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Ausgabe:

September/2012

Spalte:

998–1000

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Maaser, Michael, u. Gerrit Walther[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Bildung. Ziele und Formen, Traditionen und Systeme, Medien und Akteure.

Verlag:

Stuttgart/Weimar: Metzler 2011. XV, 456 S. m. Tab. 24,0 x 17,0 cm. Geb. EUR 49,95. ISBN 978-3-476-02098-7.

Rezensent:

Friedrich Schweitzer

»Bücher über Bildung langweilen uns«, mit diesem Satz beginnt dieses, wie man heute so sagt, etwas andere Buch. Ein solches Buch will es auch sein – »eine andere Art von Bildungsbuch«, »ohne Expertenton«, herausgegeben nicht von Bildungsexperten, sondern von Historikern (XI) und geschrieben von »gebildeten Ex­pertinnen und Experten verschiedener Disziplinen«, die aber »nicht als und für Experten schreiben« sollten. Geplant war »weder Enzyklopädie noch Handbuch«, sondern eben ein »gebildetes Bildungsbuch« (ebd. und XIV).
Was kommt heraus, wenn auf diese Weise knapp 100 Beiträge (die Einleitungen zu den Abteilungen mitgezählt) zusammengetragen werden? Auf den ersten Blick nun eben doch eine Enzyklopädie. Denn die Herausgeber haben dem Buch eine klare Grob­-gliederung mit auf den Weg gegeben, wenn auch eine durchaus eigene: »Zweige der Bildung«; »Techniken der Bildung«; »Medien«; »Epochen«; »Akteure«; »Institutionen«; »Tugenden, Werte, Ziele«; »Nationale Bildungssysteme« und – zum Schluss – »Unbildung«, so sind diese Abteilungen überschrieben. Abgesehen von der letzten Abteilung, die im Übrigen nur mit einem einzelnen Beitrag besetzt ist, könnte das heute auch sonst in einem Buch über Bildung hingehen. Überraschend sind dann aber doch nicht wenige der in an­deren Darstellungen kaum einmal eigens aufgenommenen Lemmata: »Kulinarische Bildung« und »Erotische Bildung« etwa, aber auch »Kino« als Form der Bildung, gleich neben »Vorlesung« und nicht weit vom »Professor«, der seinerseits auf »Student« folgt. So mag das Auge wohl zunächst, dann selber »kulinarisch«, auf vielversprechende und interessante Einzelbeiträge stoßen und nur wenig einer systematischen Lektüre zuneigen.
Die Einzelbeiträge sind freilich dann doch sehr unterschiedlich. Neben eher klassisch und im (guten) Handbuchstil geschriebenen Texten, die samt hilfreichen Hinweisen zur Forschungslage auch an anderem Ort hätten abgedruckt werden können (zum Beispiel »Schulbuch«), stehen andere, die pointiert eigene Ausdrucksformen suchen – etwa der Beitrag zum italienischen Bildungssystem, der mit dem vielsagenden Satz beginnt: »Zum italienischen Schulwesen ist nicht viel zu sagen« (398), um dann doch mit höchst anregenden und informativen Ausführungen dazu fortzufahren.
In so hohem Maße persönliche und auf eigene Reflexion angelegte Beiträge können die Zustimmung des herkömmlichen Fachmanns (der Rezensent wird sich wohl dazu zählen müssen) nicht immer erreichen. Als Theologe habe ich mich gefreut, dass der Band durch den Artikel »Religiöse Bildung« angeführt wird. Wenn ihn dann der Benediktinermönch und emeritierte Vorsitzende der Bayerischen Benediktinerkongregation und ehemalige Vorsitzende der Salzburger Äbtekonferenz Odilo Lechner verfasst hat, lässt sich vielleicht schon erraten, dass sich protestantische Akzente dabei als rar erweisen.
Überraschend ist immer wieder auch der innere Aufbau der einzelnen Abteilungen. Etwa bei den »Epochen« folgen auf »Griechenland« und »Humanismus« zunächst noch »Aufklärung« und »Philanthropismus«, dann aber lediglich noch »Anthroposophie« und »Achtundsechzig« – eine Abfolge, die dann selbst die im vorliegenden Falle nicht risikoscheuen Herausgeber etwas apologetisch werden lässt – mit dem Hinweis, »dass es hier noch viel zu forschen gibt« – und: »Da dieses Kapitel indes kein Geschichtsbuch ersetzen, sondern nur skizzieren will, welche Bedeutung Bildungsgeschichte für die Bildung haben kann, mögen exemplarische Einblicke ge­nügen« (180). Ähnlich ist dies wohl auch bei den internationalen Beiträgen gemeint (England, Frankreich, Italien, Skandinavien, Os­manisches Reich/Türkei, Russland, Japan, China, USA und Australien, dessen Bildungssystem im Übrigen aufgrund seiner neoliberalen Ökonomisierung wiederum gar nicht günstig beurteilt wird, 444 ff.).
Und doch muss ich gestehen, dass auch eine zusammenhängende Lektüre der Abteilungen sich als durchaus reizvoll, infor­-mativ und vor allem als anregend erweist. Denn immerhin: Die Kontraste zwischen den dargestellten Epochen oder Ländern mit ihren Bildungssystemen geben in der Tat zu denken – im besten Sinne.
Unter die Autorenschaft hat sich am Ende neben vielen Histo­-rikerinnen und Historikern dann doch noch mancher herkömm­liche Bildungsexperte mit entsprechender Zunftzugehörigkeit ge­mischt. Das mag nicht weiter überraschen. Doch wird mancher seinen Augen nicht trauen, wenn hier auch andere Namen figurieren: Francis Bacon zu »Dialog« etwa oder Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff zu »Griechenland«. Hier schien es den Herausgebern offenbar nicht möglich, die klassischen Darstellungen zu über-treffen.
Noch einmal: Hier sollte kein Buch entstehen, das man »gelesen haben muss«, damit man im – sei es auch: akademischen – Smalltalk oder beim Name-Dropping ordentlich bestehen kann. Niemand soll das lesen müssen – aber vielleicht sollte wenigstens mancher Lust bekommen, es trotzdem und gerade deshalb lesen zu wollen. Bildung dann als Muße (dazu fehlt allerdings ein eigener Beitrag!) und als Vergnügen (wieder Fehlanzeige).
Auf jeden Fall ist das Buch eine Fundgrube für anregende Darstellungen, die sich sonst kaum irgendwo finden. Seltene Themen wie »Naturwissenschaftliche Bildung« oder »Medizinische Bildung« sind hier ebenso zu nennen wie die Beiträge zu »Verwaltung« und »Verlag« bis hin zu »Archive und Archivgut« – oder spannende Kombinationen wie Wolfgang Frühwald zu »Gelehrte Bildung« oder Klaus Heinrich Kohrs zu »Studienstiftung« sowie Günther Böhme zu »Seniorenstudium«.
Die bei »Büchern über Bildung« befürchtete Langeweile kann da kaum aufkommen. Einstellen kann sich trotz des Lehrbuchformats und des Spaltensatzes eher schon ein Lesegenuss, der dann von versprochenem Bildungsgewinn eigener Art begleitet wird.