Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2012

Spalte:

972–974

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Oakes, Edward T.

Titel/Untertitel:

Infinity Dwindled to Infancy. A Catholic and Evangelical Christology.

Verlag:

Grand Rapids/Cambridge: Eerdmans 2011. XII, 459 S. 22,8 x 15,2 cm. Kart. US$ 44,00. ISBN 978-0-8028-6555-7.

Rezensent:

Sibylle Rolf

Die Frage, wie sich das Unendliche im Endlichen offenbaren kann, ist von Anfang an die bestimmende Frage innerhalb der christologischen Lehrbildung gewesen: Etwa in der Reformationszeit sind an dieser Frage, ob (und wie) das Finite das Infinite umfassen könne, konfessionelle Einigungsversuche gescheitert. Edward T. Oakes widmet dieser Frage ein ganzes Buch, in dem er in sorgfältiger Recherche und Analyse klassischer christologischer Entwürfe seit der Alten Kirche, sowohl innerhalb der katholischen als auch der evangelischen Theologie, folgender Frage nachgeht: »How can in­-finite and finite be equated? How can the eternal become the temporal? […] And finally, how can these paradoxes be protected from the charge of outright contradiction, so that theology does not become a kind of high-grade chatter about square circles and married bachelors?« (8) Dabei liegt seine Intention, wie schon der Untertitel andeutet, – neben der Rechenschaft über neuere Entwicklungen in der katholischen Lehrbildung zur Christologie – in der Versöhnung römisch-katholischer und evangelikaler Theologie und damit auch darin, Konfessionsgrenzen überschreitend zu arbeiten. O. selbst nimmt ausdrücklich einen evangelikal orientierten Standpunkt ein. »The word [evangelical] here is meant in the methodological sense: rather than arguing to the possibility of confessing Jesus as Lord (that would be the apologetic approach), I shall begin by presupposing the faith that Jesus is Lord and then seek to understand what that means scientifically (the explicitly confessional approach).« (14)
Für sein Unterfangen stellt O. relevante Positionen zur Christologie dar: von den christologischen Streitigkeiten in der Alten Kirche über die Lehrentwicklungen im Mittelalter und in der Reformation bis hin zur Orientierung in den sich voneinander abgrenzenden Konfessionen, den christologischen Topoi in der Neuzeit und der Entwicklung im 20. Jh. Ein vor allem für Theologiestudierende, aber auch zum Nachschlagen sehr nützlicher Anhang mit einer Zusammenfassung der Entscheidungen in der christologischen Lehrbildung der sieben altkirchlichen Konzilien von Nicäa (325) bis Nicäa (787) schließt das Buch ab.
In zweierlei Hinsicht ist die Zusammenstellung von O. hilfreich: zum einen als Lehr- und Nachschlagewerk über einzelne Detailfragen in der christologischen Lehrbildung für Studierende, Forschende und auch in der Gemeindepraxis an Fragen der Christologie etwa in Gemeindekursen oder Predigten Arbeitende. Welche Pfarrerin kann nach etlichen Berufsjahren etwa prägnant die grundlegende Idee des »Extra Calvinisticum« zusammenfassen? In der Darstellung von O. findet sich zu jeder christologischen Detailfrage und zu jeder wichtigen Station in der Ausprägung der Chris­tologie kompetente Hilfe. Darüber hinaus ist das Buch von großem Wert in der interkonfessionellen christologischen Diskussion.
Nach einer Einleitung bietet O. in den ersten beiden Kapiteln eine synchrone und eine diachrone Annäherung an Christologie: Beginnend mit einer synchronen Zusammenschau christologischer Hoheitstitel wird anschließend in diachroner Weise nach der Entstehung der Evangeliums-Erzählungen und dem historischen Jesus gefragt. Beim Problem der Historizität der Auferstehung kommt er bei einer Auswertung des biblischen Textbefunds zum Ergebnis: »[A] properly sober historian, who sticks to the texts as they present themselves, will be able, at a minimum, to negate the negators and affirm these key facts about the historical dimension of the resurrection.« (107) Schon diese Aussage, aber auch der Erweis der Historizität der Jungfrauengeburt, den O. unternimmt (107–110) machen seinen eigenen evangelikalen Ausgangspunkt deutlich und werden wahrscheinlich einen erklärten Leugner der His­torizität der Auferstehung nicht überzeugen können.
In den folgenden Ausführungen referiert O. die christologische Lehrbildung in der Alten Kirche und damit die patristische Allianz von Theologie und Philosophie, die O. ausdrücklich würdigt und auch in späteren Kapiteln, etwa in seiner Auseinandersetzung mit lutherischer Christologie, immer wieder heranzieht. Die zwei grundlegenden Ausgangsfragen patristischer Christologie haben in den Augen O.s nichts von ihrer Relevanz verloren: »How can God be, at the same time and in full reality, both one and three (1=3) and how could Jesus represent the fullness of the Godhead and yet be the ›man of tears‹ as he is represented in the Gospel (infinite=fi­-nite)?« (117) An diesen beiden Fragen arbeiteten altkirchliche Theo­logen sich unter den Bedingungen ab, nicht den biblischen Schriften zu widersprechen, die Liturgie zu achten und nicht die Erlösung des Menschen infrage zu stellen (120). Es handelt sich bei der Darstellung der altkirchlichen Entscheidungen, die O. liefert, um eine konzise Zusammenfassung der Dogmengeschichte in den ers­ten Jahrhunderten. In diesen Ausführungen kommt das grundlegende Vorinteresse, nämlich Christologie aus dem (evangelikal orientierten) Glauben heraus zu formulieren, am wenigsten auffallend zum Tragen: Es tritt zugunsten einer gut lesbaren materialreichen Darstellung in den Hintergrund.
Nach der Darstellung der altkirchlichen Streitigkeiten fasst O. christologische Gedankengänge innerhalb der mittelalterlichen Scholastik mit ihrer neu aufkommenden Aristoteles-Rezeption zu­sammen. Anselm, Bonaventura, Thomas von Aquin und Duns Scotus und damit der Weg von der klösterlichen Kontemplation und Meditation in die Universitäten sind die Stationen, von denen O. berichtet. Bei der Christologie von Duns Scotus wird von einer neuen Reflexion mariologischer Fragen berichtet.
In den konfessionellen Trennungen des 16. Jh.s werden auch christologische Lehrentscheidungen differenziert. Eine der grundlegenden Thesen von O. liegt darin, dass sich bei aller Unterschiedenheit die christologischen Entwürfe von Luther und Ignatius von Loyola auf der einen und Calvin und Blaise Pascal auf der anderen Seite nur graduell unterscheiden. M. E. zu Recht stellt er fest, dass die Christologie für Martin Luther die entscheidende theologische Erkenntnisquelle gewesen ist, sowohl als Theologie der Inkarnation (die O. weniger referiert) als auch als Theologie des Kreuzes, bei der O. ausführlich verweilt. Dabei benennt er als die revolutionäre Einsicht Luthers dessen Zusammenhalten von chalcedonensischer Orthodoxie und neuer Einsicht in die Kreuzes-theologie. Er bescheinigt dem Reformator gleichzeitig eine nur unzureichende philosophische Durchdringung der Lehrentscheidungen von Chalcedon (230 f.).
Nach der daran anschließenden Darstellung der neuzeitlichen theologischen Entwicklung vor allem in Deutschland mit Kant, Schleiermacher und Hegel, im Pietismus und dann in der Theologie des 20. Jh.s gibt O. seine eigene christologische Zusammenfassung unter dem Titel »The Victory of Christ«, in der er festhält, dass der Christusglaube nicht in der Verborgenheit Christi unter dem Gegenteil liegt, sondern im schon errungenen Sieg Christi über die Mächte der Welt. »Behind and beyond all the christological controversies treated in this book, there always lurks a hidden or not-so-hidden anxiety among Christians: that the victory won by Christ does not look like much of a victory.« (432) An dieser Stelle zeigt sich vielleicht am ehesten die grundlegende Verwurzelung O.s in evangelikaler Theologie, und m. E. ist an dieser Stelle in Rezeption von Luthers theologia crucis zu fragen, ob O. einer enthusiastischen Christologie erlegen ist, die den »Sieg Christi« als schon jetzt endgültig und sichtbar versteht, darüber aber irdische Anfechtung und die Verborgenheit des Noch-Nicht vernachlässigt.