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Ausgabe:

September/2012

Spalte:

982–983

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Völker, Andreas

Titel/Untertitel:

Ein Gott für alle Fälle. Die Grammatik Gottes.

Verlag:

Berlin/Münster: LIT 2010. IV, 361 S. 8° = Glaube und Leben, 56. Kart. EUR 24,90. ISBN 978-3-643-10823-4.

Rezensent:

Anne Käfer

Als einen Versuch, »mit der nächsten Generation, also mit jungen Menschen über Gott ins Gespräch zu kommen«, beschreibt An­-dreas Völker seine 2010 beim LIT-Verlag erschienene Veröffent­lichung (6). Diese theologische Abhandlung ist aus seiner beruflichen Tätigkeit als katholischer Theologe und Religionslehrer an der Ingolstädter Gnadenthal-Mädchenrealschule erwachsen.
V. entwickelt seine Theologie den sechs lateinischen Kasus entlang, die er in ihrer ursprünglichen Wortbedeutung anwendet und die ihn so Gott als Gott »für alle Fälle des Lebens« beschreiben ließen (330). Im Kapitel über den Nominativ geht V. der Bedeutung des Namens Gottes nach. Der Genitiv stehe für Gott den Schöpfer, der Dativ dafür, dass Gott in unverdienter Gnade und Liebe dem Menschen immer schon zugewendet sei. Im Abschnitt über den Akkusativ ist vom Angeklagtsein des Menschen vor Gott als einem schuldhaften und sündigen Wesen die Rede. Der Vokativ gilt nach V. der Tatsache, dass Gott in die Gemeinschaft mit ihm rufe. Der Ablativ sei der Fall, der vom befreienden und rettenden Gott reden lasse. Erst allerdings alle Fälle zusammen ergäben eine klare Aussage über Gottes Verhältnis zum Menschen. Damit spannt V. den Bogen von der Schöpfung bis zur Auferweckung. »In der Auferwe-ckung kommt der Ruf Gottes, der alles zum Leben erweckt und einlädt, zur Vollendung.« (321)
Nach V. ist es mit den sechs Fällen nicht nur möglich, angemessen von Gott zu reden, sondern ebenso auch vom Menschen. Ohnehin sei die Rede von Gott immer schon an die Selbsterkenntnis des Menschen gebunden. »Wir brauchen … Gott, um uns selber richtig zu begreifen. Aber auch das Umgekehrte gilt, denn wir verstehen genauso den Gott, den Jesus uns verkündete, nur im Blick auf uns selbst richtig.« (33)
Was V. unter der zur Gotteserkenntnis nötigen Selbsterkenntnis versteht, macht er deutlich unter Verweis auf den Spruch des delphischen Orakels: »Erkenne dich selbst« (206). Das rechte Selbstverhältnis sei dann gegeben, wenn der Mensch in dem Bewusstsein lebe, nicht Gott selbst zu sein, sondern als Ebenbild Gottes ein von Gott geliebtes und würdevolles Wesen mit Möglichkeiten, hinter deren Realisation er nicht zurückbleiben dürfe.
Wie es dazu kommen soll, dass ein Mensch sich selbst erkennt, davon handelt V.s Grammatik zumindest insofern nicht, als hier von Gott dem Heiligen Geist keine Rede ist. V. widmet seine Ausführungen Gott dem Schöpfer und insbesondere Jesus von Nazareth. Dieser habe durch seine Selbsthingabe aus Liebe »ausgedrückt und vorgelebt«, dass es Gott wesentlich sei, »sich selbst rückhaltlos und ganz zu schenken« (159).
Mit dieser Aussage über Gott ist nach V. zugleich eine Aussage über den Menschen verbunden. Denn V. stellt das »Grundgesetz« auf: »Was für Gott gilt, das gilt auch für uns Menschen.« (191) Entsprechend dieser Annahme, die den Menschen doch allerdings in unangemessener Weise mit Gott gleichsetzt, ist nach V. vom Menschen in der Nachfolge Jesu ebenfalls »Hingabe aus Liebe« gefordert. »Möglichkeiten dazu, gibt es genug. Die Höchstform und die Vollendung ist sicherlich die […] aus christlicher Sicht gelebte Ehe«; nach V. ist die »liebende Verbindung« in der Ehe »ein Sakrament für Gott« (192).
Da V. sein Buch als theologische Einführung für junge Menschen versteht, hätte er nicht nur an dieser Stelle darauf verweisen sollen, dass seine theologischen Ausführungen im Bereich der Theologie nicht unwidersprochen sind. Seinem Buch mangelt es am Gespräch mit anderen Positionen, vor allem auch bei seinen Ausführungen zur Sprachphilosophie. Zum Verständnis des Satzes »Ich liebe dich!« hält V. alternativlos fest: »Die Liebeserklärung eines Menschen an einen anderen dient […] nicht zuerst einer Be­lehrung über einen Sachverhalt, vielmehr will sie eine Wirklichkeit, nämlich die liebende Verbindung zwischen zwei Menschen, stiften und begründen.« (131) Ebenso wie die Liebesaussage von Menschen ist nach V. auch ein Glaubenssatz keine deskriptive Aussage über die erschlossene Wirklichkeit. »Der Glaubenssatz an Gott als Schöpfer ist […] das Aufschließen der Wirklichkeit, dass der Mensch sich und seine Welt im Letzten gewollt, getragen, erhalten und auf ein Ziel hin ausgerichtet versteht.« (132) Ebendiese aufschließende Tätigkeit ist aber – jedenfalls aus evangelischer Sicht – das Werk des Heiligen Geistes, der den Willen des Dreieinigen dem einzelnen Menschen offenbart und ihm damit dann Selbsterkenntnis ge­währt.
Um seine theologischen Aussagen zu belegen, verwendet V. längere Zitate von Eugen Drewermann und verweist unter anderem auf Joseph Ratzinger und Søren Kierkegaard. Er zitiert ebenfalls Schriftsteller wie Fjodor Michailowitsch Dostojewski, Max Frisch und Thomas Mann. Aus Manns Joseph-Roman gibt V. eine Passage wieder, die eindrücklich vom »Auferstehn« handelt (324). Hiermit verleiht V. seiner Aussage Gewicht, dass die »Auferweckung« der »Zielpunkt« des göttlichen Handelns und der »Schlusspunkt« aller Gottes-Grammatik sei (321.327).
Mit seinen Zitaten vertieft V. theologische Sachverhalte in poetisch-psychologischer Weise, was den Eindruck verstärkt, dass sein Buch auch seelsorgerlicher Zuspruch sein soll. Ansprechend ist V.s Grammatik, weil er in direkter Leseranrede seine Rezipientinnen und Rezipienten durch das Buch führt. Die für den Gedankengang entscheidenden Sätze sowie Zusammenfassungen hebt er im Schriftbild durch Fettdruck oder Kästen übersichtlich hervor. Sogar den hebräischen und den griechischen Urtext gibt er an, wo dieser für das Verständnis von Bibeltexten ausschlaggebend ist. Zu Joh 1,1: »Im Anfang war das Wort« zitiert V. nicht nur Goethes Faust. Zudem nennt er den griechischen Text und die besondere Bedeutung des »Im«, das nicht mit einem »Am« ausgetauscht werden sollte (127).
Angesichts der theologischen Eigenheiten, die V.s Grammatik enthält, kann sie zwar kein theologischer Gesprächsersatz sein, eine Ge­sprächsanregung aber schon.