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Ausgabe:

September/2012

Spalte:

1013–1014

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Maaßen, Thorsten

Titel/Untertitel:

Das Ökumeneverständnis Joseph Ratzingers.

Verlag:

Göttingen: V & R unipress 2011. 406 S. 24,0 x 15,5 cm = Kirche – Konfession – Religion, 56. Geb. EUR 53,90. ISBN 978-3-89971-798-3.

Rezensent:

Martin Hailer

Die bei Hans-Martin Barth (Marburg) entstandene Dissertation wurde vom Landesverband Baden des Evangelischen Bundes 2011 mit dem Heinrich-Bornkamm-Preis ausgezeichnet. Ihr Verfasser Thors­ten Maaßen ist Pfarrer in Ettlingen. Er unternimmt eine Sichtung aller Werke Joseph Ratzingers bis zur Papstwahl im April 2005 auf ihre ökumenische Programmatik und auf Themen und Engagements Ratzingers in Einzelfragen der Ökumene hin. Im 1. Kapitel wird aus der Forschungsliteratur zu Ratzinger, von aktuellen Kontroversen und aus seiner Biographie berichtet, das 2. Kapitel sichtet im chronologischen Durchgang ökumenisch relevante Aspekte aus Ratzingers Werk. Kapitel 3 und 4 besprechen die Frage nach der Einheit der Kirche und die nach der Ekklesialität als für sein Ökumeneverständnis zentrale Aspekte. Die kürzeren Kapitel 5 und 6 summieren ungelöste Kontroverspunkte und geben ein kritisches Resümee.
Die genannte Sichtung in Kapitel 2 ist vor allem durch Einblicke in Ratzingers Qualifikationsschriften interessant, die weithin wenig bekannt sind. Sie und alle anderen in diesem Kapitel angesprochenen Texte werden in den folgenden Kapiteln wieder herangezogen.
Im Kapitel zu Ratzingers Konzept der Einheit der Kirche zeigt der Vf., dass Ratzinger von Anfang an die fehlende Einheit der Kirche beklagt und u. a. heilsgeschichtlich zu verstehen sucht (145 f.). Auch an seine scharfe Kritik am Rahner-Fries-Plan wird erinnert (187 ff.). Der Vf. konstatiert, dass Ratzingers ökumenisches Engagement ge­gen Ende seiner Kardinalszeit zurückgegangen ist, ohne dass dafür ein harter theologischer Grund ersichtlich wäre, so dass man wohl auf eine gewisse Ermüdung in Sachen Ökumene zu schließen hat (199–201).
Im Kapitel zur Frage, was nach nach Ratzinger eine Kirche zur Kirche mache, wird seine Sicht des Verhältnisses zur Orthodoxie (232 ff.) und zur anglikanischen Kirchengemeinschaft geschildert (253 ff.). Hilfreich ist eine detaillierte Übersicht über seine durchaus nicht deckungsgleichen Interpretationen der Konzilsaussage, dass die Kirche Christi »subsistit in« der römisch-katholischen Kirche (214–228). In anderen Feldern, etwa der in Ratzingers Augen bis auf Weiteres nicht lösbaren Herrenmahlsproblematik (334 ff.), bleibt nur das Konstatieren ungelöster Kontroversen.
Die Einzelschilderungen summiert Vf. dahingehend, dass Ratzinger ein engagierter ökumenischer Theologe war und bis zum Ende des Untersuchungszeitraums ist. Verschoben habe sich allerdings die Hauptausrichtung, die sich in der frühen Zeit gegen eine Identifizierung der Kirche Christi mit der römischen und später gegen die Idee wendet, alle Konfessionskirchen, einschließlich der römisch-katho­lischen, seien lediglich Teile der einen Kirche. (357) Gerade auch gegen Vereinnahmungen aus kirchenpolitisch konservativen Kreisen der eigenen Konfession sollen die Ansätze des Theologen im Papstamt, der »überzeugter römisch-katholischer Ökumeniker« (366) ist, ge­wahrt werden.
Rückfragen zu drei Aspekten: 1. Es wird auffallend wenig Sekundärliteratur verarbeitet. Der Bericht über die Ereignisse und Themen zwischen der Erstellung der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigung und ihrer schlussendlichen Unterzeichnung z. B. kommt auf 25 Seiten mit lediglich drei Hinweisen auf wissenschaftliche Sekundärliteratur aus; entsprechend ist dann freilich der Neuerungswert. Auch findet die seit dem Deutschlandbesuch des Papstes von 2006 lebhafte evangelische wie katholische Debatte keine Erwähnung, obwohl in ihr in reichem Maße auf Ratzingers Werk vor der Papstwahl zurückgegriffen wird.
2. Nicht selten greift der Vf. zu psychologischen Deutungsmus­tern, wenn es darum geht, Motive in Ratzingers Denken zu ver­-stehen, mitunter auch sehr kritisch (78.136). Der Vf. vernetzt seine Vermutungen jedoch nicht mit autobiographischen Äußerungen Ratzingers und maßt sich also erhebliche Deutungshoheit über eine Person an, die er lediglich zweimal getroffen hat (17).
3. Der Vf. weist vielfach auf Differenzierungen im Lager der katholischen Theologie hin, wofür bekannte Namen wie Hans Küng, Walter Kasper, Hermann Häring und Leonardo Boff stehen. Die evangelische Seite jedoch wird mit Formulierungen wie »Aus evangelischer Sicht« (72), »Ein evangelischer Theologe wird sich für … aussprechen« (353 f.), »wollen ja die evangelischen Kirchen« (359) tendenziell als klar abgrenzbare Einheit dargestellt. Das jedoch unterschlägt das Phänomen der Binnendifferenzierung.
Die Arbeit beschreibt facettenreich Themen des ökumenischen Dialogs, in denen Joseph Ratzinger engagiert war. Darin ist sie hilfreich, gerade auch angesichts oft zu hörender Kritik, der Papst sei in Sachen Ökumene allenfalls an deren Hemmung interessiert. Das Buch gibt aber wenig Einblick in das theologische Argumentationsgefüge hinter dieser Themenvielfalt. So ist der Hinweis auf die starke Kontinuität zwischen Christologie und Ekklesiologie gerade neun Zeilen lang (144), ähnlich steht es mit der eucharistischen Grundlegung der Ekklesiologie (85), die aber beide bestimmende Kontinuitäten über alle Jahrzehnte seines Wirkens sind. Die Leser erfahren ausführlich, was Ratzinger in der Ökumene interessiert, weit weniger jedoch, warum das so ist. Evangelische Wahrnehmungen des ›warum‹ liegen in nicht wenigen Einzelbeiträgen vor, die bis auf wenige Ausnahmen (44–48) aber nicht zu Wort kommen. Eine diesbezügliche Gesamtdarstellung ist also weiterhin ein De­-siderat.