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Ausgabe:

September/2012

Spalte:

974–975

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Ohly, Lukas

Titel/Untertitel:

Warum Menschen von Gott reden. Modelle der Gotteserfahrung.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2011. 206 S. 23,2 x 15,5 cm. Kart. EUR 21,90. ISBN 978-3-17-021729-4.

Rezensent:

Wolfgang Baum

Wenn ein Rezensent an einer theologischen Fakultät als Lehrkraft mit einem Lehrdeputat von 16 Semesterwochenstunden Lehrveranstaltungen in Fundamentaltheologie und Dogmatik erteilt, dann ist sein Hunger nach guter Einführungsliteratur bzw. zeitgenössisch ansprechender Grundlagenliteratur schier unersättlich. Angesichts einer breiten Flut an Einführungen zu systematisch-theologischen Fragestellungen in allen renommierten Verlagen scheint es auch kein Problem zu sein, diesen Hunger zu stillen. Leider haben aber viele Studienbücher deutliche Mängel: Der Stil ist entweder zu akademisch oder zu banal, die Inhalte sind redundant oder krampfhaft aufgeblasen, die didaktischen Methoden wirken künstlich, die Beispiele aus der Praxis oft peinlich. Wer dagegen da s– äußerlich in diesem Meer an Büchern unterzugehen scheinende – Buch von Lukas Ohly gelesen hat, wird eines Besseren be­lehrt, und zwar von der ersten Seite an. Hier schreibt ein Theologe, der sowohl seine Gedanken aus der Gemeindearbeit aufgreift als auch diese an der Universität lehrt.
So zeigt der Aufbau in zwölf Kapiteln unverkennbar den Wo­chenplan eines Semesters an: Ausgehend von basalen Grunderfahrungen des Menschen (daher der Haupttitel: »Warum Menschen von Gott reden«) entfaltet O. die zentralen klassischen Mo­delle traditioneller und moderner Gottrede in unverkennbar subjekttheoretischer Absicht, wie sie im theologischen Kernstudium unterrichtet werden. Dass die zeitgenössische Diskussion dabei primär in der evangelischen Theologie beheimatet ist (Dalferth, Tillich, Heuser, Schleiermacher u. a.), erweist sich für einen katholischen Leser als umso ertragreicher. Unbeschadet dessen wird aber der sachliche Gedankengang überkonfessionell und überzeugend dargestellt: Gott ist nicht der Gegenstand unserer Erfahrung, sondern, im Anschluss an Bernhard Waldenfels und Jean-Luc Marion, der Mehrwert, der durch Erfahrungen präreflexiv und evident vermittelt wird (vgl. 37–44): »Die Gotteserfahrung kommt auf in Wahrnehmungen. Sie ist aber selbst nicht wahrnehmbar.« (140) Diese These zieht sich durch die einzelnen Untersuchungen und eröffnet ungewöhnliche Interpretationsspielräume selbst für ab­strakte und gemeinhin als schwer zugänglich geltende Fragestellungen, etwa den ontologischen Gottesbeweis. O. verzichtet auf Historisches, vielmehr steigt er mit spürbarer Lust am Denken in die unmittelbare inhaltliche Diskussion ein, weil der Hörsaal oder ein Themenabend in einer Pfarrgemeinde hier keine längeren Ausholungen duldet. Dieser Mut zur Kürze, ohne dabei die anstehenden Fragen unterzubestimmen, überzeugt ebenso in den Überlegungen zur Theodizeeproblematik, die O. sinnvollerweise in zwei Kapiteln getrennt diskutiert: als logisches Problem attributiver Bestimmungen Gottes und der Welt sowie anhand der davon zu differenzierenden Leiderfahrungen des Menschen. Besondere Aufmerksamkeit verdienen die phänomenologischen und logischen Schlussreflexionen zu Zeit und Ewigkeit, die vor allem in der pro zess- und existenzphilosophischen Rezeption des 20. Jh.s eine moderne Rekonstruktion traditioneller Gottesprädikationen und ihrer (möglichen) Erfahrbarkeit im »Erleben des Augenblicks« (173) und des Gebets (vgl. 183–193) gestatten.
O. ist ein komplexes Buch gelungen, das trotz oder gerade wegen seines überschaubaren Umfanges besonders informativ und se­mantisch dicht ist. O. schreibt in einem akademisch anspruchsvollen und zugleich anschaulichen Stil, ohne auf die mittlerweile etwas zur Plage gewordenen (hochschul-)didaktischen Methoden zurückgreifen zu müssen. Der Leser wird allein durch die Präzision eines klar dargestellten Gedankens zur weiteren Reflexion ani­miert. Auf überflüssiges Detailwissen wird verzichtet, weil dies zu erwerben die selbstverständliche Aufgabe des Lesers oder Zuhörers bleibt. Es kommt O. auf die Sache an, und die mitunter komplizierten und historisch langwierig entstandenen Sachverhalte für eine zeitgenössische Theologie aufzubereiten, ist ihm sehr gut gelungen. Es bleibt daher ihm und seinem Buch zu wünschen, nicht nur als Geheimtipp gehandelt zu werden, sondern den Aufstieg in die erste Liga der standardisierten Studienliteraturen der Systematischen Theologie und/oder der Gemeindekatechese zu schaffen – und dies in einer gesättigt scheinenden Sparte theologischer Literatur, in der O. gleichwohl erfrischend anders zeigt, wie der christliche Gottesbegriff klarer und deutlicher für heutige Dis­kurse bestimmt werden kann.