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Ausgabe:

März/1996

Spalte:

241–244

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Beattie, D. R. G. and M. J. McNamara [Ed.]

Titel/Untertitel:

The Aramaic Bible. Targums in their Historical Context.

Verlag:

Sheffield: JSOT Press 1994. 470 S. 8o. = Journal for the Study of the Old Testament, Suppl. Series 166. Lw. £ 40,­. ISBN 1-85075-454-3

Rezensent:

Rüdiger Bartelmus

Der 166. Band der ausgesprochen produktiven Reihe JSOT.S bietet den Kongreßbericht einer Tagung der Royal Irish Academy zu dem Thema, das auch den Titel des Bandes bildet. Der Kongreß fand 1992 in Dublin statt und führte zur Gründung einer "International Organisation for the Study of Targums" (IOST), die künftig ­ im Kontakt mit der IOSOT ­ in einem dreijährigen Rhythmus Zusammenkünfte interessierter Wissenschaftler organisieren will. Der erste Kongreß in dieser Kombination fand am 13./14. Juli 1995 in Verbindung mit dem XV. IOSOT-Kongreß in Cambridge statt.

Wie bei Sammelbänden üblich, wird nach dem Inhaltsverzeichnis (5-8), das die insgesamt 26 Aufsätze sieben großen Themenbereichen zuordnet, zunächst in einem "Preface" der Hgg. erklärt, wie es zu dem Kongreß und zur Sammlung der durchaus heterogenen Aufsätze gekommen ist (9-11). Interessant ist hier v.a. der Hinweis darauf, daß die Targumforschung in Irland eine weitaus größere Rolle spielt als in anderen Staaten (mit Ausnahme von Israel), was zur Folge hat, daß das große "Michael Glazier Bible Project" ­ die Übersetzung aller Targume ins Englische ­ zur Hälfte von (nord-)irischen Autoren bestritten wird; bemerkenswerterweise ist auch der wirtschaftliche Initiator dieses großen Projekts, Michael Glazier (ein Verlagsbuchhändler aus Wilmington, Delaware), ein Ire. Ein Abkürzungsverzeichnis (12-13), sowie die "List of Contributors" (15-16) schließen den einleitenden Teil ab. Am Ende finden sich die üblichen Indices zu den zitierten Stellen (450-464) und zu den zitierten Autoren (465-470).

Angesichts des knappen zur Verfügung stehenden Raumes ist es natürlich nicht möglich, alle hier gesammelten Aufsätze gründlicher zu referieren; einzelne Hinweise auf dem Rez. wichtig scheinende Aspekte müssen genügen. Im ersten Teil, der dem Thema Targum-Texte und Editionen gewidmet ist, finden sich fünf Aufsätze: M. L. Klein, Cairo Genizah Targum Texts: Old and New (18-29), Stefan C. Reif, The Cairo Genizah and its Treasures with Special Reference to Biblical Studies (30-50), Luis Díez Merino, Targum Manuscripts and Critical Editions (51-91), Robert P. Gordon, Alexander Sperber and the Study of the Targum (92-102), Martin McNamara, The Michael Glazier-Liturgical Press Aramaic Bible Project: Some Reflections (103-115).

M. L. Klein zeichnet in markanten Strichen die Geschichte der Wahrnehmung der über 200.000 Fragmente aus der Kairenser Genizah nach, von denen rund zwei Drittel in der Cambridge University Library gesammelt sind, während sich der Rest v.a. auf die Bibliotheken in Oxford, Leningrad, Paris und New York verteilt. Von den Fragmenten aus der Cambridge Genizah Collection ist erst rund ein Viertel analysiert; darunter lassen sich 1.600 als Teile von Targumen identifizieren (1,1% des Gesamtbestands), 30.000 repräsentieren Texte aus der hebräischen Bibel (21%). ­ S. C. Reif bietet demgegenüber einen Überblick über die Mannigfaltigkeit der in der Genizah gefundenen Texte. Neben Handschriften der hebräischen Bibel bzw. der griechischen Übersetzungen und der Targume fanden sich u.a. Fragmente der Mekhilta zu Exodus und zu Deuteronomium, der Sifre zu Numeri und das sog. Damaskus-Dokument, dessen hohes Alter durch die Qumran-Funde bestätigt wurde. ­ Über den Weg vom Abschreiben einzelner Targume hin zur Auswertung der Manuskripte in den mittelalterlichen synoptischen Editionen und schließlich zu den kritischen Editionen referiert detailreich L. Díez Merino. ­ Einer einzelnen (der ersten einigermaßen vollständigen) kritischen Edition der Targume ist der Aufsatz von R. P. Gordon gewidmet: Die Verdienste, aber auch die mannigfachen editorischen Fehler A. Sperbers werden ausgewogen dargestellt. ­ Beinahe "auto"biographisch mutet der Bericht von M. McNamara über die wechselvollen Geschicke des Michael Glazier-Liturgical Press Aramaic Bible Projects an; die Spannungen zwischen wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Rationalität werden klar ersichtlich.

Der zweite Teil beschäftig sich mit Problemen des Targum-Aramäischen. Stephen A. Kaufman handelt darin über das Problem "Dating the Language of the Palestinian Targums and their Use in the Study of First Century CE Texts" (118-141). Auf der Basis eines Vergleichs von Gen 11 in den verschiedenen Targumen, des Testaments Levis in der Fassung von Qumran und der Kairenser Genizah, sowie des Tobit-Textes in seiner mittelalterlichen Fassung und den verschiedenen Varianten aus 4Q kommt er zu dem Schluß, daß die palästinischen Targume und der Targum Onqelos auf einen (nie verschriftlichten?) Proto-Targum aus dem 1. Jh. n. Chr. zurückgehen müssen. ­ Demgegenüber diskutiert Edward M. Cook in seinem Aufsatz "A New Perspective on the Language of Onqelos and Jonathan" (142-156) die alte Frage, ob die Sprache von TO und TJ östlichen oder westlichen Ursprungs ist. Seine Lösung ist eine Art Kompromiß: Die Nähe beider Dialekte zum Syrischen legt nahe, sie als Repräsentanten eines "Central Aramaic" zu sehen, das aber dem östlichen Aramäisch nahekommt, weshalb beide Texte in Babylonien rezipiert wurden.

Der dritte Teil ­ "The Targums and Jewish Biblical Interpretation" ­ enthält vier Aufsätze: Martin Hengel, The Scriptures and their Interpretation in Second Temple Judaism (158-175), Otto Betz, The Qumran Halakhah Text Miqsat Maasê Ha-Tôrâh (4QMMT) and Sadducean, Essene, and Early Pharisaic Tradition (176-202), Avigdor Shinan, The Aggadah of the Palestinian Targums of the Pentateuch and Rabbinic Aggadah: Some Methodological Considerations (203-217), Josep Ribera, The Targum: From Translation to Interpretation (218-225). Die beiden Pole, um die der Aufsatz von M. Hengel kreist, sind die "gesetzliche" und die "inspirierte" Auslegung älterer Texte, wobei er zusätzlich noch die Frage diskutiert, in welchen Kreisen welche biblischen Texte ausgelegt wurden.

Über den engeren Rahmen des Bandes hinaus führt der Aufsatz von O. Betz. Er ist einem fragmentarischen halakhischen Qumran-Text in Briefform gewidmet. Betz hält den Brief für ein aus dem Geist von Qumran heraus geschriebenes Dokument und führt ihn auf den "Lehrer der Gerechtigkeit" zurück, der sich mit ihm um eine Korrektur des Opferkults am Tempel, nicht um dessen Verdammung bemüht hätte; der Adressat dürfte Alexander Jannaeus, der hasmonäische Priesterkönig sein, der auch in 4Q448 erwähnt wird. ­ A. Shinan diskutiert die Relation der beiden "Säulen" der jüdischen Tradition ­ der Literatur der Synagoge, zu der er u.a. die Targume rechnet, und der Literatur des Bet Midrasch, also Mischna, Tosefta und Talmud. Er zeigt auf, daß es neben einer Fülle von Traditionen, die in beiden Bereichen vorkommen, auch spezifisch targumische haggadische Traditionen gibt. ­ Der alten ­ schon in der Ambivalenz des aramäischen Begriffs targum angelegten ­ Frage nach dem Verhältnis von "Übersetzung" und "Interpretation" geht J. Ribera nach. Ziel der hermeneutischen Methode des derash ist es in jedem Fall, den alten Text in einem neuen kulturellen Umfeld verstehbar zu machen.

Die sechs Aufsätze des vierten Teils sind den Pentateuch-Targumen gewidmet. Im ersten von ihnen diskutiert Bernhard Grossfeld unter der Überschrift "Targum Onqelos, Halakha and the Halakhic Midrashim" (228-246) zunächst drei gängige Theorien, wie die Übersetzer des TO auf Differenzen zwischen der Halakha und dem Wortlaut der hebräischen Bibel reagiert haben. Seine eigene Lösung erinnert strukturell an den derzeit aktuellen Trend in der alttestamentlichen Wissenschaft, Spannungen in den Texten redaktionsgeschichtlich zu erklären: Ursprünglich war der TO eine wörtliche Übersetzung, stand also der Schule R. Ismaels nahe ­ im Verlauf der Überlieferungsgeschichte wurden in ihn aus pragmatischen Gründen halakhische Elemente integriert. ­ Knüpft Grossfeld an einen Trend der alttestamentlichen Wissenschaft an, orientiert sich Paul V. M. Flesher in seinem Aufsatz "Mapping the Synoptic Palestinian Targums of the Pentateuch" (247-253) ­ der Titel deutet es bereits an ­ methodisch eher an Vorgaben der neutestamentlichen Wissenschaft. Der Aufsatz enthält v.a. statistisches Material zu den insgesamt 2.431 "expansions" der palästinischen Targume gegenüber dem Text der hebräischen Bibel. ­ Die These des Aufsatzes von Gabriele Boccaccini, Targum Neofiti as a Proto-Rabbinic Document: A Systemic Analysis (254-263), ergibt sich bereits aus der Überschrift: Targum Neofiti basiert auf einem "ideological system", das älter ist als das der Dokumente des rabbinischen Judentums ­ er kennt das Konzept der mündlichen Tora noch nicht. ­ Die Eigentümlichkeiten des Targums Pseudo-Jonathan stehen dann im Mittelpunkt des Aufsatzes von Michael Maher, Targum Pseudo-Jonathan of Deuteronomy 1.1-18 (264-290). Anhand einer ausgesprochen differenzierten Darstellung des Materials, das TPsJ zur Interpretation des schon im MT schwierig zu verstehenden Anfangs des Buches Dtn herangezogen hat, wird aufgezeigt, wie kenntnisreich, aber auch frei und kreativ hier mit der Tradition umgegangen wird. ­ Wie in verschiedenen Targumen implizit das Verhältnis der Judenheit zu benachbarten Völkern verhandelt wird, ist das Thema der beiden letzten Aufsätze dieses Teils. C.T.R. Hayward, A Portrait of the Wicked Esau in the Targum of Codex Neofiti 1 (291-309) zeigt auf, daß die Identifikation Esaus mit Rom nicht in allen (Redaktions-) Schichten des TN zwingend aufweisbar ist, daß indes die Tendenz, in ihm eine Art Archetyp des Bösen entsprechend Kain zu sehen, dieser Identifikation nicht widerspricht. Rein deskriptiv bzw. additiv ist demgegenüber die Darstellung bei Roger Syrén, Ishmael and Esau in the Book of Jubilees and Targum Pseudo-Jonathan (310-315).

Teil V, der den Targumen zu den Hagiographen gewidmet ist, enthält vier Aufsätze: Philip S. Alexander, Tradition and Originality in the Targum of the Song of Songs (318-339), D. R. G. Beattie, The Textual Traditions of Targum Ruth (340-348), Céline Mangan, Some Similiarities between Targum Job and Targum Qohelet (349-353) und Beate Ego, Targumization as Theologization: Aggadic Additions in the Targum Sheni of Esther (354-359). P. S. Alexander vertritt mit guten Argumenten die These, daß der Targum zum Hohenlied "a work of a single highly original mind" sei, der eine ganz eigenständige und zugleich einflußreiche neue Deutung dieses Textes initiiert habe. ­ Die Kernthese des Aufsatzes von D. R. G. Beattie ist, daß das "Nürnberg manuscript is the sole source of the text found in the printed editions" (342). ­ Was C. Mangan zu sagen hat, ergibt sich bereits aus der Überschrift: Targum Job und Targum Qohelet weisen Übereinstimmungen auf, und zwar v.a. im Blick auf die historischen und geographischen Ergänzungen gegenüber dem MT, ihre Betonung der Bedeutung des Tora-Studiums, die Hervorhebung der Folgen bösen (und guten) Handelns und das Interesse an Dämonen und Engeln. ­ B. Ego beschreibt, wie das säkulare Buch Ester im Rahmen der Übersetzung ins Aramäische durch haggadische Einschübe zu einem theologischen Buch umgestaltet wurde. Dabei spielt u.a. das Konzept der Königsherrschaft Gottes eine Rolle.

Teil VI enthält zwei Aufsätze zum Thema "Targum and New Testament": Max Wilcox, The Aramaic Background of the New Testament (362-378) und Bruce Chilton, Aramaic and Targumic Antecedents of Pauline ’Justification’ (379-397). M. Wilcox plädiert mit Nachdruck dafür, die neutestamentliche Überlieferung aus dem Blickwinkel der frühjüdischen Tradition zu sehen und dabei in Rechnung zu stellen, daß Jesus ein Glied der jüdischen Gesellschaft war. Wilcox unterstellt sogar, daß Jesus von daher sehr wohl auch Hebräisch und/oder Griechisch gesprochen haben könne, daß also weit mehr Worte im NT der "ipsissima vox" Jesu zugeschrieben werden können als dies gemeinhin zugestanden wird. ­ Etwas vorsichtiger vorgehend weist B. Chilton darauf hin, daß die Targume zur Erhellung von "matrix and milieu" paulinischen und jesuanischen Denkens einen wichtigen Beitrag leisten können.

Im letzten Teil ­ "Jewish Traditions and Christian Writings" ­ finden sich schließlich noch die Aufsätze: Gerard J. Norton, Jews, Greeks and the Hexapla of Origen (400-419), Benjamin Kedar-Kopfstein, Jewish Traditions in the Writings of Jerome (420-430) und Michael E. Stone, Jewish Tradition, the Pseudepigrapha and the Christian West (431-449). G. J. Norton verdeutlicht, daß ein Werk wie die Hexapla aufgrund seiner Problemstellung für die Judenheit nur von geringer Bedeutung gewesen sein kann ­ ein Vergleich griechischer Übersetzungen der hebräischen Bibel lag außerhalb des Interesses der damaligen jüdischen Gemeinden in Palästina. ­ B. Kedar-Kopfstein zeigt auf, daß Hieronymus dank seiner kaum miteinander auszugleichenden theologischen und philologischen Interessen nolens volens zum Brückenbauer zwischen der klassischen jüdischen Kultur und der des westlichen Europas wurde ­ als Philologe mußte er die jüdische Tradition Ernst nehmen, als Theologe blieb er dem westlich geprägten Christentum seiner Zeit verpflichtet. ­ Die bei Kedar-Kopfstein angedeutete Linie der engen Verbundenheit der jüdischen und christlichen Tradition wird schließlich von M. E. Stone anhand der westlichen Rezeption einiger Pseudepigraphen bis ins Mittelalter hinein verfolgt.

Zusammenfassend formuliert: Das Buch bietet eine wahrhaftig umfassende "Tour d’horizon" zu einem viel zu lange allein Spezialisten aus der Judaistik überlassenen Thema, das gleichermaßen Alttestamentler, Neutestamentler und Kirchengeschichtler angeht!