenn sie immer wieder zu Jesus Christus umkehren und sich ihm nähern, wird die Einheit der Kirche immer deutlicher werden, und Versöhnung ist möglich. Es geht darum, das Grundanliegen der Ökumene, eine geistliche Erneuerung der Kirche, wieder in den Mittelpunkt der ökumenischen Entwicklung zu rücken. Das 3. Kapitel (P.Deselaers) hebt die biblischen Grundlagen von Umkehr und Versöhnung hervor: die prophetische Kritik an Missständen und die Verkündigung Jesu, Tod und Auferstehung Jesu als Grundlage der Sakramente Taufe und Abendmahl; schließlich werden bib­-lische Feierformen bedacht sowie die Differenzierung des Sündenbegriffs. Das 4. Kapitel (D. Sattler) nimmt sich der theologiegeschichtlichen Entwicklung von Umkehr und Versöhnung von der nachbiblischen Zeit bis zur Gegenwart an. Es geht um die »zweite Buße«, um Beichtrituale im Mittelalter, um die Reformanliegen des 16. Jh.s – der Reformatoren und des Tridentinums und um die Erneuerungsbemühungen des 20. Jh.s. Das 5. Kapitel ist ganz den konfessionellen Zugängen gewidmet: für die orthodoxe Kirche ausgeführt von A. E. Kattan, für die römisch-katholische Kirche von D. Sattler, für die evangelischen Kirchen von M. Haudel, für die freikirchliche Perspektive von K. Voß. Mit dem 6. Kapitel werden kritische Rückfragen an diese Konzepte und geschichtlichen Entwicklungen gestellt: Wie ist es um die Sakramentalität dieser kirchlichen Feiern bzw. der Buße bestellt? Wie verhalten sich die menschlichen Vorbedingungen von Umkehr, Glaube, Reue, Be­kenntnis und Bußwerk zur Vergebung durch Gott? Und wie ist es bestellt um die Wirksamkeit der amtlichen Absolution? Abgeschlossen werden diese Kontroverspunkte mit anthropologischen Erkenntnissen, indem auch die Erfahrungen der Menschen mit den kirchlichen Traditionen aufgegriffen werden.
Der zweite Teil des Buches stellt vier Grundmodelle für Umkehr und Versöhnung vor. Dem Buch ist auch eine CD-ROM beigegeben, die diese Grundmodelle zur eigenen Bearbeitung bereithält. Beim ersten Grundmodell handelt es sich um eine Taufgedächtnisfeier am Beispiel des Themas Schöpfung (Voß). Es folgt ein Grundmodell für einen Bußgottesdienst am Beispiel des Themas Versöhnung der Kirchen (Kappes). Das dritte Grundmodell ist eine Liturgische Nacht der Versöhnung am Beispiel des Themas individuelle Schuldverstrickung (Sattler). Das letzte Grundmodell enthält eine Tagzeitenliturgie mit dem Thema Frieden und Gerechtigkeit (Deselaers). Im Anschluss wird noch weiteres Textmaterial zur Auswahl geboten. Alle Modelle sind grundlegend ökumenisch orientiert und gehen zum Teil auf ökumenische Erfahrungen zurück, wie z.B. die Taufgedächtnisfeiern, die in manchen Gemeinden ökumenisch begangen werden und auch schon auf Kirchentagen gefeiert wurden. Bußgottesdienste werden allerdings selten ökumenisch gefeiert, wohl auch, weil dabei die konfessionelle Spaltung unabdingbar zum Thema würde.
Das Buch stellt in bemerkenswerter Knappheit ökumenische Anliegen und konfessionelle Unterschiede von Umkehr und Versöhnung in Geschichte und Gegenwart vor und macht darüber hinaus sogar Vorschläge für Bußfeiern – auch wenn sie zum Teil aus der Literatur übernommen worden sind –, um die Zukunft in den Blick zu nehmen. Wenn die Lebenssituation der Menschen heute stärker in den Mittelpunkt gestellt worden wäre und nicht jene Fragestellungen, die zu kontroversen theologischen Antworten geführt haben, könnte sogar die moderne Lebenswelt den Dialog zwischen den Kirchen fördern. Denn es könnten eigene Erfahrungen und nicht nur Lehrinhalte zum Thema werden und die ökumenische Diskussion würde in ein neues Licht gestellt. Allerdings würde sich dann auch die Frage ergeben, ob jene Kontroversen noch in der Lage sind, auf Fragestellungen, die aufgrund des heutigen lebensweltlichen Kontextes neu entstehen, Antworten zu geben. Theologen, Historiker etc. haben an einer geschichtlichen und theoretischen Aufarbeitung sicherlich großes Interesse. Die Gemeindemitglieder, die nicht wissenschaftlich-theologisch tätig sind, stehen aber aufgrund ihrer Biographie, ihrer Interessen und Fragen vor ganz anderen Herausforderungen, die man durchaus auch ökumenisch beantworten könnte.