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Ausgabe:

September/2012

Spalte:

955–956

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Gisi, Lucas Marco, u. Wolfgang Rother [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Isaak Iselin und die Geschichtsphilosophie der europäischen Aufklärung.

Verlag:

Basel: Schwabe 2011. 302 S. 22,6 x 16,2 cm = Studien zur Geschichte der Wissenschaften in Basel. Neue Folge, 6. Geb. EUR 34,00. ISBN 978-3-7965-2597-1.

Rezensent:

A. B.

Der Basler Philosoph, Jurist und Publizist Isaak Iselin (1728–1782), der seinen Lebensunterhalt, da ihm eine akademische Laufbahn verwehrt blieb, als Ratsschreiber verdienen musste, gehört zu den hells­ten Köpfen der deutschsprachigen philosophischen Spätaufklärung. Sein 1764 erschienenes Hauptwerk »Philosophische Muthmassungen. Ueber die Geschichte der Menschheit«, das bis 1791 insgesamt sieben Auflagen erlebte, ist ein ponderables Gründungsdo­kument der im 18. Jh. entstandenen Geschichtsphilosophie. Dabei markierte der von Iselin gewählte Haupttitel gleich zwei prinzipielle Grenzziehungen: Seine geschichtstheoretischen Reflexionen waren nicht mehr heilsgeschichtlicher, sondern philosophischer Art, und gegenüber einer positivistisch verfahrenden Historiographie signalisierte das Titelwort »Muthmassungen« den dezidiert spekulativen Ansatz, den Iselin damit zur Geltung und Ausführung brachte.
Die Schrift verdankte sich einem lokalen Impuls: Sie entstand als Antwort auf eine 1762 von der Berner patriotischen Gesellschaft ausgeschriebene Preisfrage. Doch der interdisziplinäre Anspruch, den Iselin damit einlöste, fand in der damals bestehenden gesamteuropäischen Gelehrtenrepublik sehr breite, anhaltende Beachtung. Das emphatische Urteil Moses Mendelssohns, »Philosophie und Kenntniß der Geschichte zeigen sich hier in ihrem Triumphe« (10), stand unter den positiven Rezeptionen, die der Beitrag alsbald gefunden hatte, längst nicht allein.
Der vorliegende Band dokumentiert eine im Dezember 2008 an der Universität Basel in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jh.s abgehaltene wis­-senschaftliche Tagung, die sich dem geschichtsphilosophischen Hauptwerk Iselins auf dreifache, komplementäre Weise zu nähern vermochte. Zum einen wurde dabei eine differenzierte Ortsbestimmung innerhalb des europäischen Aufklärungsdiskurses vollzogen. Zum andern rückte die gut überlieferte Entstehungsgeschichte jener Schrift erstmals in den Fokus der Analysen. Weitere tiefenscharfe Konturierung ergab sich schließlich durch die Konfrontation mit den wenig später von Johann Jakob Bodmer, Immanuel Kant und Johann Gottfried Herder vorgelegten konkurrierenden Entwürfen einer Geschichtsphilosophie.
Dass der mehrfache, sachgemäße Rekurs auf die epochale Schrift »Die Bestimmung des Menschen« von Johann Joachim Spalding nicht deren aktuelle Kritische Edition, sondern lediglich einen un­autorisierten Raubdruck (57) sowie einen unkritischen Neudruck (255) konsultiert hat, ist ein kaum erheblicher Schönheitsfehler dieser insgesamt außerordentlich gelehrten und erhel­lenden phi­losophiegeschichtlichen Teamarbeit. Sie wird sich der ungeteilten und dankbaren Aufmerksamkeit jeder künftigen Beschäftigung mit dem intellektuellen Profil der Aufklärungsepoche sicher sein dürfen.