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Ausgabe:

September/2012

Spalte:

979–982

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Stock, Konrad

Titel/Untertitel:

Einleitung in die Systematische Theologie.

Verlag:

Berlin/New York: de Gruyter 2011. XXII, 497 S. 23,0 x 15,5 cm = De Gruyter Studium. Kart. EUR 39,95. ISBN 978-3-11-021800-8.

Rezensent:

Christian Danz

Überblickt man die Geschichte der theologischen Dogmatik im 20. Jh., so wird man um das Urteil nicht herumkommen, dass in ihr die dogmatischen Gehalte zunehmend als Beschreibungen und Darstellungen der Ereignisstruktur des Glaubensakts verstanden worden sind. In diesem Prozess, der die Religionskritik in die dogmatische Beschreibung der Religion aufgenommen hat, wurde von der Substantialität der dogmatischen Gehalte auf deren Funktion für den Glaubensakt und dessen Selbstbeschreibung umgestellt. Aus der Dogmatik – ehedem ein mit den begrifflichen Mitteln der aristotelischen Philosophie aus der Bibel geschöpftes fest umrissenes Lehrsystem – wird eine reflexive Theorie der Religion, welche die Erschlossenheit des Subjekts für sich selbst mit den begrifflichen Mitteln der Lehrtradition beschreibt. In diesem problemgeschichtlichen Zusammenhang steht auch die von dem emeritierten Bonner bzw. Kölner Theologen Konrad Stock vorgelegte Einleitung in die Systematische Theologie.
Nachdem S. bereits im Jahre 2005 eine umfassende theologische Enzyklopädie unter dem Titel Die Theorie der christlichen Gewißheit vorgelegt hatte, welche sich im Aufbau an Friedrich Schleiermachers Kurze Darstellung des theologischen Studiums anlehnt, hat er nun einen Grundriss der gesamten systematischen Theologie folgen lassen. Wie die enzyklopädische Orientierung folgt auch die Einleitung in die Systematische Theologie grundlegenden Motiven Schleiermachers. Dessen kritische Umformung der altprotestan­tischen Dogmatik bildet indes lediglich den einen theologiegeschichtlichen Referenzpunkt von S.s Konzeption. Den anderen mar­kiert, wie bereits die Zuspitzung auf das Gewissheitsthema erkennen lässt, die Theologie Martin Luthers.
S.s Einleitung in die Systematische Theologie ist weniger ein Lehrbuch als ein eigener systematischer Entwurf von hoher innerer Geschlossenheit. In den drei Hauptteilen des Buches wird das gesamte Fachgebiet aus einem einheitlichen systematischen Ge­sichtspunkt dargestellt. Dieser ist die Glaubensgewissheit – oder wie S. im Anschluss an Schleiermacher formuliert – das christlich-fromme Selbstbewusstsein. S. setzt ein mit einem Grundriss der Prinzipienlehre (3–50) und behandelt im zweiten Teil einen Grundriss der Dogmatik (51–286) und endet mit einem Grundriss der Theo-logischen Ethik (287–474). Eine kurze Schlussbetrachtung (475–480) sowie ein Abkürzungsverzeichnis (481 f.) und ein Begriffsregister (483–498) beschließen den Band.
Der methodische Ausgangspunkt von S.s Konzeption der systematischen Theologie liegt in der Ereignisstruktur des Glaubens, die als Erschlossenheit des Subjekts für sich selbst verstanden wird. Diese stellt sich in der theologischen Dogmatik dar. »Der primäre Gegenstand der Dogmatik ist nach reformatorischer Erkenntnis die Wahrheitsgewissheit des Glaubens, die im Zusammenhang der Kommunikation des Evangeliums durch Gottes Geist begründet und erhalten wird.« (58) Während die Dogmatik das reflexive Wissen des Glaubensakts um seine eigenen Konstitutionsbedingungen darstellt und darin eine Lebensform, die realisiert sein will, ist die Brücke zur als »Theorie des Sozialen« (23) konzipierten theologischen Ethik bereits geschlagen. Die enge Verzahnung von theologischer Dogmatik und Ethik bildet das zentrale Anliegen von S.s Konzeption einer systematischen Theologie (vgl. XVII–XXII.295–298). Er widerspricht damit den Konzeptionen, die wie Trutz Rendtorff die Theologie in Ethik transformieren wollen, ebenso wie solchen Entwürfen, welche die Dogmatik von der Ethik trennen bzw. keine eigene Theorie des Sozialen ausgearbeitet haben (23). In solchen Konzeptionen sieht S. das Anliegen von Schleiermachers Funktionsbestimmung moderner Theologie, nämlich die nötige Kompetenz für ein Leitungsamt in der Kirche zu vermitteln, verfehlt (vgl. XIX.475–480). Ganz diesem Ansatz entsprechend, versteht S. unter systematischer Theologie »die wissenschaftliche Form der Selbstbesinnung des Glaubens auf seinen Gegenstand, auf seinen Grund und schließlich auf seine lebenspraktische Gestalt in der Sphäre des Privaten wie in den öffentlichen Funktionsbereichen der Gesellschaft« (3).
Der Glaube als ein geschichtlich eingebundenes und bestimmtes Geschehen beschreibt sich in der materialen Dogmatik selbst und klärt sich in ihr über seine Konstitutionsbedingungen auf. Das Geschehen der Erschlossenheit des Selbstbewusstseins ist reflexiv. Zur Strukturierung der Konstitutionsbedingungen des Glaubens greift S. auf die von Luther in seiner Schriftlehre ent­- wickelte Unterscheidung von innerer und äußerer Klarheit der Schrift zurück. Für Luther sind die beiden Dimensionen seines Schriftverständnisses gleichursprünglich. Das äußere Wort der öffentlichen Verkündigung kommt dann zum Ziel, wenn es im Inneren des Menschen den Glauben bzw. die Herzensgewissheit wirkt. In diesem Sinne fasst S. die äußere Klarheit der Schrift, die er freilich gegenüber Luthers Beschränkung auf die Schrift erweitert, als notwendige Bedingung des Glaubens und die durch den Geist gewirkte innere Klarheit als hinreichende Bedingung des Glaubens (XVII.5.32 u. ö.).
Der Zuordnung von äußerer und innerer Klarheit, von Wort und Geist folgt die Darstellung der Themen der Prinzipienlehre der Systematischen Theologie. S. setzt ein mit Religion und Lebensführung (8–24), geht dann über zum Offenbarungsgeschehen (25–33) und der Heiligen Schrift als dem Zeugnis der Offenbarung (34–46) und beschließt den Grundriss der Prinzipienlehre mit dem Ab­schnitt Die wissenschaftliche Form der Systematischen Theologie (47–50). Religion bzw. Glaube versteht S. im Anschluss an Schleiermacher als ein solches unmittelbares Selbstbewusstsein, welches sich in seiner »Ursprungsbeziehung« (14) und damit als endliche Freiheit erschlossen ist. Die Erschlossenheit des Selbstbewusstseins für sich selbst, so sehr sie nur kontingent auftritt, ist freilich sozial durch Institutionen vermittelt: durch die Kirche und die Gesellschaft (16–21). Das geschichtlich eingebundene Erschließungs­-ge­schehen in seiner inneren Struktur entfaltet die Offenbarungs lehre. Deren Paradigma ist die »Ursprungssituation« (178) des christlichen Glaubens, »die österlichen Szenen der Erscheinung des Gekreuzigten als des Auferstandenen« (ebd.). Diese Ursprungs-situation tritt vermittelt über den Kanon der Heiligen Schrift (34–46) und die Kirche an den Einzelnen freilich nur als äußeres Wort heran und erschließt sich ihm allein im Offenbarungsgeschehen als innere Gewissheit von der Wahrheit des Evangeliums.
Die von der Prinzipienlehre entfaltete Struktur der christlichen Gewissheit wird von der Dogmatik in ihrem materialen Gehalt als Glaube an Gott den Schöpfer (93–144), Versöhner (145–211) und Vollender (212–286) ausgeführt. Da die kontingente individuelle Er­schließung der Verfasstheit des christlich-religiösen Selbstbewusstseins sozial vermittelt ist, steht im Zentrum der materialen Dogmatik die Lehre von der Kirche (212–256), die im Anschluss an Eilert Herms unter dem Stichwort ›erfahrbare Kirche‹ traktiert wird (242–246). Der geschichtliche Ursprung dieser Glaubensweise und Lebensform liegt in der Offenbarung Gottes in der Geschichte (170–211). Die Christologie, von S. im Anschluss an Schleiermacher als Lehre von der Würde und dem Werk (Der Christus Jesus als das Urbild, 195–211) des Erlösers dargestellt, wird auf die neutestamentliche Geschichte Jesu zurückbezogen (178–190). Die empirisch-historische Sicht der Gestalt Jesu und die Perspektive des Glaubens werden dabei ineinander verwoben.
Der Grundriss der Dogmatik beschreibt die Konstitutionsbedingungen des Glaubens als dem Vollzug der Gewissheit der Wahrheit des Evangeliums am Orte des Individuums in seiner sozialen Vermitteltheit. Darin expliziert die Dogmatik selbst schon »eine spezifische Lebensform« (290). Diese Lebensform entfaltet die theologische Ethik – von S. in Auseinandersetzung mit anderen theologischen Konzeptionen und der philosophischen Ethik strikt an die Dogmatik zurückgebunden (vgl. 291) – unter dem Leitbegriff des Höchsten Gutes in der Trias von Pflichtenlehre (332–345), Tugendlehre (346–359) und Güterlehre (360–473). Wie bereits in Schleiermachers philosophischer Ethik bildet auch bei S. die Güterlehre den zentralen Gesichtspunkt der Ethik als einer Theorie des Sozialen. Sie möchte eine »Antwort auf die Frage« finden, »wie wir den inneren sachlogischen Zusammenhang dieser verschiedenen Gü­terarten [sc. Familie, Wirtschaft, Staat etc.] verstehen und in den Institutionen des kommunikativen wie interaktiven Handelns intendieren können« (387).
S.s Einleitung in die Systematische Theologie skizziert ein ambitioniertes theologisches Programm, welches auf der Grundlage der in der Prinzipienlehre ausgeführten Theorie der Frömmigkeit Dogmatik und Sozialethik als einen inneren Zusammenhang entfaltet. Der sehr enge Anschluss an die kirchlich-dogmatische Lehr­-tradition, welcher das Buch durchweg charakterisiert, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass S. die überkommenen theolo­gischen Gehalte in ihrer Funktion für die Selbstdarstellung des Glaubensakts als einem sich verständlich gewordenen endlichen Selbstbewusstsein reformuliert.