Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2012

Spalte:

970–972

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Bedford-Strohm, Heinrich [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

»… und dasLeben der zu­künftigenWelt«. Von Auferstehung und Jüngstem Gericht.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2007. 158 S. 22,0 x 14,5 cm. Kart. EUR 19,90. ISBN 978-3-7887-2247-0.

Rezensent:

Christof Gestrich

Das schmale Bändchen umfasst – neben einer Einleitung des Herausgebers – die zehn Vorträge und eine Predigt, die bei der Jahrestagung der Gesellschaft für Evangelische Theologie vom 19. bis 21. Februar 2007 in Wittenberg aus den verschiedenen theologischen Disziplinen heraus unter Mitberücksichtigung der Islamkunde und der Judaistik zu den im Buchtitel angezeigten Fragen gehalten worden sind. Das Besondere des Buches liegt zunächst darin, dass der gegenwärtige Diskussionsstand zu »Auferstehung« und »Ge­ richt« in den einzelnen Fächern in ökumenischer Weise zusam­mengebracht, miteinander verglichen und zugespitzt wird auf die Frage der heutigen Vermittelbarkeit dieser beiden Zentren der Eschatologie. Es wird davon ausgegangen, dass die Hoffnung auf das ewige Leben aus den verschiedensten Gründen abgenommen habe und vor allem nicht mehr in naiver Gläubigkeit entlang der vorgegebenen biblischen Bilder festgehalten werde. Hingewiesen wird auf die erhebliche Differenz zwischen der Einstellung der Pfarrerschaft und den nicht theologisch vorgebildeten Gemeindegliedern etwa zu der Frage der Kompatibilität zwischen »Unsterblichkeit der Seele« und »Auferweckung der Toten«.
Erfreulicherweise sind auch die exegetischen Fachbeiträge dieses Buchs im Geist des interdisziplinären Dialogs und der hermeneutischen Übersetzungsbemühung verfasst. Die in der Einleitung des Herausgebers Heinrich Bedford-Strohm kurz charakterisierten Texte stammen von Wolf D. Ahmed Aries, Michael Beintker, Corinna Dahlgrün, Gregor Etzelmüller, Jürgen Moltmann, Thomas Naumann, Konrad Raiser, Werner Heinz Ritter, Joachim von Soosten, Luzia Sutter Rehmann und Siegfried Kasparick. Dem Zweck der ganzen Fachtagung gemäß, Defizite im gegenwärtigen eschatolo­gischen Glaubensbewusstsein zu benennen und mit vereinten Kräften ein Stück weit aufzuarbeiten, kann man hier nicht die Veröffentlichung rezenter wissenschaftlicher Forschungsergebnisse er­warten, sondern eher Teilanalysen unserer Situation (z. B. das von Werner Ritter aufgezeigte minimale Vorkommen des »Lebens der zukünftigen Welt« in den Lehrplänen für den evangelischen Religionsunterricht; oder die durch Konrad Raiser berichtete reduktive Fokussierung der Eschatologie des Ökumenischen Weltrats der Kirchen im Bild vom neuen Himmel und der neuen Erde, in denen Gerechtigkeit wohnt bzw. der Ausgleich zwischen reich und arm stattfindet).
Ein Vorschlag, wie neues eschatologisches Verstehen möglich werden könnte, findet sich z. B. in Jürgen Moltmanns Beitrag Sonne der Gerechtigkeit. Wie einige andere der hier veröffentlichten Texte, müht sich auch dieser Beitrag besonders ab mit dem »unevangelisch« wirkenden »doppelten Ausgang« des Jüngsten Gerichts in Jesu Predigt über die definitive Scheidung der »Schafe« von den »Böcken« (Mt 25,31–46). Die Grundfrage sei, was in der Bibel »ein gerechter Richter sein« bedeutet. Es gebe ein biblisches Zusam­menfließen von Einflüssen aus Babylonien und aus Ägypten. Im Zweistromland sei der König Vertreter des Sonnengottes Samas. Er soll als Richter das göttliche Licht einer gerechten Weltordnung weitergeben. Innerhalb dieser ist »gerecht«, was gesund ist, rechtschaffen lebt und recht leitet. Der Richter soll aufrichten, lebendig machen und heilen. Gericht Halten ist hier, urteilt Moltmann, eine therapeutische »Diesseitsvorstellung«. Die ägyptische Gerichtsvorstellung ist hingegen eine »Jenseitsvorstellung« – bezogen auf jenseitige Vergeltung fürs hiesige Leben. Islam und Christentum, meint Moltmann, hätten aus biblischen Texten leider die ägyptische Gerichtsvorstellung extrapoliert; das Erbarmen Gottes über alle Menschen und Geschöpfe sei hierdurch wieder in Frage gestellt worden. Die christliche Dogmatik müsse darum das Jüngste Ge­ richt neu und evangeliumsgemäß formulieren. Eine Harmoni­sierung der verschiedenen biblischen Gerichtsaussagen sei nicht möglich, man müsse sich »auf Grund theologischer Argumente entscheiden« (und zwar letztlich in der Richtung der babylo­nischen Tradition und der in der Kirchengeschichte am Rand stehenden Erwartung einer »universalen Erlösung«).
Mit systematischer Kraft müht sich auch Gregor Etzelmüller um ein christliches Verständnis der Weltgerichtspredigt Jesu. Er erklärt die definitive Trennung der einen Menschengruppe von der anderen im Eschaton dahingehend, dass Gottes Liebe es den Opfern erspare, jenen noch einmal begegnen zu müssen, die an ihnen im diesseitigen Leben schuldig geworden sind. Gott mutet ihnen keine erneut belastende jenseitige »Versöhnungsarbeit« zu, so heißt es hier im Gegensatz zu der in diesem Band von< /span> Michael Beintker vertretenen Meinung: »Ist es zu gewagt, wenn man […] sagt, dass mit jedem konkreten Ich auch die Beziehungen auferweckt werden, in denen das Ich gelebt hat? Menschen werden einander wie­dererkennen und einander neu begegnen.« Es wird dahin kommen, »dass sogar die ärgsten Feinde neu aufeinander zugehen können« (29).
Aber nicht nur das »Gericht«, auch die »Auferweckung der To­ten« soll neu und besser verstanden werden. »Auferweckung« ist nicht »Wiederbelebung eines Leichnams«, schreibt Werner H. Ritter. Sie führt vielmehr in das »ganz mit Christus sein« hinein; und schon in diesem Leben beginnt sie dort, wo geglaubt wird (Beintker). Sie ist auch nicht nur individuell zu sehen, sondern kann ein ganzes Volk betreffen, erinnert Thomas Naumann (auch seine Kollegen!) mit Blick auf Israel.
Insgesamt zeigt sich – bei allen begrüßenswerten Anregungen die hier im Einzelnen gegeben werden – der nur eingeschränkte Nutzen von Sammelveröffentlichungen, deren Beiträge zwar alle die vorgegebenen Stichwörter bearbeiten, aber untereinander in wichtigen Ergebnissen auch differieren. Das Erreichen des Ziels, ein theologisches Lehrdefizit zu verringern, bleibt damit ge­hemmt.