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Ausgabe:

September/2012

Spalte:

966–968

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Pattison, George

Titel/Untertitel:

God and Being. An Enquiry.

Verlag:

Oxford/New York: Oxford University Press 2011. IX, 350 S. 23,4 x 15,6 cm. Geb. £ 65,00. ISBN 978-0-19-958868-8.

Rezensent:

Jürgen Bründl

Die Frage nach dem Sein bildet im christlichen Denken einen ebenso traditionellen wie in der Moderne prekär gewordenen Kontext der Theologie. Von philosophischer Seite belegt das fortdauernde ontologische Interesse an Gott eine jüngst von L. B. Puntel vorgelegte Studie, die unter dezidiert postmoderne-kritischem Vorzeichen den Gottesbegriff innerhalb des Theorierahmens einer Lehre des Seins »als solche[m] und im Ganzen« zu präzisieren versucht. Gott wird hier als absolut notwendiges geistiges und personales Sein nach dem christlichen Vorbild des liebenden Schöpfers verstanden (vgl. ders.: Sein und Gott. Ein systematischer Ansatz in Auseinandersetzung mit M. Heidegger, É. Lévinas und J.-L. Marion. Tübingen: Mohr Siebeck 2010, PhU 26).
George Pattisons Untersuchung über Gott und Sein will dagegen die Bedeutungsmöglichkeiten der metaphysischen Fassung des christlichen Gottesverständnisses ausgehend von ihrer modernen bzw. nach-modernen Infragestellung erschließen (vgl. 16). Dabei erweisen sich die Analysen, die er den Texten seiner philosophischen Gewährsmänner Kierkegaard, Hegel, Heidegger, Sartre, Derrida und Marion, aber auch Theologen wie Augustin, Thomas und Tillich zuteil werden lässt, als einfühlsamer und aufschlussreicher als die oft doch sehr formal-logische und schulmeisterlich anmutende Kritik Puntels.
P. setzt bei dem biblischen Selbstzeugnis Gottes in Ex 3,14 an, das formelhaft den Zusammenhang von Gott und Sein in der tautologischen Identifikation des »Ich bin, der ich bin« zum Ausdruck bringt. Mit F. Rosenzweig versteht er diesen Namen als Verheißung von Rettung für das Volk und hebt den Weltbezug des göttlichen Seins hervor. Gleichwohl nimmt die theologische Deutungsgeschichte von Augustin über Anselm bis Thomas von Aquin zur Begründung dieser Heilsmacht für Gott eine Seinsfülle in Anspruch, die sich kategorial von dem defizienten Seinsmodus aller irdischen Geschöpfe unterscheidet. Ein univoker Gebrauch des ontologischen Prädikats für Gott und Mensch scheidet damit aus. Auch moderne Ansätze wie derjenige Tillichs betonen, dass vor allem der Mensch nicht ist, was er sein soll, und er daher die gute Schöpfung Gottes nur aus der Perspektive einer gefallenen Welt, d. h. unter dem Vorzeichen von Not und Erlösungsbedürftigkeit wahrnehmen kann. Für die christliche Got-teserkenntnis folgt daraus die in der Definition des Konzils von Chalzedon festgelegte Differenzierung von Wesen und Existenz Gottes, der zufolge Gottes essenzielles Sein in seinen personalen Akten liegt.
Das Projekt der Theologie prägt deshalb ein apophatischer Zug, der das Sein Gottes nur in den geschichtlichen Vollzügen perso­naler Freiheit diesseits überzeitlicher Wesensbestimmungen er­kennt. Gerade die Wahrnehmung der Unterschiedenheit Gottes von der Welt bedeutet dann nicht notwendig die von Sartre ver­-tretene Isolation des Subjekts, sondern kann als Eröffnung von Beziehung gedeutet werden, welche aus der Distanznahme der ir­dischen Todesverfallenheit Gottes Sein als Verheißung seiner erlösenden Nähe plausibel macht. P. erläutert diese These ausgehend von theologisch-philosophischen wie literarisch-künstlerischen Zeugnissen von der Romantik bis zur Gegenwart und bezieht sich zentral auf Heideggers Verständnis des menschlichen Daseins als Offenheit für Wahrheit bzw. Sein. In dem gleichen Maß, in dem sich das ontotheologisch starke Wissensformat der metaphysisch-thomistischen Tradition zu der Möglichkeit einer Deutung der Welt vor Gott (vgl. 320 f.) abschwächt, können die Differenzmarken von Zeit und Raum, Sprache und Welt, des Wechselbezugs von Selbst und Anderen sowie basal die Aufmerksamkeit auf den Körper als Ort der Verwirklichung des Heils das alltägliche Leben theo­logisch produktiv als Geschenk göttlicher Seinsfülle erschließen (vgl. 102). In fünf luziden Argumentationsgängen rückt P. die notvolle Signatur des irdischen Daseins in diese Perspektive einer Praxis der Hoffnung und Leidüberwindung. Er bringt dazu die direkte Ontologie des Behütet-Seins von Gaston Bachelard ebenso wie Lévinas’ Option für die Opfer ins Gespräch mit den Ansätzen von Hegel, Kierkegaard und Heidegger und stellt vor dem Hintergrund der Logozentrismus-Kritik Derridas die Frage nach einer authentischen Sprache für Gott, welche aus der Ambivalenz ihrer die Welt zugleich erschließenden wie verhüllenden Kraft zu gewinnen ist. P.s Gesprächspartner sind hier neben den Genannten vor allem F. Dostojewski und M. M. Bachtin, aber auch V. Jankélévitch und N. Berdjajew. Näherhin geht es P. um die Möglichkeit einer Sprache der Liebe, die gerade in der faktischen Geschichte des Unheils und jenseits der hegelianischen Dialektik von Herr und Knecht oder Sartres Auslieferung des Selbst an den Anderen eine Gemeinschaft der Brüderlichkeit als handlungsleitende Hoffnungsperspektive in glaubwürdiger Weise anzeigen soll (vgl. 232–237). Der Akzent auf der Verkörperung des Heils, seiner Verwirklichung in der Konkretion des gelebten Lebens bildet deshalb den Bezugspunkt und Prüfstein dieser Hoffnung, den P. von F. Nietzsche, M. Merleau-Ponty sowie G. P. Lakoff und M. Johnson her entfaltet. Die letzten beiden thematisieren die metaphorische Grundfunktion der Sprache als Ausdrucksform einer körperbasierten Spiritualität gelebten menschlichen Lebens. In ihrem Gefolge erarbeitet P. eine Phänomenologie der Gotteserfahrung über die leibhaften Ausdrucksgestalten des Zitterns und Weinens, welche aus der Distanz der weltlichen Gottferne einen validen Zugang für authentische Rede von Gott in der Bekenntnisform des Zeugnisses eröffnet – ein Zeugnis, dessen Glaubwürdigkeit auf der strittigen Wahrnehmung des mundanen Abstandes von Gott als Verheißung seiner Tod und Unheil überwindenden Annäherung beruht (vgl. 275). Die Aufmerksamkeit auf die irdische Abwesenheit Gottes eröffnet so eine Würdigung des Lebens als Gabe und Geschenk, die noch in der weltlichen Unmöglichkeit von Liebe und Vergebung das überschwängliche Ereignis ihrer Ankunft zu entdecken lernt. Dass Gott »ist«, bedeutet dann nicht die Affirmation irgendwelcher unmittelbaren Präsenz, sondern jene kritische und in einer endlichen Welt allein glaubwürdige Distanznahme, deren stets umstrittenen Wahrheitsgehalt P. mit J.-L. Marion abschließend auf die Möglichkeit bzw. perspektivische Plausibilität der gläubigen Überzeugung zuspitzt, »that our life really is God’s good and perfect gift and that, as the giver of this good and perfect gift, God is« (318).
P.s Untersuchung einer Theologie des Seins Gottes reiht sich damit in die von Giorgio Agamben als spezifisch christlich behauptete Wirkungsgeschichte einer Ontologie der Schwächung ein. Theologisch steht er dem Ansatz I. U. Dalferths nahe, der Gott ebenfalls von Kierkegaard her als »Wirklichkeit des Möglichen« anspricht. In diesem Kontext stellt P.s Theologie zweifellos einen Entwurf von Rang dar, der seine Überzeugungskraft aus der Zu­rückhaltung gegenüber un- bzw. übergeschichtlichen Letztbegründungen gewinnt und die oft zu Unrecht als relativistisch stigmatisierten postmodernen Ansätze zu einer beachtlichen Re­flexion der Wahrheitsfähigkeit theologischer Aussagen als glaub­würdige Zeugnisse endlich-leibhafter Menschen an den konkreten Orten ihrer unheilvoll gebrochenen Welt nutzt.