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Ausgabe:

September/2012

Spalte:

993–995

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Miller-McLemore, Bonnie J. [Ed.]

Titel/Untertitel:

The Wiley-Blackwell Companion to Practical Theology.

Verlag:

Malden/Oxford/Chichester: Wiley-Blackwell 2012. XIV, 626 S. 24,5 x 16,8 cm. Geb. £ 110,00. ISBN 978-1-4443-3082-3.

Rezensent:

Christian Grethlein

Der voluminöse, verlegerisch exzellent ausgestattete Band präsentiert »Practical Theology« als »a major area of Christian study and practice«. Sowohl die Einleitung der an der Vanderbilt University Pastoral Theology lehrenden Herausgeberin als auch der Aufbau des Bandes in vier Teilen zeigen, dass dabei eine schnelle Übersetzung von »Practical Theology« mit »Praktischer Theologie« nicht unproblematisch ist. Vielmehr präsentieren die 56 Artikel – genderbewusst zur Hälfte von Frauen und Männern verfasst – »Practical Theology«, wie sie sich seit den 50er Jahren des 20. Jh.s in den USA entwickelt hat. Dabei handelt es sich um einen Sammelbegriff, der von konkreter religiöser Praxis bis hin zur theologischen Einzeldisziplin reicht. Von den 56 Beiträgern lehren 39 in den USA, sechs in Großbritannien, drei in Kanada, zwei in den Niederlanden sowie je einer in Südkorea, Brasilien, Südafrika, Nigeria und Deutschland. Das macht nachdrücklich deutlich, dass in diesem Band eine spezifisch US-amerikanische Theologieform vorgestellt wird. Sie geht von der Grundeinsicht Anton Boisens in die »living human documents« aus, die u.a. Bonnie Miller-McLemore zum »living human web« weiterentwickelte.
Dementsprechend versammelt der erste Teil Beiträge zu »Way of Life: Shaping Faith among Beliefers in Home and Society«. In großer Gegenwartsnähe werden exemplarisch sieben allgemein verbreitete Handlungen bzw. Verhaltensweisen vorgestellt: Von »Healing« über »Playing« bis hin zu »Loving«. Dabei kann »Star-bucks coffee shop« (beim Artikel zu »Consuming«) ebenso der Aus­gangspunkt sein wie die Dinner-Party am Freitagabend (bei »Eating«) oder das Erfahren der Nachricht vom Tod des Sohns (bei »Suffering«). Nach der Schilderung eines konkreten Geschehens wird dieses in einem zweiten Schritt erfahrungswissenschaftlich gedeutet, wobei der Schwerpunkt auf der Psychologie liegt. Von dort aus kommen einige biblische Gesichtspunkte in den Blick, die schließlich handlungsorientierend wieder auf die Gegenwart bezogen werden. Dabei ergeben sich interessante Einblicke in die US-amerikanische Kultur und die Reflexion hierauf. So bildet z. B. bei »Blessing« die kritische Reflexion auf die narzisstische Sehnsucht nach dem Segen für sich selbst den Schwerpunkt. Dem wird dagegen – deutlich ethisch akzentuiert – die durch den Segen eröffnete Verantwortung entgegengestellt.
Das von Don Browning skizzierte Vorgehen »practice – theory – practice« prägt auch die anderen Beiträge des Bandes. In den folgenden drei Teilen verengt sich der Fokus allmählich auf die akademische Disziplin »Practical Theology« hin. Im zweiten Teil werden 16 »Methoden« vorgestellt, wozu aber auch an die Theologie angrenzende Bereiche wie »Poetics« oder »Ritual Theory« gezählt werden. »Methode« umfasst also ein weites Terrain, das von der »Case Study Work« über die Psychologie und Hermeneutik, den Schriftgebrauch und »Theories of Practice« bis hin zu Handlungstheorien reicht. Stark treten politische Zusammenhänge auch in Pamela D. Coutures Beitrag zu »Social Policy« hervor. Insgesamt liegt in diesem Teil – entsprechend der Ausrichtung der Herausgeberin – ein klarer Akzent auf befreiungstheologischen und feministischen Argumentationen. So behandeln eigene Artikel »Eman­cipatory Theory and Method«, »Feminist Theory« und – jetzt aus Perspektive schwarzer Frauen – »Womanist Theory«. Dabei eröffnen sich immer wieder für deutsche (bzw. mitteleuropäische) Leser und Leserinnen interessante Einsichten: So stellt z. B. Lee H. Butler, Jr. in seinem Beitrag zu »Psychological Theory« klar die theolo­gischen bzw. religiösen Implikationen von Psychologie heraus. Aus seiner Sicht als afrikanisch-amerikanischer Pastoralpsychologe weist er auf den engen Zusammenhang zwischen psychologischem Ansatz und kulturellem Kontext hin.
Das Schwergewicht im 3., mit »Curriculum: Educating for Min­is­try and Faith in Classroom, Congregation, and Community« überschriebenen Teil liegt zum einen im enzyklopädischen Be­reich. Mit meist deutlich befreiungstheologischer Akzentuierung werden folgende praktisch-theologischen Disziplinen vorgestellt: »Pastoral Care«, »Homiletics«, »Worship«, »Religious Education«, »Religious Ledership« und »Evangelism«. Sie finden sich zumindest in Master-Programmen als eigene Fächer. Zum anderen treten weitere theologische Fächer hinzu: »Spirituality«, »Ethics«, »Contextual Education«, »Systematic Theology«, »Historical Theology«, »Biblical Theology«. Sie werden teilweise in ihren Berührungen mit der Praktischen Theologie dargestellt, teilweise aber auch – im Sinn von Don Brownings »fundamental practical theology« – als praktische Fächer präsentiert. Hier zeigt sich also deutlich, dass und wie Practical Theology in den USA über eine theologische Einzeldisziplin hinausreicht und Impulse für die ganze Theologie gibt.
Endgültig auf die – nach deutschem Sprachgebrauch – Praktische Theologie bezieht sich der vierte Teil des Bandes: »Discipline: De­-fining History and Context in Guild and Global Setting«. Er ist noch einmal in drei Sektionen untergliedert. In der ersten werden praktisch-theologische Querschnittsthemen wie »Race and Racism«, »Globalization, Colonialism, and Postcolonialism« oder »Disability, Ableism, and Disablism« zum Thema. Der enge Bezug auf gegenwärtige gesellschaftliche Diskurse zeigt sich besonders im Kapitel zu »Gender, Sexism, and Heterosexism«, wo u. a. die Probleme von TBLGQ (»transgendered, bisexual, lesbian, gay, queer persons«) in befreiungstheologischer Perspektive diskutiert werden. Es folgt eine Sektion mit neun Beiträgen zu Praktischer Theologie in verschiedenen Teilen der Erde bzw. Ländern. Deutschland erscheint hier nicht eigens; vielmehr wird versucht, auf zehn Seiten »Continental Europe« zu behandeln. Die dritte Sektion führt dann wieder in die USA zurück, und zwar kommen jetzt vier kirchliche Formationen in den Blick (»Mainline Protestantism«; »Roman Catholicism«; »Protestant Evangelicalism«; »Pentecostalism«). Leider sind auch hier nur sehr grobflächige Skizzen zu lesen, die aber meist eine erste Orientierung ermöglichen.
Insgesamt liegt ein Band mit zahlreichen, interessanten Impulsen und Anregungen vor. Dabei zeugen die zahlreichen und in den einzelnen Beiträgen recht unterschiedlich skizzierten Verständnisse von Praktischer Theologie von einer Aufbruchstimmung, die ihre systematische Klärung noch vor sich hat. Gemeinsam ist (fast) allen Artikeln das starke Interesse an konkreter Praxis und die befreiungstheologische Ausrichtung, die unterschiedlich akzentuiert ist (s. z. B. 362: »which include the work of feminists, wo­man­ists, black, mujerista, and Latina thinkers, as well as disability stud­ies and queer theologies«). Demgegenüber treten historische, biblisch-theologische und systematische Klärungen häufig zurück.