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Ausgabe:

September/2012

Spalte:

977–979

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Søvik, Atle Ottesen

Titel/Untertitel:

The Problem of Evil and the Power of God.

Verlag:

Leiden/Boston: Brill 2011. IX, 272 S. 24,0 x 16,0 cm = Studies in Systematic Theology, 8. Geb. EUR 110,00. ISBN 978-90-04-20560-4.

Rezensent:

Jürgen Bründl

Aus christlicher Perspektive, aber mit dem Anspruch allgemeingültiger Nachvollziehbarkeit erörtert Atle Ottesen Søvik die Theodizee-Problematik, die sich aus der faktischen Existenz des Bösen für den Glauben an einen allmächtigen und guten Gott stellt (vgl. 12). Er bespricht zu diesem Zweck die Argumente von R. Swin­-burne, K. Ward, D. R. Griffin und J. B. Hygen und erarbeitet dar­über hinaus einen theoretischen und terminologischen Bezugsrahmen, in dessen Horizont eine vergleichende Glaubwürdigkeitsprüfung der Ansätze möglich wird. Den Abschluss bildet die begründete Option für die größte Plausibilität von Wards Theodizee, insofern sie S. als die theoretisch kohärenteste und authentisch christlichste Argumentationsstrategie beurteilt.
S.s Darstellung zeichnet sich insgesamt durch einen klaren Ge­dankengang und eine leicht verständliche Sprache aus. In Konzentration auf die jeweils charakteristischen Aspekte werden die verschiedenen Theodizeen vorgestellt und einander zugeordnet: Swinburnes Abwägung des Bösen gegen die größeren Güter, die sie er­möglichen – namentlich Verantwortung und Liebe –, steht in gewisser Nähe zu Wards Auffassung von der begrenzten Macht Gottes, die um der Unabhängigkeit und Freiheit seiner Geschöpfe willen eine komplexe, sowohl gesetzhaft wie indeterministisch strukturierte Naturwelt geschaffen hat, in der auch das Böse nicht von Gott überspielt werden kann. Auf der anderen Seite bilden Griffins prozesstheologische Option für einen Gott, der seine Schöpfung in einem evolutionären Rahmen nicht zum Guten zwingt, sondern auf geistige Weise überzeugend zum je Besseren führt, und Hygens dualistisches Modell eine gemeinsame Gruppe. Hygen sieht Gott im Kampf mit ihm widerstreitenden Mächten, welcher seine Liebe in der geschichtlichen Welt nicht immer effektiv werden lässt bzw. Erlösung zu einer eschatologischen Hoffnung formiert.
Bevor die Probleme der einzelnen Argumentationsstrategien er­läutert werden, erarbeitet S. mit Bezug auf die sprachanalytisch ba­sierte Strukturontologie L. B. Puntels (vgl. ders., Struktur und Sein, Tübingen 2006) einen theoretischen Rahmen für die Beurteilung ihrer Wahrheitsansprüche. Puntel identifiziert eine semantisch voll bestimmte Proposition mit dem von ihr ausgesagten Sachverhalt, d. h. die Wahrheit der ersten mit der Wirklichkeit des zweiten (vgl. 86 und 93), so dass als Wahrheitskriterium die Kohärenz von Aussagen relativ zu deren perspektivierendem Theorierahmen be­hauptet werden kann. Neben diesem Kohärenzkriterium arbeitet S. mit dem Maßstab christlicher bzw. christologischer Authen­-tizität, welche er unter Bezug auf W. Pannenberg dahingehend bestimmt, dass Jesus als Christus, d. h. als Selbstoffenbarung Gottes zum Ausdruck gebracht wird (vgl. 105). Den Abschluss des zweiten Teils bilden terminologische Klärungen, welche insbesondere den Begriff des Bösen und die Konzepte eines in der Welt machtvoll handelnden trinitarischen Gottes betreffen.
Vor diesem Hintergrund erörtert der dritte Teil der Darstellung die spezifischen Probleme der genannten vier Theodizee-Konzepte. S. führt deren Kritik in einer wechselseitigen Bezugnahme aufeinander aus, die detailliert auf Einzelargumente eingeht, so dass der Leser einen übersichtlichen und tiefgehenden Einblick in die argumentative Logik der Auseinandersetzung gewinnt. In den Einzel­analysen bewährt sich Puntels Kohärenzkriterium. Als unplausibel verworfen werden zunächst die Argumente von Swinburne und G riffin – das erste, insofern ein Ausgleich des faktischen Bösen durch das Gute, das es ermöglicht, nicht nachgewiesen werden kann und folglich Swinburnes Behauptung, es gäbe kein im eigentlichen Sinn Böses, als nicht valide begründet erscheint. Griffins An­satz genügt weder dem wahrheitstheoretischen Kohärenz-, noch dem ideologischen Authentizitätskriterium, da seine prozesstheologische Auffassung die Wirkmacht Gottes so stark einschränkt, dass sie kein gläubiges Vertrauen rechtfertigt und darüber hinaus das biblische Zeugnis von Christus als Erlöser aufgrund der Absage an die Allmacht Gottes nicht ausreichend zur Geltung kommen lässt (vgl. 229 und 239). Allerdings führt S. die exegetische Auseinandersetzung mit dem Zeugnis der Bibel nicht nur an diesem Punkt eher beiläufig, so dass der Eindruck eines gewissen Biblizismus bzw. Wunderglaubens seine Darstellung der einzelnen Po­sitionen wie das Urteil über sie bisweilen beeinträchtigt.
Was schließlich Hygen und Ward betrifft, bewertet er beide als grundsätzlich kohärent und plausibel, wobei er kontextrelativ ar­gumentiert. Könnte keine überzeugende monistische Lösung des Theodizee-Problems gegeben werden, würde Hygens eschatologischer Dualismus die beste Erklärung für die Faktizität des Bösen in der Welt bieten, da er Gott mit Rückhalt im biblischen Zeugnis als eine rein gute, wenngleich erst am Ende der Geschichte siegreiche Macht beschreibt (vgl. 250 f.). Aber S. optiert mit Wards Theodizee für einen geeigneten monistischen Kandidaten. Wards Variante der free-will-defense, d.h. der Inkaufnahme des Bösen zugunsten der Unabhängigkeit und Freiheit der Geschöpfe, hält er zwar in der vorgelegten Form für unzureichend, jedoch für ausbaufähig. S. stützt sie zweifach: zum einen durch ein eigenes Argument, das die Notwendigkeit einer indeterministischen Welt für die Entstehung des freien Willens durch ein prozessuales und interaktives Selbst-Konzept erläutert (vgl. 211–213). Zum anderen versucht er den Haupteinwand gegen Ward, der die Erschaffung einer besseren, d.h. leidlosen, wenngleich weniger unabhängigen Welt für die Allmacht eines monistischen Schöpfergottes als angemessen erachtet, mit dem Gegenargument einer wirklichen Pluralität von Welten zu entkräften. Insofern unsere indeterministische nur eine von mehreren und besseren Welten wäre, würden die spezifischen Güter dieser Welt, vor allem die von freien Wesen aktualisierte Liebe, ihre Existenz trotz des Bösen in ihr rechtfertigen (vgl. 255–257), zumal allen Opfern eschatologisch ewige Glückseligkeit verheißen ist.
Dieses letzte Argument zeigt allerdings auch den prekären Status, der selbst valide, da kohärent und authentisch argumentierende Theodizee-Strategeme begleitet. Wo verläuft in ihnen die Grenze zwischen theoretischer Plausibilität und praktischer Verharmlosung des Bösen? Und wie authentisch christlich ist das Projekt der Theodizee überhaupt? Ihren neuzeitlichen Ursprung bei Leibniz kennzeichnet jedenfalls substanziell kein christologischer Ak­zent. Derart grundsätzliche Fragen macht S. ebenso wenig zum The­ma wie existenzielle Aspekte des Umgangs mit dem Bösen (vgl. 3). Zwar lassen sich im Rahmen von Puntels Strukturontologie auch praktisch-normative Sätze auf ihren Wahrheitswert hin analysieren, offen bleibt jedoch die Frage, ob die Wirklichkeit des Bösen primär überhaupt ein Wahrheitsproblem stellt bzw. ob andere handlungsleitende Kriterien nötiger wären. Vielleicht hätte ein Hinweis auf das christliche Normativ der Feindes- und Nächstenliebe hier weiterführen können. Immerhin beeinträchtigt dieser pragmatische Vorbehalt nicht die Kohärenz der Erörterungen S.s. Und allein darin liegt eine beachtenswerte Leistung.